Leitsatz (amtlich)

Verwaltungsvorschriften zur Durchführung eines Gesetzes enthalten keine "authentische Auslegung" gesetzlicher Vorschriften; ihnen ist nur zu entnehmen, wie nach Meinung der Verwaltung das Gesetz auszulegen ist. Gegenstand der Auslegung ist allein der "objektivierte Wille" des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschriften hineingestellt sind (Anschluß BVerfG 1952-05-21 2 BvH 2/52 = BVerfG 1, 299) 2. Die Kinderzuschläge, die neben dem Witwengeld nach den Vorschriften für die Besoldung der Beamten gezahlt werden, gehören nicht zu dem "für den Unterhalt der Waise zu r Verfügung stehenden sonstigen Einkommen".

 

Normenkette

BVG § 47 Abs. 3 Fassung: 1956-06-06, Abs. 4 Fassung: 1956-06-06, § 33 Abs. 2

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. September 1955 wird aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerinnen erhielten nach dem Tode ihres Vaters, des außerplanmäßigen Postinspektors L... B..., durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden vom 13. April 1949 Waisenrenten nach dem Gesetz über Leistungen für Körperbeschädigte (KBLG). Durch Bescheid vom 27. August 1952 (Umanerkennungsbescheid) bewilligte das Versorgungsamt Heidelberg den Klägerinnen vom 1. Oktober 1950 an nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Grundrente und Ausgleichsrente; auf die Ausgleichsrente wurden dabei außer dem Waisengeld die Kinderzuschläge angerechnet, die die Mutter neben dem Witwengeld erhielt.

Auf die Berufung der Klägerinnen änderte das Oberversicherungsamt (OVA.) Karlsruhe durch Urteil vom 15. Oktober 1953 den Bescheid des Versorgungsamts ab und verurteilte den Beklagten, den Klägerinnen eine höhere, nach den jeweiligen Einkünften und Freibeträgen gestaffelte Ausgleichsrente zu gewähren; die Kinderzuschläge seien zum Einkommen der Witwe zu rechnen - nicht zum Einkommen der Kinder; nach den Protokollen des 26. Bundestags-Ausschusses sei zwar zu vermuten, daß der Kinderzuschlag zu den beamtenrechtlichen Versorgungsbezügen zum Einkommen der Waise gerechnet werden solle; dies sei aber in § 47 Abs. 3 BVG nicht zum Ausdruck gekommen; danach sei Ausgleichsrente nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehenden sonstigen Einkommen bestimmte Monatsbeträge nicht übersteige; die neue Fassung der Verwaltungsvorschriften (VV) Nr. 1 Abs. 2 zu § 47 BVG binde das Gericht nicht; der Kinderzuschlag berühre die Ausgleichsrente der Waisen höchstens insoweit, als deren Lebensunterhalt durch das Einkommen der Mutter, dem der Kinderzuschlag zuzurechnen sei, als sichergestellt angesehen werden könne (§ 47 Abs. 1 BVG; Nr. 2 VV zu § 47 BVG). Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Rekurs ein; der Rekurs ging am 1. Januar 1954 nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) über. Das LSG. sah die Berufung als zulässig an, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden sei, hob durch Urteil vom 27. September 1955 das Urteil des OVA. auf und wies die Klage ab. Die Kinderzuschläge nach beamtenrechtlichen Vorschriften seien auf jeden Fall im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG "für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehendes sonstiges Einkommen" und auf deren Ausgleichsrente anzurechnen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei nicht maßgebend, wer Anspruch auf den Kinderzuschlag habe, sondern für wessen Unterhalt er bestimmt und verfügbar sei. Deshalb sei in § 47 Abs. 3 BVG im Gegensatz zu § 14 Abs. 3 KBLG nicht mehr nur allgemein von "anderen Einkünften" die Rede. Dadurch sei versorgungsrechtlich auch die gleiche Behandlung der Waisen von Beamten und Rentnern gewährleistet. Die Revision wurde zugelassen. Am 19. Oktober 1955 wurde das Urteil den Klägerinnen zugestellt, am 7. November 1955 legten sie Revision ein. Sie beantragten, das Urteil des LSG. aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen. Das LSG. habe den § 47 Abs. 3 BVG nicht richtig angewandt; die Kinderzuschläge seien nicht als "sonstiges Einkommen" der Waisen anzusehen; sie stünden dem Elternteil zu, der Hinterbliebenenbezüge erhalte; sie gehörten auch nicht zu dem "für den Unterhalt der Waisen zur Verfügung stehenden sonstigen Einkommen"; nach dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes gehöre zum "sonstigen Einkommen" nur das Einkommen des Empfängers, nicht eines Dritten; Nr. 1 Abs. 2 der VV zu § 47 BVG binde die Rechtsprechung nicht.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen,

II.

Die Revision ist zulässig; das LSG. hat sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen; die Klägerinnen, die beschwert sind (vgl. Urteil des BSG. vom 10.12.1957, 11/9 RV 1250/56), haben die Revision form- und fristgerecht eingelegt. Auch bei einer zulässigen Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits zunächst noch von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, soweit sie unverzichtbar sind, die besonderen Prozeßvoraussetzungen des vorausgegangenen Berufungsverfahrens und die Voraussetzungen für eine entscheidende Tätigkeit des Revisionsgerichts erfüllt sind (vgl. BSG. 2 S. 225 [277], 3 S. 124 [126], 4 S. 70 [72] und S 281 [284]). Zu den Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren gehört die Zulässigkeit der Berufung. Das LSG. hat sie mit Recht bejaht; es hat die Berufung in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG selbst zugelassen. Die Berufung ist mithin trotz der Vorschrift des § 148 Nr. 3 SGG zulässig gewesen (vgl. BSG. 1 S. 62 [67, 68]).

Die Revision ist auch begründet.

Nach § 47 Abs. 1 und 3 BVG erhalten Waisen, deren Lebensunterhalt nicht - wie hier - auf andere Weise sichergestellt ist, Ausgleichsrente, soweit sie zusammen mit dem für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehenden sonstigen Einkommen bestimmte Monatsbeträge nicht übersteigt.

Die Mutter der Klägerinnen hat als Witwe eines Beamten für sich Witwengeld und für ihre Kinder - die Klägerinnen -Waisengeld erhalten. Neben dem Witwengeld sind Kinderzuschläge nach den für Beamte im Dienst geltenden Vorschriften gewährt worden (§ 31 des Reichsbesoldungsgesetzes (RBesG) vom 16. Dezember 1927 (RGBl. I S. 349) mit den Änderungen vom 20. August 1952 (BGBl. I S. 582) und vom 27. März 1953 - BGBl. I S. 81 -). Die Kinderzuschläge stehen der Mutter zu, solange sie Witwengeld besieht, sonst den Kindern (§§ 14 Abs. 1 Satz 1, 31 RBesG, 2, 18 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) vom 27. Juli 1957 - BGBl. I S. 993 -); solange die Mutter Anspruch auf Witwengeld hat, gehören die Kinderzuschläge zu ihrem Einkommen, nicht zum Einkommen der Waisen (RVGer. 7, 156; 8, 36; OVA. Karlsruhe, Breith. 1952 S. 503). Es fragt sich nun zunächst, ob die Kinderzuschläge trotzdem zu dem "für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehenden sonstigen Einkommen" im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG zu rechnen sind. Diese Frage ist zu verneinen (ebenso Schieckel, BVG, 2. Aufl., § 47 Anm. 4; Urt. des OVA. Düsseldorf vom 23. März 1953, ZfS. 1953 S. 101; Urt. des Versorgungsgerichts Freiburg i.Br. vom 16. September 1953, Breith. 1954 S. 348; Schwankhart in "Die Kriegsopferversorgung" 1953 S. 131; anderer Ansicht VV Nr. 1 Abs. 2 zu § 47 BVG und Nr. 5 (2) zu § 41 BVG; Thannheiser-Wende-Zech, BVG, 3. Aufl., Erläuterungen zu § 47; Schönleiter, BVG, § 41 Anm. 7; Erlaß des Bundesministers für Arbeit (BMA.) vom 4. Juli 1952 - IV b 2 -2205/52 -, abgedruckt in Fritzsche "Der Sachbearbeiter für das Bundesversorgungsrecht" (Stand 1.4.1955) Anm. zu § 47 BVG; van Nuis-Vorberg "Das Recht der Kriegsbeschädigten", V. Teil S. 64, 65; Graser in "Die Kriegsopferversorgung" 1952 S. 68; Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 18. November 1954, Breith. 1955 S. 644).

§ 47 Abs. 3 BVG entspricht bis auf die Monatsbeträge und den inzwischen gestrichenen letzten Absatz wörtlich dem § 46 Abs. 3 des Entwurfs der Bundesregierung für das BVG; bei der Beratung dieses Entwurfs hat der Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit in der 33. Sitzung des Fachausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen (vgl. Sitzungsprotokoll S. 630 und 640) auf die Frage eines Abgeordneten geantwortet, die Kinderzuschläge seien auf die Ausgleichsrente auch dann anzurechnen, wenn sie der Mutter zustehen, sie seien nicht für sie, sondern für das Kind bestimmt, für das sie aus öffentlichen Kassen gezahlt würden. Auch die VV zum BVG sagen in Nr. 5 (2) zu § 41 und in Nr. 1 (2) zu § 47, der Kinderzuschlag zu Hinterbliebenenbezügen nach beamtenrechtlichen Vorschriften zähle ebenso wie der Kinderzuschuß zur Rente der Mutter (des Vaters) aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und die Kinderzulage zur Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu den für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehenden Einkünften. Verwaltungsvorschriften zur Durchführung eines Gesetzes enthalten jedoch - ebenso wie Vorgänge aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes - keine "authentische Auslegung" einer gesetzlichen Vorschrift; den Verwaltungsvorschriften ist nur zu entnehmen, wie nach Meinung der Verwaltung das Gesetz auszulegen ist (vgl. Hauck in NJW. 1957 S. 809 ff. [811]). Gegenstand der Auslegung ist allein der in einer gesetzlichen Vorschrift zum Ausdruck kommende "objektivierte Wille" des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt; nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder die Auffassung der Behörden, in deren Zuständigkeit die Ausführung des Gesetzes fällt (vgl. BVerfGE 1, 299 [312] - JZ. 52, 419). Entstehungsgeschichte und Verwaltungsvorschriften können deshalb für die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift nur insoweit Bedeutung erlangen, als die Auffassung, die sich aus ihnen ergibt, in der Vorschrift selbst Ausdruck gefunden hat. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß unter dem "für den Unterhalt der Waise zur Verfügung stehenden sonstigen Einkommen" des § 47 Abs. 3 BVG ebenso wie unter dem "sonstigen Einkommen" der §§ 33 Abs. 2 und 41 Abs. 4 BVG nur das eigene Einkommen der Waise verstanden werden kann; nur für das eigene Einkommen einer Person ist es selbstverständlich, daß es für ihren Unterhalt zur Verfügung steht. Das Einkommen anderer Personen kann nur berücksichtigt werden, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist. Deshalb schreibt z.B. § 34 Abs. 2 BVG vor, daß Ausgleichsrente für jugendliche Schwerbeschädigte nur insoweit zu gewähren ist, als "dies nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschädigten und seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen gerechtfertigt ist." Wo immer die Höhe der Versorgung auch vom Einkommen Dritter abhängt, bedarf es stets ausdrücklicher Vorschriften. Deshalb ist z.B. auch bei der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung oder der Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe im einzelnen geregelt, wessen Einkünfte bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sind, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang (vgl. §§ 141 e, 141 f AVAVG a.F., 149, 150 AVAVG n.F.). Eine solche Regelung enthält aber § 47 Abs. 3 BVG nicht. Nach dieser Vorschrift ist der Rückgriff auf fremdes Einkommen deshalb nicht zu rechtfertigen. Hiernach können jedenfalls die Kinderzuschläge, die an die Mutter der Klägerin gezahlt werden, nicht als "sonstiges zur Verfügung stehendes Einkommen" im Sinne des § 47 Abs. 3 BVG angesehen werden. Zu beachten ist aber, daß nach §§ 47 Abs. 4, 33 Abs. 2 Satz 1 BVG als "sonstiges Einkommen" alle Einkünfte "in Geld und Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle" gelten. Einkünfte in diesem Sinne sind - außer dem Waisengeld der Klägerinnen - auch Leistungen der Mutter auf Grund ihrer Unterhaltspflicht (vgl. BSG. 4 S. 267 ff.). Ob und in welcher Höhe im vorliegenden Fall solche Unterhaltsleistungen der Mutter der Klägerinnen in Frage kommen, hat das LSG. bisher nicht festgestellt. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hat es auch keinen Anlaß gehabt, insoweit Feststellungen zu treffen. Da aber wegen der Nichtanrechenbarkeit der Kinderzuschläge für die Entscheidung über die Höhe der Ausgleichsrente Feststellungen hierzu notwendig sind und das Bundessozialgericht diese Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist das auf unrichtiger Anwendung des § 47 Abs. 3 BVG beruhende Urteil des LSG. aufzuheben; gleichzeitig ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§§ 170 Abs. 2 SGG). Das LSG. wird nunmehr zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe Unterhaltsansprüche der Klägerinnen gegen ihre Mutter bestehen, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Unterhaltsansprüche für den Bereich der Kriegsopferversorgung dadurch begrenzt sind, daß der notwendige Unterhalt der Mutter nicht gefährdet sein darf (vgl. BSG. 4 S. 267 [269]).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 252

NJW 1958, 477

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