Krankenkassen müssen technisch aufwändiges Fußheber-System bezahlen
Die beiden 1972 und 1978 geborenen Frauen sind vor ca. 15 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt, die stetig fortschreitet. Die Gehfähigkeit ist jeweils stark beeinträchtigt. Sie beantragten 2014 bzw. 2015 bei ihren jeweiligen Krankenkassen, gestützt auf ärztliche Verordnungen, die Versorgung mit dem Fußheber-System Ness L 300 als Hilfsmittel (Kostenpunkt ca. 5.500 Euro + verschiedene Zusatzkosten, wie Einweisung, Anpassung, Software-Update). Das System sendet drahtlos kleine elektrische Impulse an den Wadenbeinnerv und stimuliert dadurch die Fußheber. Es erfasst in Echtzeit die Gehposition, die verschiedenen Gehgeschwindigkeiten sowie Änderungen in der Untergrundbeschaffenheit.
Keine positive G-BA-Empfehlung: Krankenkassen lehnen Anträge ab
Die Krankenkassen lehnten die Anträge ab und begründeten dies damit, dass herkömmliche kostengünstigere und für die Versorgung ausreichende Fußhebeorthesen oder Peronäusschienen zur Verfügung stünden. Außerdem habe der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keine positive Empfehlung für diese Art der Krankenbehandlung abgegeben.
Berufungen wegen grundsätzlicher Bedeutung
Bereits die Sozialgerichte in Freiburg und Stuttgart haben in erster Instanz den Klägerinnen Recht gegeben und die Krankenkassen verurteilt, das neue Fußheber-System ihren Versicherten zur Verfügung zu stellen. Die Krankenkassen haben in der Berufung auf die aus ihrer Sicht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssachen hingewiesen.
Fußheber-System bedarf als Hilfsmittel keiner Empfehlung des G-BA
Die Berufungen sind jeweils erfolglos geblieben. Auch die Stuttgarter Richterinnen und Richter zweier für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständiger Senate des Landessozialgerichts haben den Versicherten Recht gegeben. Eine positive Empfehlung des G-BA ist nicht erforderlich, da vorliegend nicht eine (neue) Methode der Krankenbehandlung in Frage steht. Das Fußheber-System kann keine positive Auswirkung auf den Verlauf der MS-Erkrankung selbst haben. Es dient nicht der eigentlichen Krankenbehandlung, sondern hat als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich das Ziel, die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten zu verbessern. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs dürfen Versicherte nicht auf kostengünstigere, aber weniger wirksame Hilfsmittel verwiesen werden, sondern haben Anspruch auf einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Beide Senate haben sich überzeugt davon gezeigt, dass das neue Fußheber-System entscheidende Verbesserungen für die Gehfähigkeit und Mobilität der Versicherten mit sich bringt und daher die Versorgung erforderlich und gerechtfertigt ist.
Bedeutung von Gutachten und Videodokumentationen
In beiden Fällen haben medizinische Gutachten und auch Videodokumentationen eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Sachverhalts gespielt. In der Rechtssache L 4 KR 531/17 war bereits 2014 im Verwaltungsverfahren eine Videodokumentation angefertigt worden; in der Rechtssache L 11 KR 1996/17 hat der Senat im Berufungsverfahren die Erstellung einer Videodokumentation veranlasst und diese in der der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal an einem großen Monitor abgespielt und mit den Beteiligten erörtert.
Hinweis: LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 15.6.2018, L 4 KR 531/17 und Urteil v. 19.6.2018, L 11 KR 1996/17
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