Trends in 20 Jahren HR

20 Jahre Personalmagazin und 20 Jahre "Zukunft Personal". Zum Jubiläum blicken Professor Jutta Rump und Professor Wolfgang Jäger zurück: Wie hat sich in dieser Zeit die Personalarbeit ver­ändert? Und welchen Einfluss hatten neue Technologien und gesell­schaft­liche Entwicklungen auf Be­deutung und Macht von HR?

Personalmagazin: Genau vor 20 Jahren wurde die Messe „Zukunft Personal“ gegründet. Das Ziel war damals, einen Marktplatz für HR-Dienstleister zu schaffen. Wenn man heute die Messezahlen und Ausstellerdaten betrachtet, zeigt sich, dass dieser Dienstleistermarkt um HR stark gewachsen ist. Spiegelt sich darin ebenfalls eine wachsende Bedeutung von HR wider? 

Wolfgang Jäger: Ich wage zu bezweifeln, dass HR an Bedeutung gewonnen hat. Als die Zukunft Personal vor 20 Jahren gegründet wurde, gab es bereits große HR-Kongresse. Ich denke etwa an den SAP-HR-Kongress oder den DGFP-Kongress, die beide mehr als 1.000 Teilnehmer hatten. Es gab über HR-Themen eine genauso lebendige Debatte wie heute. Die Zahl der rein­en Personalvorstände im Dax war vermutlich ebenfalls höher. 

Jutta Rump: HR wird heute nicht mehr mit Verwaltung gleichgesetzt, sondern wir sprechen bei HR auch über Business-Entwicklung und Investitionspolitik. Ursache dafür ist ein gesellschaftlicher Wertewandel, der sich auch am Arbeitsmarkt auswirkt. Stichworte dafür sind Globalisierung, Fachkräftemangel, demografischer Wandel und die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen. HR-Themen sind heute in der Unternehmensspitze präsent, darin spiegelt sich die zunehmende Bedeutung von HR wider.

HR-Themen wie „Talent Management“ oder „Neue Arbeitswelt“ stehen heute auf der Agenda der CEOs. Das spricht doch für mehr Einfluss und mehr Macht von HR ...

Jäger: Die Agenda 2010, die die damalige rotgrüne Regierung durchgesetzt hat, verschaffte der HR-Arbeit ab 2003 einen großen Rückenwind. Es ging vor allem um die Flexibilisierung der Arbeitswelt, etwa durch den Ausbau der Zeitarbeit. Die „atmende Personalpolitik“ – wie es damals hieß – ermöglichte vielen Firmen, durch die Weltwirtschaftskrise zu kommen, da sie ihre Personalressourcen schnell an Auftragseinbrüche anpassen konnten. Ab 2010 erlebten wir einen ungebrochenen Aufschwung, in dem die Unternehmen viel Geld hatten, um sich mit schönen Dingen wie New Work, Feel Good und neuer Arbeitswelt zu beschäftigen. Einen wirklichen Fortschritt kann ich nicht erkennen.

Rump: Systeme verändern sich durch externe Faktoren. Die Knappheit an Arbeitskräften hat dazu geführt, dass das Employer Branding ausgebaut wurde, mehr Frauen in Beschäftigung kamen und auch ihr Aufstieg begünstigt wurde, aber auch in eine Verbesserung der Führungskultur investiert wurde. Meine These ist: Es hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr verändert als in den vier Jahrzehnten zuvor.

Haben wir tatsächlich beim Thema „Chancengleichheit“ nur deshalb Fortschritte erzielt, weil die Fachkräfte fehlen?
Rump:
Das ist ein ganz wesentlicher Faktor, warum die gut ausgebildeten Frauen zunehmend in Fach- und Führungspositionen kommen. Ich finde das bitter, muss das aber ganz nüchtern feststellen. Der zweite Faktor war sicher, dass die Androhung der Frauenquote Unternehmen in Bewegung gesetzt hat. Die Frauenquote stand vor zwei Jahrzehnten unter der Regierung von Gerhard Schröder im Raum, der diese dann aber beiseitegeschoben hat zugunsten einer Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Das Thema hat dann Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen 2009 wieder aufgegriffen und 2015 wurde die Frauenquote für die Aufsichtsräte Gesetz. Beide Faktoren waren für die Verbesserung bei der Chancengleichheit wesentlich. 

In der HR-Organisation nehmen Frauen inzwischen häufig Machtpositionen ein. Unter den „40 führenden HR-Köpfen“ finden sich erstmals mehr Managerinnen als Manager ... 
Rump:
Das finde ich auch prinzipiell gut – ich bin eine Verfechterin von Diversität und Diversity. Und ich bin der Ansicht, dass ein Vorstand, der heterogener zusammengesetzt ist, mehr Perspektiven in einen Raum holt und damit eine bessere Grundlage für Entscheidungen hat. Allerdings betrachte ich es auch mit Sorge, dass vor allem die Ressorts HR oder Finance mit Frauen besetzt werden, weniger die Produktion, der Vertrieb oder die CEO-Position. Ich bin leidenschaftliche Verfechterin der Personalarbeit, aber andere Ressorts haben vielfach immer noch mehr Gewicht im Vorstand. Davor möchte ich die Augen nicht verschließen.

Ich betrachte es mit Sorge, dass vor allem die Ressorts HR oder Finance mit Frauen besetzt werden – weniger die gewichtigeren wie Produktion oder Vertrieb. Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen IBE

Herr Jäger, sehen Sie auch diesen Fortschritt beim Thema „Diversity und Chancengleichheit“?
Jäger:
Das ist sicherlich ein Erfolg, den die Frauen und auch HR verbuchen können. Das Thema „Chancengleichheit“ ist in den Unternehmen angekommen und verankert – es ist noch nicht ganz umgesetzt, aber bereits auf einem sehr guten Weg.

Lassen Sie uns das Feld der Personalentwicklung und Qualifizierung betrachten. Lassen sich da nicht auch erhebliche Fortschritte verzeichnen? 
Jäger:
Im Bereich der dualen Berufsausbildung sind neue Berufsbilder entstanden, die den veränderten Qualifikationsanforderungen der Betriebe Rechnung tragen. An den Hochschulen wurden Bachelor- und Masterstudiengänge geschaffen, die bis heute kontrovers diskutiert werden. Die betriebliche Bildung – einschließlich E-Learning – hat sich aber nicht grundlegend verändert. Ich sehe die eine oder andere Bewegung, jedoch keine gravierenden Fortschritte. Auch bei der Digitalisierung der Personalentwicklung gibt es für mich zu wenige Leuchtturmprojekte.

Sie stellen im Feld der Qualifizierung also Rückschritte oder bestenfalls einen Stillstand fest? 

Jäger: Ob Rückschritt oder Stillstand, das hängt vom Standpunkt ab. Aber richtig viel bewegt hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht. Lediglich bei der Entwicklung von neueren Formen der Arbeitsorganisation hat sich etwas getan – Stichwort „Agilität“.

Rump: Zum Feld „Personalentwicklung“ möchte ich das Thema „Employability“ reflektieren. Als wir 2002 das Institut für Beschäftigung und Employability an der Hochschule Ludwigshafen gegründet haben, war das Thema „Employability“ im Aufwind. Auch in der Weltwirtschaftskrise 2009 haben wir empirisch untersucht, dass Qualifizierung und Personalentwicklung in der Krise an Bedeutung gewonnen haben. Statt Massenentlassungen durchzuführen, haben die Betriebe in Qualifizierung investiert. Angesichts der Verwerfungen, die die digitale Transformation mit sich bringt, erlebt das Thema „Employability“ gegenwärtig einen neuen Aufschwung.

Meine Befürch­tung ist, dass wir heute zu viele Schön­wetter­kapitäne in der Führung haben, die eine Krise gar nicht kennen und über keine Strategien verfügen. Prof. Dr. Wolfgang Jäger, Gesellschafter der Dr. Jäger Management Group

Jäger: Vor zehn Jahren hatten wir in der Krise viele schlaue HR-Manager, die auf Krisenzeichen nicht reflexartig mit Kostenabbau durch Entlassungen reagiert haben, sondern Kosten durch Kurzarbeit, Flexibilisierung und Qualifizierung gesenkt haben. Meine Befürchtung ist, dass wir gegenwärtig zu viele Schönwetterkapitäne in der Führung haben, die eine Krise gar nicht mehr kennen und über keine entsprechenden Strategien verfügen.

Rump: Da müssen wir uns dann an die eigene Nase fassen, da wir den Nachwuchs an den Hochschulen ausgebildet haben. Wir haben ihnen doch das Rüstzeug beigebracht, um Verhaltensmuster zu brechen, neue Wege zu gehen und Krisen bewältigen zu können. Ich bin zuversichtlich.

Die HR-Entwicklung ist immer auch von der Technologieentwicklung geprägt. Im Jahr 1993 kam das Internet. Hat die Bedeutung der Technologie für HR mit dem Internet in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen?

Jäger: Das Internet hat unsere Kommunikation verändert und das ganze Arbeitsleben nachhaltig beeinflusst. Das Internet 1.0 hat uns die Webseiten gebracht, das Internet 2.0 die sozialen Medien, das Internet 3.0 hat als Zwischenschritt mobile Anwendungen gebracht und heute sprechen wir über das Internet der Dinge und den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Die Anwendungsbreite ist groß, sie reicht vom Recruiting, dem Lernen bis zu den Wearables bei der Arbeitskleidung.

Kann man also sagen, dass das Internet die größte Veränderung war, die wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten erlebt haben?

Jäger: Ich sehe zwei Faktoren: Einerseits die gesellschaftlichen Entwicklungen, die Professorin Rump beschrieben hat. Sie verliefen parallel zu den technologischen Entwicklungen. Andererseits muss man aber auch festhalten, dass die technologischen Fortschritte immer die größten Treiber für die Organisationsentwicklung waren. Das liegt schlicht daran, dass für neue Technologie Budgets bereitgestellt werden.

Rump: Ich sehe auch die Parallelität von gesellschaftlicher und technologischer Entwicklung. Das Thema Work-Life-Balance ist ein gesellschaftlicher Trend, der durch die Nutzung von neuen Technologien besser umsetzbar wurde. Was letztlich der Treiber ist, lässt sich aber nur schwer beurteilen.

Darf ich die Debatte zusammenfassen und sagen:  Die Technologieentwicklung hat die Arbeitswelt besser gemacht? 

Jäger: Nicht besser, aber anders.

Rump: Es kommt auf die Perspektive an.

Zuvor haben Sie aber gesagt, dass es heute einfacher ist, Beruf und Familie miteinander zu verbinden – auch dank der Technologie. 

Jäger: Die neuen Technologien verursachen aber auch Stress. Sie haben dazu geführt, dass die Leute erreichbar sein müssen, wollen oder dürfen; dass sie in Echtzeit reagieren sollen und keine Ruhe mehr finden. Technologien haben immer zwei Seiten, sie bringen Vorteile und zugleich auch neue Belastungsfaktoren. 

Rump: Ob bei neuer Technologie die Vor- oder die Nachteile überwiegen, ist am Ende auch eine persönliche Beurteilung. Für den einen überwiegen die Nachteile, für den anderen die Vorteile. Das hat sehr viel mit den Kompetenzen der Einzelnen und ihren persönlichen Einstellungen zu tun. Damit sind wir schon wieder beim Thema „Qualifizierung und Personalentwicklung“.

Bei der Rückschau geht es immer auch um Bewertungen, die natürlich subjektiv sind. HR-Veranstaltungen sind heute cooler und lebendiger als vor 20 Jahren. Das Thema „Gestaltung der Arbeitswelt“ ist zu einer gesellschaftlichen Debatte geworden, der sich die Geschäftsführer nicht mehr verschließen können. Sehen Sie auch eine Verbesserung der Arbeitswelt?

Rump: Ich sehe viele Fortschritte, die wir diskutiert haben: bei der Chancengleichheit, der Talentförderung und der Bedeutung von HR in manchen Unternehmen. Doch es gab in anderen Bereichen auch Rückschritte, etwa bei der zunehmenden Lohnspreizung und dem Niedriglohnsektor. Deshalb ist ein Pauschalurteil über die vergangenen zwei Jahrzehnte schwierig.

Jäger: Ich bleibe bei meiner ambivalenten Beurteilung. Im ersten Jahrzehnt wurden gute Strategien entwickelt, in der anschließenden Schönwetterperiode wurde viel ausprobiert, das Spaß machte, aber strategisch wenig Substanz hatte. Das gilt für mich insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen der Digitalisierung.

Prof. Dr. Jutta Rump ist Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen IBE.

Prof. Dr. Wolfgang Jäger ist Gesellschafter der Dr. Jäger Management Group.

Das Gespräch moderierte Reiner Straub.

Das Interview ist als Teil des Schwerpunkts "20 Jahre HR" in Personalmagazin 09/2019 erschienen. Sie können die Ausgabe auch in unserer Personalmagazin-App lesen.


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