Rechtswidrigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung?
Hintergrund
Der Europäische Gerichtshof ist mit zwei Vorabentscheidungsersuchen des irischen „High Courts“ einerseits und des Verfassungsgerichtshofs von Österreich andererseits befasst. In beiden Ausgangsverfahren hatten betroffene Bürger bzw. eine Interessenvertretung gegen die jeweilige nationale Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geklagt. Das Bundesverfassungsgericht hat die deutsche Umsetzung dieser Richtlinie bereits im März 2010 für nichtig erklärt.
Schlussanträge des Generalanwalts am EuGH, v. 12.12.2013, C-293/12, C-594/12
Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof geht in seinem Schlussantrag mit überraschender Deutlichkeit von einer Nichtigkeit der Richtlinie aus. Insbesondere bemängelt er fehlende Schutzmechanismen für den Zugriff auf und die Auswertung der gespeicherten Daten. Beides müsse zwingend in der Richtlinie geregelt werden und dürfe nicht alleine den Mitgliedstaaten überlassen werden. Kritisch steht er überdies der Speicherfrist von bis zu zwei Jahren gegenüber. Nach seiner Auffassung gäbe es jedenfalls keine Argumente für eine Speicherfrist von mehr als einem Jahr.
Anmerkung
Abzuwarten bleibt zunächst, ob der Gerichtshof dem Antrag des Generalanwalts folgen wird. Dies ist zwar häufig der Fall, aber nicht zwangsläufig. Es ist aber mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass die Richtlinie auch durch den Gerichtshof für zumindest teilweise unwirksam erklärt wird.
Die Entscheidung dürfte auch hierzulande erhebliche Auswirkungen haben. Zum einen läuft derzeit ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, da die Richtlinie aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht (mehr) umgesetzt ist. Bei einer Verurteilung drohen Deutschland Strafzahlungen von bis zu 115 Mio. EUR pro Jahr. Dieses Verfahren wäre sicherlich vom Tisch, wenn der Gerichtshof die Richtlinie für unwirksam erklärt.
Zum anderen haben sich die Koalitionäre der Großen Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig zur Vorratsdatenspeicherung bekannt. Völlig unklar ist aber, wer zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet sein soll und wer die Kosten der notwendigen Infrastruktur tragen soll. Nach den Erfahrungen des für nichtig erklärten ersten Umsetzungsversuchs kann nicht ausgeschlossen werden, dass von der Vorratsdatenspeicherung auch Unternehmen betroffen sein könnten, die nicht zu den klassischen Telekommunikationsdienstanbietern (z.B. Telefonanbieter, Internetanbieter, E-Mail-Provider) gehören. Dies stand jedenfalls für die Unternehmen und Einrichtungen im Raum, die nicht nur einem eng abgrenzbaren Personenkreis (wie z.B. eigenen Mitarbeitern oder immatrikulierten Studenten), sondern auch weiteren Personen (Kunden, Gäste) Zugang zum Internet ermöglichen. Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen – unabhängig ob Telekommunikationsdienstanbieter oder nicht – würde die Schaffung der notwendigen Infrastruktur vor erhebliche Probleme stellen.
Dem Antrag des Generalanwalts ist jedoch auch zu entnehmen, dass er eine grundrechtskonforme Richtlinie durchaus für möglich hält. Bis eine solche verabschiedet werden könnte, würde aber sicherlich einige Zeit vergehen. Zudem darf man gespannt sein, ob sich im Zuge der derzeitigen Diskussionen um Datenskandale überhaupt noch eine Mehrheit für eine gegebenenfalls erforderliche neue Richtlinie in den dafür zuständigen europäischen Gremien findet. Abzuwarten bleibt auch, ob hierzulande ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auch dann noch erlassen wird, wenn der Gerichtshof die Richtlinie für unwirksam erklärt.
Rechtsanwälte Dr. Frank Jungfleisch, Sebastian Hoegl, LL.M. (Wellington), Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
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