Lösungsorientiertes Coaching

Allem Anschein nach wird das Label "systemisch" gerade durch das Modewort "lösungsorientiert" abgelöst. Beim lösungsorientierten Coaching beginnt ein Coaching jedoch nicht mit einem Problem, sondern mit der Beschreibung der erwünschten Zukunft.

Laut Diplom-Psychologe Jörg Middendorf, Leiter des BCO Büro für Coaching und Organisationsberatung und bekannter Business-Coaching, sieht Senior Coach (DBVC) sowie Professional Certified Coach (ICF), sollten sich Coachs nicht um die Ursachen der Probleme kümmern, von denen die Klienten erzählen. Der Klient wird deshalb zu Beginn des Coachings nicht gefragt "Was führt Sie zu mir?" oder "Was ist Ihr Anliegen?", weil dies automatisch dazu ermuntern könnte, dass der Klient sein Problem schildert. Beim lösungsfokussierten Ansatz hält man dies für nicht zielführend – vor allem aber für überflüssig.

Beim lösungsorientierten Coaching steht das erhoffte Ergebnis im Fokus

Der lösungsorientierte – oder lösungsfokussierte Ansatz, wie Middendorf ihn neuerdings benennt – nimmt die erwünschte Zukunft als Ausgangspunkt für das weitere Coaching. Daher lautet bei Middendorf die erste Frage häufig: "Was ist Ihre kühnste Hoffnung in Bezug auf das Ergebnis unserer Zusammenarbeit?" Es wird also direkt nach der erwünschten Zukunft des Klienten gefragt. Wenn diese erwünschte Zukunft erreicht wird, dann hat sich die Auseinandersetzung mit dem Problem quasi von allein erledigt.

Häufig sind Klienten durch ihre Sicht auf das Problem von den eigenen Ressourcen abgeschnitten und nicht in der Lage, zu erkennen, welche Kompetenzen sie zur Verfügung haben. Middendorf erklärt dazu: "Im lösungsfokussierten Ansatz wird die Aufmerksamkeit des Klienten daher auf jene Verhaltensweisen gelenkt, die bereits funktionieren, um eine Verstärkung dieser positiven Verhaltensweisen zu erzielen. Je klarer das Bild des Klienten von seinem Ziel und auch von seinen Ressourcen ist, desto eher findet er darin eigenständig die passenden Entwicklungsimpulse für die Gestaltung seiner erwünschten Zukunft."

Probleme werden nicht hinterfragt

Diese radikale Zukunftsorientierung ist es, die das lösungsfokussierte Vorgehen von anderen Coaching-Ansätzen unterscheidet. Die Fokussierung auf die Zukunft bedeutet laut Middendorf nicht, dass nicht über Probleme gesprochen werden darf. Dazu sei der Leidensdruck vieler Klienten häufig zu groß. Der Coach versucht aber nie, das Problem zu verstehen oder das Problem neugierig zu hinterfragen. 

Middendorf ist sich sicher: "Je klarer man sich über die erwünschte Zukunft ist, desto stärker verändert sich der Blick auf die Gegenwart." So tritt das eigentliche Problem (zum Beispiel "Meine Mitarbeiter sind alle schwierig") oft in den Hintergrund, und der Fokus richtet sich auf das dahinterliegende Ziel des Klienten ("Ich will eine respektierte Führungskraft sein"). Beim lösungsorientierten Coaching geht es darum, die "Weisheit des Klienten" zu nutzen und seine Problem­lösungsenergie zu verstärken.

Übliche Fragen im lösungsorientierten Coaching

Bei der Suche nach Vorboten einer guten Zukunft hilft der Coach mit Fragen wie:

  • Welche Anzeichen gab es schon, die in die gewünschte, künftige Richtung gingen?
  • Zu welchem Zeitpunkt konnten Sie schon ein klein wenig der erwünschten Zukunft erleben?
  • Welche Fortschritte gab es noch?
  • Was hat bereits funktioniert?
  • Wann war es schon ein wenig besser als sonst?
  • Wann lief es trotz Anspannung gut?

Das Ziel des lösungsfokussierten Ansatzes ist es, den Klienten erleben zu lassen, alles zu haben, was er braucht, um seine Ziele selbst zu erreichen. Middendorf sagt dazu: "Die Kraft der Veränderung liegt nur beim Klienten und nie beim Coach. Der Coach versucht, sich unsichtbar zu machen."

Gängige Kritik an der Lösungsorientierung im Coaching

Jedem, der sich für Nachrichten aus der Wirtschaft interessiert, ist bestimmt schon aufgefallen, dass es zwei Wege gibt, wie Volkswirte eine Krise bekämpfen wollen. Die einen schlagen vor, dass der Staat den Konsumenten zum Beispiel durch Steuersenkungen mehr Geld zukommen lässt, um die Nachfrage anzukurbeln. Die anderen fordern vom Staat, die Unternehmen zu entlasten, damit die Angebotsseite wettbewerbsfähiger werden kann und so die Wirtschaft zum Beispiel durch Innovationen wieder angekurbelt wird.

Auch unter den Psychologen gibt es solche gravierenden Spannungsfelder. Die einen sagen: Nur Reden hilft. Die anderen setzen dagegen stärker auf das Fühlen. Mal geht es um das Individuum, mal wollen sich andere nur noch um das System kümmern. Und dann positionieren sich die "Lösungsorientierten" auch noch gegen die "Problemorientierten". Für die Lösungsorientierten wühlen die Problemorientierten nur schmerzhaft in der Vergangenheit. Die Problemorientierten kritisieren dagegen die Lösungsorientierten als viel zu oberflächlich. Sie ließen die tieferen Schwierigkeiten eines Menschen, die sich erst im Verlauf eines längeren Coaching-Prozesses zeigten, einfach unbearbeitet. 

Der lösungsorientierte Ansatz sieht den Klienten als alleinigen Experten für sich selbst. Die Lösungsorientierten verzichten deshalb – im Vertrauen auf die Selbstkompetenz des Klienten – grundsätzlich darauf, die Ziele eines Klienten zu hinterfragen. Andere psychologische Richtungen sind der Ansicht, dass der Coach durchaus "unreife Ziele" (zum Beispiel das nach Reichtum) oder kontraproduktive Ziele (zum Beispiel nach mehr Durchsetzungsfähigkeit bei einem Teamleiter, der ohnehin schon dominant ist) in Frage stellen dürfen sollte. Sie behaupten: Ein Klient werde schließlich ohne einen Hinweis seines Coachs nie auf die Idee kommen, dass der Stellenwert seines Ziels vielleicht noch genauer betrachtet werden sollte. 


Lesen Sie diesen Beitrag auch in Ausgabe 7+8/2022 der Zeitschrift "wirtschaft+weiterbildung".

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