Weiterbildungsanbieter vertreiben längst nicht mehr nur ein Seminarangebot "von der Stange" sondern entwickeln gemeinsam mit Kunden individuelle Weiterbildungskonzepte. Beim Zukunftstalk der "Wirtschaft + Weiterbildung" diskutierten die Teilnehmer über diese strategische Einbindung. 

Wirtschaft und Weiterbildung: US-Akademien werben mit dem Stabreim „From Catalogues to Consultancy“ und sprechen von einer neuen Partnerschaft mit ihren Kunden – jenseits der Seminarkataloge. Wie sieht das in Deutschland aus?

Dr. Sabine Dyas, Geschäftsführerin der IHK-Akademie Koblenz (www.ihk-akademie-koblenz.de): Wir verstehen uns auch als Entwicklungspartner. Wenn Unternehmen individuelle Weiterbildungen anfragen, dann wollen sie dadurch ein konkretes Problem lösen. Es kommt vor, dass sich nach einem Seminar die Unternehmenskultur schrittweise ändert. Sei es, dass die trainierten Mitarbeiter zu Multiplikatoren im Unternehmen oder anspruchsvoller gegenüber ihren Führungskräften werden. Als Entwicklungspartner freuen wir uns dann, wenn wir das Unternehmen bei der weiteren Personalentwicklung unterstützen dürfen und wir sind dann dabei, wenn sich viel mehr ändert als zu Beginn einer Weiterbildungsmaßnahme gedacht. Das macht unsere Arbeit reizvoll. 

Akademien als Partner für Strategie und Entwicklung

Dr. Clemens Rihaczek, Geschäftsführer der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Überlingen (www.die-akademie.de): Es geht schon lange nicht mehr darum, dass „kleine“ Lernziele erreicht werden. Es geht darum, dass Unternehmen ihre Herausforderungen meistern. Und wir als Akademien sollten uns fragen, wie wir für ein Unternehmen als strategischer Partner so interessant werden, dass es uns braucht, um seine Ziele zu erreichen.

Dr. Jörg Schmidt, Geschäftsführer der Haufe Akademie in Freiburg (www.haufe-akademie.de): Weiterbildung muss sich ableiten aus den strategischen Zielen eines Unternehmens. So bekommt Weiterbildung in der letzten Zeit zum Beispiel oft die Aufgabe, die Engpässe des Arbeitsmarkts zu lösen. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Wirtschaft gibt es viele neue Jobprofile wie zum Beispiel Data Scientists. In diesem wie in anderen Bereichen kommen Unternehmen nicht umhin, die zum Teil dramatischen Engpässe an Spezialisten durch umfassende „Aufqualifizierung“ des bestehenden Personals lösen zu müssen. Da können die Akademien sich ganz leicht als zentraler Erfolgsfaktor für die Unternehmen nützlich machen, eben indem sie für diese New Jobs ebenso wie für bestehende Jobprofile, die sich erheblich wandeln, vollumfassende Qualifizierungen anbieten. 

"Es geht schon lange nicht mehr darum, dass „kleine“ Lernziele erreicht werden. Es geht darum, dass Unternehmen ihre Herausforderungen meistern." - Dr. Clemens Rihaczek, Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft

Rihaczek: Und wir haben heute ganz andere Möglichkeiten, die Teilnehmer nach einem Seminar zu begleiten – indem wir informelles Lernen beim Einzelnen unterstützen. Das gehört für mich auch zur Rolle des Entwicklungspartners dazu. Es geht darum, sowohl die Unternehmen bei der Umsetzung ihrer strategischen Ziele zu begleiten, als auch die Angestellten bei der Erreichung ihrer ganz persönlichen Bildungsziele zu unterstützen. 

Schmidt: Der Wertschöpfungsbeitrag, der von uns erwartet wird, wird eben immer breiter. Wo man früher als Lieferant von Seminaren angefragt wurde, geht es heute oft um deutlich mehr – wie technische Lösungen für Lernplattformen und Ma­naged Training Services. Diese Verbreiterung des Leistungsspektrums ist eine Chance für die Akademien, aber auch eine große Herausforderung, weil man hohe Summen investieren muss, um lieferfähig zu sein. Man muss den Unternehmen zum Beispiel helfen können, eine eigene Lernplattform maßzuschneidern und wertvollen Content draufzuspielen. 

Mit Weiterbildung gegen den Fachkräftemangel

Dyas: Den Unternehmen, egal ob groß oder klein, fehlen die Fachkräfte – und sie suchen nach dem begehrten Personal immer händeringender. Doch Abhilfe ist kaum in Sicht. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK schätzt, dass fast die Hälfte der Betriebe inzwischen Schwierigkeiten hat, offene Stellen zu besetzen. Deshalb macht es Sinn, die vorhandenen Mitarbeiter weiterzuentwickeln oder umzuschulen. Aber der betroffene Lerner will eine Gegenleistung für seine Mühe. 

Wir begrüßen es deshalb, dass es ab 2020 die Möglichkeit gibt, die Titel „Bachelor Professional“ und „Master Professional“ für die Abschlüsse der höheren Berufsbildung wie zum Beispiel Industriemeister, Wirtschaftsfachwirte oder Bilanzbuchhalter auf der Bachelorstufe und beispielsweise für die Geprüften Betriebswirte auf der Masterebende zu nutzen. Die neuen Abschlussbezeichnungen sind ein wichtiges Signal für die Gleichwertigkeit der beruflichen Weiterbildung mit den Hochschulabschlüssen. Es ist eine Anerkennung der Leistung und des hohes Qualifikationsniveaus für Teilnehmer und Unternehmen. Der anerkannte Weiterbildungsabschluss mit bundeseinheitlicher Prüfung ist ein attraktiver Lohn für die Mühen des Lernens.

Rihaczek: Man sollte aber Folgendes bedenken: Die Unternehmen haben nicht den geringsten Zweifel, dass Mitarbeiter, die eine duale Ausbildung absolviert haben, sehr gute Führungskräfte sein werden. Aber viele junge Menschen haben Zweifel, ob sie mit einer dualen Ausbildung wirklich Karriere machen können. Sie fragen sich, ob sie nicht doch den Masterabschluss einer Universität brauchen. Dieser Verunsicherung muss man Rechnung tragen und jeden Bildungsabschluss so relevant wie möglich gestalten. 

"Den Unternehmen, egal ob groß oder klein, fehlen die Fachkräfte – und sie suchen nach dem begehrten Personal immer händeringender." - Dr. Sabine Dyas, IHK-Akademie Koblenz.

Schmidt: Ich beobachte auch, dass der Wunsch wächst, formelle und auch informelle Weiterbildung mit digitalen Kompetenznachweisen zu hinterlegen. Dies geschieht bei uns zusätzlich zu den Zertifikaten neuerdings auch durch „Open Badges“. Nach erfolgreicher Weiterbildung möchte man zeigen, was man kann. Mit „Open Badges“ geht das digital. Wir erstellen für jeden Teilnehmer individuell einen digitalen Kompetenznachweis, den er dann seinen digitalen Bewerbungen beifügen oder in den sozialen Medien verbreiten kann. Spannend ist: So können auch informelle Lernleistungen gewürdigt werden. Wer auf ein Badge klickt, der sieht, welche Inhalte sich der Inhaber des Badges angeeignet hat und wie er das getan hat – zum Beispiel indem er erfolgreich mit Lernpartnern ein Projekt durchführte. Weiterbildung wird so eine höhere Wertigkeit erlangen. 

Digitaler Nachweis individueller Kompetenzen

Rihaczek: Genau darauf wird es in Zukunft ankommen, dass wir nicht nur den Unternehmen in Sachen Personal- und Organisationsentwicklung helfen, sondern dass wir auch zeigen, dass eine Führungskräftemaßnahme dem einzelnen Teilnehmer etwas gebracht hat. Es gilt, Nachweise auf der ganz individuellen Ebene zu produzieren. Es ist letztlich die Kombination aus individuellem Training und der Arbeit an einer Organisation, die den entscheidenden Erfolg bringt.

Schmidt: Das ist ja gerade der Vorteil der Open Bages, dass auch Kompetenzen, die auf der persönlichen Ebene liegen, zertifiziert werden können. 

Dyas: Durch den Nachweis individueller Kompetenzen verbessern sich für den Absolventen seine Arbeitsplatzsicherheit und seine generellen Beschäftigungschancen. Im Mittelstand fragte man sich früher gelegentlich: Führt Weiterbildung eines Mitarbeiters nicht eher dazu, dass ich ihn verliere? Wir sehen, dass sich diese Haltung verändert hat. Die Unternehmen sind sich bewusst, dass man Mitarbeiter entwickeln muss, um sie zufrieden zu stellen und an sein Unternehmen zu binden. Gerade die persönliche Weiterbildung ist ein gutes Mittel, um Mitarbeiterzufriedenheit herzustellen und nicht zuletzt ergibt sich die Chance, dass Unternehmen dauerhaft weiterzuentwickeln. 

Schmidt: Weiterbildung ist in der Tat ein guter Weg, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Die Personalchefs werden in Bewerbungsgesprächen deutlich häufiger als früher mit der Frage konfrontiert, welche Möglichkeit der Entwicklung der Einzelne denn habe. Es geht nicht mehr in erster Linie um eine schnelle Beförderung und eine rasante Karriere, sondern um die Möglichkeiten, die man hat, um seine Kompetenzen grundlegend und dauerhaft zu verbessern.