Unzulässig hoher Selbstbehalt hindert Krankenversicherungswechsel

Beitragserhöhungen vermeiden durch Wechsel zu einem ausländischen Krankenversicherer? Das funktioniert nicht, wenn der neue Vertrag dem Versicherten unkalkulierbare Kostenrisiken aufbürdet. Dann kann und muss die Versicherung die Kündigung § 193 Abs. 3 S. 1 VVG mangels tauglichem Folgevertrag nicht annehmen. 

  • Wegen einer Beitragserhöhung seiner privaten Krankenversicherung kündigte ein Versicherter seinen Vertrag fristgemäß.
  • Als Folgeversicherung legt er den Versicherungsvertrag eines ausländischen Krankenversicherers mit Sitz in England vor.

Die beklagte Versicherung lehnt die Kündigung jedoch ab. Begründung: Die Folgeversicherung erfülle aufgrund eingeschränkten Versicherungsschutzes nicht die Voraussetzungen des § 193 Abs. 3 VVG.

Ein entscheidender Punkt: Die Höhe des möglichen Eigenanteils.

Kostenerstattungen mit viel zu vielen Einschränkungen

Die beklagte Versicherung argumentierte:

Aufgrund der vielen Einschränkungen bei den Kostenerstattungen im Krankheitsfall habe der Kläger tatsächlich einen höheren Eigenanteil als den nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG auf 5.000 Euro jährlich beschränkten Selbstbehalt zu tragen.

Tatsächlich sind die Versicherungsbedingungen des englischen Versicherers in puncto Kostenerstattung für einzelne ambulante und stationäre Behandlungen teilweise derart eingeschränkt, dass der maximale Selbstbehalt von 5.000 Euro leicht gerissen werden kann.

Beispiele für eingeschränkte Kostenübernahme des britischen Versicherers:

  1. Laut dem Evolution Heath Plan des englischen Versicherers werden ambulante Arzt- und Beraterhonorare einschließlich Arznei- und Verbandmittel nur bis zu einer Höchstsumme von jährlich 5.000 Euro erstattet
  2. Die ambulante und stationäre Vorsorgebehandlung sowie eine palliative Behandlung bei chronisch Kranken ist ebenfalls auf jährlich 5.000 Euro beschränkt
  3. Im Falle einer Notaufnahme in ein Krankenhaus muss der Versicherte innerhalb von zwei Tagen sicherstellen, dass die Versicherung von der Aufnahme informiert wird. Ansonsten muss der Versicherte 25 Prozent der erstattungsfähigen Kosten selbst tragen

Angesichts dieser Risiken kam das Gericht zu der Einschätzung:

„In der Gesamtschau ist deshalb nicht nur zu befürchten, sondern zu erwarten, dass bei einer auch nur mittelschweren Erkrankung auf den Versicherungsnehmer selbst zu tragende Kosten zukommen, die den in § 193 Abs. 3 VVG bezifferten Betrag von 5.000 Euro überschreiten.“

Faktisches Kündigungsrecht für den Versicherer

Zudem sind die Kündigungsregeln des englischen Versicherers nicht mit § 146 Abs. 1 Nr. 3 VAG vereinbar, wonach das ordentliche Kündigungsrecht eines Versicherungsunternehmens ausgeschlossen sein muss.

Die Versicherungsbedingungen des britischen Versicherers sehen in Sachen Kündigung nämlich vor, dass ihm das Recht eingeräumt wird, den Versicherungsvertrag nicht fortzusetzen. Konkret:

  • Der Versicherer kann die jährliche Vertragsverlängerung widerrufen,
  • wenn er sich dazu entschließt, die streitgegenständliche Art von Krankenversicherungsschutz in Deutschland nicht mehr anzubieten.
  • Laut Gericht stellt das ein faktisches ordentliches Kündigungsrecht für den Versicherer dar.

Anforderungen an substitutive Krankenversicherung nicht erfüllt

Fazit: Der Folgeversicherungsvertrag beim britischen Versicherer war weit davon entfernt, die Anforderungen an eine substitutive Krankenversicherung i.S.d. § 146 Abs. 1 VAG und damit an eine Pflichtversicherung i.S.d. § 193 Abs. 3 VVG zu erfüllen.

Die vom Kläger begehrte Feststellung, dass der Krankenversicherungsvertrag mit der Beklagten aufgrund seiner Kündigung nicht mehr besteht, kann deshalb nicht getroffen werden. Die Klage wurde dementsprechend abgewiesen.

(LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 27.04.2017, 2 O 7905/15).

 Hintergrund:

Um einen ununterbrochenen Versicherungsschutz (Pflichtversicherungsschutz) sicherzustellen, werden seit 2008 die Kündigungsmöglichkeiten der Versicherungsnehmers an einen Folgevertrag geknüpfte.  Eine Kündigung setzt voraus:  

  • Es muss ein neuer Vertrag geschlossen worden sein, der die Versicherungspflicht i.S.d. § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt
  • und Versicherungsschutz ohne Unterbrechung gewährt (§ 206 Abs. 6 S. 1 VVG).
  • Dies muss gegenüber dem bisherigen Versicherer nachgewiesen werden (§ 206 Abs. 6 S. 2 VVG).

Beinhaltet der neue Vertrag z.B. einen zu hohen Selbstbehalt und erfüllt damit die Versicherungspflicht nicht, ist die Kündigung unwirksam, und zwar unabhängig von der Kenntnis dieses Umstands. Hier droht ungewollte Mehrfachversicherung.  

Normen:

§ 193 VVG Versicherte Person; Versicherungspflicht

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(3) Jede Person mit Wohnsitz im Inland ist verpflichtet, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und aufrechtzuerhalten; für Beihilfeberechtigte ergeben sich die möglichen Selbstbehalte durch eine sinngemäße Anwendung des durch den Beihilfesatz nicht gedeckten Vom-Hundert-Anteils auf den Höchstbetrag von 5.000 Euro. Die Pflicht nach Satz 1 besteht nicht für Personen, die

1. in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig sind oder

2. Anspruch auf freie Heilfürsorge haben, beihilfeberechtigt sind oder vergleichbare Ansprüche haben im Umfang der jeweiligen Berechtigung oder

3. Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben oder

4. Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind für die Dauer dieses Leistungsbezugs und während Zeiten einer Unterbrechung des Leistungsbezugs von weniger als einem Monat, wenn der Leistungsbezug vor dem 1. Januar 2009 begonnen hat.

Ein vor dem 1. April 2007 vereinbarter Krankheitskostenversicherungsvertrag genügt den Anforderungen des Satzes 1.


§ 146 VVG Substitutive Krankenversicherung

(1) Soweit die Krankenversicherung ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann (substitutive Krankenversicherung), darf sie im Inland vorbehaltlich des Absatzes 3 nur nach Art der Lebensversicherung betrieben werden, wobei

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