Diskriminierung in der Personalauswahl

Da Diversity Management seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Personalarbeit in Unternehmen ist, sollte Diskriminierung tendenziell an Bedeutung verloren haben. Doch stimmt das wirklich? Und welche Gruppen sind besonders von Diskriminierung betroffen?

Diskriminierung von Personen und Gruppen und deren Vermeidung ist von jeher ein zentrales Thema der Personalarbeit. Breit diskutiert wurde in den letzten Jahren insbesondere die Geschlechterdiskriminierung. Die Unterrepräsentation von Frauen in (Top-)Führungspositionen ist empirisch gut belegt und hat mit dem Führungspositionengesetz zu entsprechenden Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen geführt. Bei der Vergütung zeigte sich zuletzt in Deutschland ein "Gender Pay Gap" von 18 Prozent; unter Berücksichtigung vergleichbarer Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien verbleiben davon immer noch 7 Prozent (Destatis, 2023). Andere Gruppen, die potenziell der Diskriminierung unterliegen könnten, finden hingegen weniger Beachtung in der öffentlichen Diskussion. Dies ist überraschend, da Diversity Management auf einem breiteren Verständnis von Vielfalt aufbaut und insbesondere ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion neben Geschlecht als relevante Merkmale ansieht. Die Zuwanderung in den letzten Jahren erhöht die Bedeutung des Merkmals "Herkunft", insbesondere unter Berücksichtigung des Fachkräftemangels und der entsprechenden Lösungs­strategien. 

Vor diesem Hintergrund wollen wir bezüglich der Zielgruppen einen breiteren Blick auf das Thema Diskriminierung werfen und insbesondere folgende Fragen beantworten: Welche Gruppen sind besonders von Diskriminierung betroffen? Diversity Management ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Personalarbeit in Unternehmen. Diskriminierung sollte folglich tendenziell an Bedeutung verloren haben. Unsere zweite Frage lautet deshalb: Hat Diskriminierung im Zeitverlauf zu- oder abgenommen? In der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit wurde Diskriminierung in der Personalauswahl vor circa zehn Jahren im Kontext anonymisierter Bewerbungs­verfahren diskutiert. In jüngster Vergangenheit erregten Untersuchungsergebnisse zur Diskriminierung durch KI-gestützte Auswahlverfahren Aufmerksamkeit. In der empirischen Personalforschung dominieren Studien aus dem angloamerikanischen Raum, Untersuchungen in Europa oder gar Deutschland nehmen nur einen geringen Anteil ein. Gerade beim Thema Diskriminierung dürften kulturelle und geografische Hintergründe allerdings eine große Rolle spielen. Auf der Basis der vorliegenden Studien wollen wir deshalb der dritten Frage nachgehen, ob sich die Ergebnisse für Deutschland systematisch von den globalen Ergebnissen unterscheiden. 

Während die folgende Darstellung bezüglich der Zielgruppen breit angelegt ist, konzentrieren wir uns fachlich auf Diskriminierung in der Personalauswahl und ignorieren Themengebiete wie Beförderungen oder Vergütung. Dieser Fokus auf die Personalauswahl hat nicht zuletzt methodische Gründe, da in der Personalauswahl experimentelle Untersuchungs­designs leichter umzusetzen sind und kausale Interpretationen ermöglicht werden. Grundlegend für die folgende Betrachtung ist die aktuelle Metaanalyse von Louis Lippens, Siel Vermeiren und Stijn Baert (2023). Wir beginnen den Beitrag deshalb mit einer Einleitung zu den Untersuchungsmethoden im Themenfeld Diskriminierung.

Feldexperimente als Goldstandard

Ausgangspunkt für die Analyse von tatsächlicher oder vermeintlicher Diskriminierung sind in der Regel einfache deskriptive Kennzahlen wie der Anteil an Frauen in Führungspositionen oder der Unterschied in den Bruttostundenverdiensten zwischen Männern und Frauen. Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, werden bei Vergütungsuntersuchungen relevante und bekannte Drittfaktoren wie Beruf oder Ausbildung mitberücksichtigt (zum Beispiel über eine Oaxaca-Blinder-Zerlegung; Blinder, 1973; Oaxaca, 1973). Der verbleibende Unterschied wird dann als Diskriminierung interpretiert, da eine hinreichende Begründung für die Unterschiede fehlt. Diese Interpretation lässt sich zweifach kritisieren, wobei die Korrektur sowohl zu einer Überschätzung als auch Unterschätzung des tatsächlichen Ausmaßes an Diskriminierung führen kann. Zum einen können nur bekannte Faktoren inte­griert werden, die Unterschiede könnten allerdings auf bislang unbekannte Faktoren zurückzuführen sein. Diese Problematik ist als "omitted variable bias" über die Diskriminierungs­forschung hinaus weit verbreitet. Zum anderen kann sich Diskriminierung auch in den Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten gut bezahlten Berufen und Positionen ausdrücken, die dann aber einfach "herausgerechnet" wird.

Kausale Interpretationen sind auf Basis experimenteller Untersuchungsdesigns möglich, die sich bei Vergütungs- oder Beförderungsfragen jedoch kaum umsetzen lassen, im Bereich der Personalauswahl aber vergleichsweise einfach anzuwenden und seit der grundlegenden Studie von Bertrand und Mullainathan (2004) entsprechend weit verbreitet sind. Die Experimente werden so aufgebaut, dass für reale Stellenausschreibungen Bewerbungen versendet werden. Die Bewerbungen werden nahezu identisch formuliert und lediglich bezüglich des zu untersuchenden Diskriminierungsmerkmals variiert. In der Kontrollgruppe ist beispielsweise die Bewerbung für eine 40-jährige männliche Person formuliert, in der Experimentalgruppe wird lediglich das Geschlecht geändert, alle anderen Daten bleiben identisch. Gemessen werden dann die Rückmeldungen der Arbeitgeber. Erhalten die Bewerbungen der weiblichen Bewerberin signifikant weniger positive Rückmeldungen als die Bewerbungen der männlichen Person, liegt Geschlechterdiskriminierung vor. Da nur dieser eine Parameter geändert wurde, ist eine kausale Interpretation möglich, das heißt, das Geschlecht ist ursächlich für die Ablehnung. Der Nachteil dieser Untersuchungsform ist, dass lediglich Diskriminierung auf dieser ersten Stufe des Bewerbungsprozesses erfasst wird.

Welche Merkmale führen zur Diskriminierung?

Louis Lippens und Kollegen (2023) greifen in ihrer Meta­analyse auf insgesamt 169 experimentelle Einzelstudien zurück, die seit 2005 veröffentlicht wurden. In Abbildung 1 ist der Grad der Diskriminierung aufgezeigt, der für die einzelnen Merkmale vorliegt. Gemessen wird die relative Chance, das heißt die Wahrscheinlichkeit einer positiven Resonanz auf die Bewerbung in der Experimentalgruppe im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit einer positiven Resonanz in der Kontrollgruppe. Werden beispielsweise in der Kontrollgruppe 20 der 100 Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, in der Experimentalgruppe sind es dagegen nur 10 von 100, so ergibt sich ein Wert von -50 Prozent.  Die Wahrscheinlichkeit einer Einladung in der Experimentalgruppe liegt also bei 50 Prozent der Wahrscheinlichkeit in der Kontrollgruppe. Je höher der betragsmäßige Wert desto ausgeprägter ist die Diskriminierung. 

Abb. 1: Wert der Vergleichsgruppe

International zeigt sich mit einer Reduktion der Wahrscheinlichkeit einer positiven Rückmeldung um -41 Prozent das größte Ausmaß an Diskriminierung bezüglich einer Behinderung. In den Einzelstudien wurden unterschiedliche Formen physischer oder psychischer Behinderung berücksichtigt wie eine überwundene Depression, eine HIV-Infektion oder Taubheit. Bezüglich des Geschlechts lässt sich keine Diskriminierung von Frauen nachweisen. Im Gegenteil, Frauen haben eine geringfügig höhere Chance zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Bezüglich des Alters zeigt sich eine substanzielle Diskriminierung älterer Beschäftigter, wobei in den Einzeluntersuchungen meist ein Alter um die 50+ angenommen wird. Bezüglich der sexuellen Orientierung ist zu berücksichtigen, dass hier auch die Mitgliedschaft in einer entsprechenden Gruppe als Variable genutzt wurde und somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich um eine Diskriminierung gegen Aktivismus allgemein handelt. Auf etwa gleichem Niveau liegt die Diskriminierung bezüglich der Herkunft, die in den Einzelstudien häufig über unterschiedliche Namen operationalisiert wird. Alternativ ist auch eine Operationalisierung über den Akzent möglich, indem Bewerber sich telefonisch beim entsprechenden Arbeitgeber mit Rückfragen zur Ausschreibung melden. Auch hier zeigt sich eine substanzielle Benachteiligung von Personen mit Akzent (Spence et al., 2022). Eine substanzielle Diskriminierung zeigt sich auch bezüglich des Aussehens, das in den Einzelstudien in der Regel mithilfe des Bewerbungsfotos manipuliert wurde, wobei überwiegend die Attraktivität untersucht wurde. 

Ausmaß der Diskriminierung: Veränderungen im Zeitverlauf

Unternehmen haben in den letzten Jahren ein Augenmerk auf die Vermeidung von Diskriminierung im Personalmanagement und in der Rekrutierung gelegt. Programme zur Förderung von Diversität sind ebenso verbreitet wie Trainings zur Vermeidung von Diskriminierung. Welchen Effekt hatten diese Maßnahmen auf das Ausmaß der Diskriminierung? Bezüglich Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung und Behinderung lässt sich keine statistisch signifikante Veränderung im Zeitverlauf nachweisen. Lediglich für die Diskriminierung bezüglich der Herkunft findet sich bei der aggregierten Datenanalyse eine Reduktion der Diskriminierung. Diese führen die Autoren allerdings eher auf eine Veränderung im Mix der Untersuchungen zurück (Lippens et al., 2023). Von einer substanziellen Reduktion der Diskriminierung in der Personalauswahl kann somit nicht gesprochen werden, auch wenn eine längere Zeitperiode berücksichtigt wird (Quillian et al., 2017).

Regionale Unterschiede und Ergebnisse für Deutschland

Glücklicherweise liegen für den hier gewählten Untersuchungsgegenstand zahlreiche Einzelstudien aus Europa und auch Deutschland vor. In welchen Ländern ist Diskriminierung besonders ausgeprägt und wie schneidet Deutschland hier ab? Altersdiskriminierung ist in Europa stärker ausgeprägt als in den USA, spezifische Ergebnisse für Deutschland lassen sich aufgrund der geringen Fallzahlen nicht ableiten. In der Diskriminierung nach ethnischer und nationaler Herkunft schneidet Deutschland gegenüber Finnland, Frankreich und Italien deutlich besser ab und zeigt eine vergleichsweise geringe Diskriminierung in dieser Dimension.

Die Betrachtung der Einzelstudien (Fallzahlen in Klammern), die in Deutschland durchgeführt wurden, liefern exemplarisch folgende Ergebnisse: Frauen mit Kindern werden im Vergleich zu Frauen ohne Kinder seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, bei Männern lässt sich dieser Unterschied nicht nachweisen (Hipp, 2020: n=140). Bezüglich der Herkunft liegt in Deutschland nur eine geringfügige Diskriminierung von 5 Prozent im Falle türkischstämmiger Bewerber vor (Thijssen et al., 2021: n=652). Auf einer breiten empirischen Basis von fast 6.000 Fällen unterscheiden Ruud Koopmans, Susanne Veit und Rua Yemane (2019) zwischen 34 Nationen. Dabei zeigt sich eine umso größere Diskriminierung, je größer der kulturelle Abstand zu Deutschland ist. Die Diskriminierung ist größer, wenn die Personen auch im Ausland geboren wurden im Vergleich zum Geburtsort Deutschland (Veit/Thijssen, 2021: n=5.954). 

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
 

  • Diskriminierung in der Personalauswahl ist trotz aller Ini­tiativen zur Gleichberechtigung und zur Förderung von Diversität weiterhin ein Problem und das Ausmaß der Diskriminierung ist im Zeitverlauf weitgehend konstant geblieben.
  • Diskriminierung findet insbesondere bezüglich der Behinderung statt, Alter und Herkunft sind ebenfalls ähnlich relevante Diskriminierungsgründe. Geschlecht spielt hingegen kaum eine Rolle, zumindest nicht in der frühen Phase der Personalauswahl, wenn es auf Basis der Sichtung der Bewerbungsunterlagen um die Einladung zu Gesprächen geht.
  • Diskriminierung bezüglich der Herkunft ist in Deutschland weniger stark ausgeprägt als in anderen europäischen Ländern.

Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 3/2023. Die Ausgabe hat das Schwerpunktthema "Nachhaltiges Personalmanagement".

Literaturverzeichnis:

Bertrand, M./Mullainathan, S. (2004): Are Emily and Greg more employable than Lakisha and Jamal? A field experiment on labor market discrimination. American Economic Review, 94(4), S. 991-1013.

Blinder, A. S. (1973): Wage Discrimination: Reduced Form and Structural Estimates. Journal of Human Resources 8(4), S. 436–455.

Destatis (2023): Gender Pay Gap 2022: Frauen verdienen pro Stunde 18 % weniger als Männer. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_036_621.html (Abruf 5.4.2023).

Hipp, L. (2020): Do hiring practices penalize women and benefit men for having children? Experimental evidence from Germany. European Sociological Review, 36(2), S. 250-264.

Koopmans, R./Veit, S./Yemane, R. (2019): Taste or statistics? A correspondence study of ethnic, racial and religious labour market discrimination in Germany. Ethnic and Racial Studies, 42(16), S. 233-252.

Lippens, L./Vermeiren, S./Baert, S. (2023): The state of hiring discrimination: A meta-analysis of (almost) all recent correspondence experiments. European Economic Review, 151, 104315. 

Oaxaca, R. (1973): Male-Female Wage Differentials in Urban Labor Markets. International Economic Review. 14(3), S. 693–709.

Quillian, L./Pager, D./Hexel, O./Midtbøen, A. H. (2017): Meta-analysis of field experiments shows no change in racial discrimination in hiring over time. Proceedings of the National Academy of Sciences, 114(41), S. 10870-10875.

Spence, J. L./Hornsey, M. J./Stephenson, E. M./Imuta, K. (2022): Is Your Accent Right for the Job? A Meta-Analysis on Accent Bias in Hiring Decisions. Personality and Social Psychology Bulletin, online.

Thijssen, L./Lancee, B./ Veit, S./ Yemane, R. (2021): Discrimination against Turkish minorities in Germany and the Netherlands: field experimental evidence on the effect of diagnostic information on labour market outcomes. Journal of Ethnic and Migration Studies, 47(6), S. 1222-1239.

Veit, S./Thijsen, L. (2021): Almost identical but still treated differently: hiring discrimination against foreign-born and domestic-born minorities. Journal of Ethnic and Migration Studies, 47(6), S. 1285-1304.

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