Candidate Experience: Was HR vom Marketing lernen kann

Im E-Commerce ist die "Customer Journey" – die Reise des Kunden durch das Erlebnis Einkauf – genau definiert. Ganz anders sieht es bei der Jobsuche aus. Online-Marketing-Experte Arne Sonnabend erläutert, wie Unternehmen den individuellen Bedürfnissen der Kandidaten besser begegnen.

Wenn Lea im Netz ein neues Paar Turnschuhe sucht, dann bleibt nichts dem Zufall überlassen. Abhängig von ihrer Suchhistorie wird sie auf Webseiten oder Social-Media-Kanälen auf passende Anzeigen aufmerksam gemacht. Klickt sie auf das passende Angebot, landet sie auf einer personalisierten Landingpage. Im Onlineshop erhält sie auf Basis ihres vorigen Nutzerverhaltens automatisiert individuell zugeschnittene Informationen und Angebote (zum Beispiel in punkto Preis und Marken). Hat sie ihre Turnschuhe in den Warenkorb gelegt, erhält sie automatisch Updates über den Versandstatus und nach der Zustellung des Pakets per Newsletter einen personalisierten Gutscheincode. Im E-Commerce herrscht Konsens, wenn es um die Bedeutung der "Customer Journey" geht.

Doch die Erfahrungen, die wir als Online-Käufer machen, decken sich leider nicht mit denen, die viele Bewerber bei der Jobsuche erleben. Was bedeutet dies für den Bewerbermarkt? Was tun Unternehmen, damit Interessenten zu Bewerbern werden? Welche Strategien aus dem E-Commerce lassen sich mit Blick auf eine erfolgreiche Candidate Experience übertragen?

Jobsuche auf der Karriereseite: Analysieren Sie Nicht-Treffer

Spielt im Online-Shop die Produktsuche eine wichtige Rolle, so ist es auf der Karriereseite die Jobsuche. Zwar hat eine Vielzahl von Bewerber-Management-Systemen standardmäßig mittlerweile eine Suchfunktion integriert, in der Praxis zeigen sich jedoch oftmals Defizite bei der Benutzerfreundlichkeit. Bessere Ergebnisse – insbesondere für Unternehmen mit einer Vielzahl von Jobgruppen – erzielen Lösungsanbieter für Suchalgorithmen (zum Beispiel Elastic Search oder Solr).

Bei der permanenten Optimierung der Suchlogik müssen einerseits semantische Fehler in der Freitextsuche wie Tipper, Buchstabendreher und Synonyme gepflegt werden, andererseits sollten die jeweiligen Jobgruppen-Manager/Fachrecruiter auch die Suchlogik ihrer Jobgruppen fortlaufend überwachen, denn Kandidaten suchen in den Jobprofilen beispielsweise nach „R&D“ oder „Forschung & Entwicklung“. Bewährt hat sich die Durchsicht der Nicht-Treffer. Daran lässt sich gut erkennen, welche Profile Besucher nicht finden und dann gegebenenfalls bei der Konkurrenz suchen.

Personalisierte Landingpages: Ermitteln Sie, was der Bewerber will

Je besser das Stellenprofil zu den individuellen Bedürfnissen des Jobsuchenden passt, desto eher wird aus dem Interessenten ein Bewerber. Voraussetzung für das Ausspielen personalisierter Jobanzeigen ist, dass entsprechende Daten vorliegen. Anhand des Surfverhaltens und der Auswertung der Navigationspfade in Kombination mit externen Kampagnen lassen sich unterschiedliche Daten erheben und dem Nutzer einer Zielgruppe zuordnen. So erhält die junge Städterin, die über eine Instagram-Kampagne aufmerksam gemacht wurde, andere Jobanzeigen angezeigt als der 50-jährige Familienvater aus der Kleinstadt.

Mehr noch: Nicht nur die Jobanzeigen variieren, sondern auch die Inhalte werden automatisiert angepasst. Bekommen beispielsweise Berufsanfänger Benefits zum Fahrrad-Sharing und Videos oder Bilder jüngerer Testimonials angezeigt, so erhalten Senior-Professionals Benefits zu flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice mit entsprechenden Senior-Botschaften.

Anhand weiterer aus dem E-Commerce bekannten Strategien, zum Beispiel dem Messen der Nutzerdaten und A/B-Tests, lernen Unternehmen die Bedürfnisse potenzieller Kandidaten immer effizienter und besser kennen. Datenbasiert können sie die Inhalte fortlaufend ändern und die Ergebnisse für jede Zielgruppe stetig optimieren, was sich letztendlich in einer höheren Anzahl qualifizierter Bewerbungen äußert.

Bewerbungsprozess: Vermeiden Sie einen Abbruch

Komplizierte Eingabemasken und lange Wartezeiten sind Gründe dafür, dass sechs von zehn Bewerbern ihre Online-Bewerbung schon einmal abgebrochen haben, obwohl sie eigentlich an dem Job interessiert waren (Bewerbungsreport von Softgarden 2019). Getreu dem Motto „lieber zu viel als zu wenig“ verschrecken Unternehmen Kandidaten oftmals mit der Erhebung umfangreicher Datensätze.

Kandidaten erwarten heute neben der Möglichkeit einer mobilen Bewerbung, dass sie ihren Lebenslauf von ihren Profilen in Business-Netzwerken wie Xing und Linkedin hochladen können. Mit automatisierten Eingangsbestätigungen sowie kontinuierlichen Updates zum Status des Auswahlverfahrens signalisieren Unternehmen dem Kandidaten von Beginn an Wertschätzung.

Wichtig ist, dass Unternehmen abhängig von der jeweiligen Zielgruppe auch unterschiedliche Online-Bewerbungsprozesse aufsetzen. Für den Ausbildungsplatz im Supermarkt reicht vielleicht im ersten Schritt eine Kurzbewerbung per Video. Passen die Kandidaten, können weitere Daten vor dem ersten Gespräch abgefragt werden. Dagegen sind bei einer Bewerbung auf die Position des Oberarztes schon von Anfang an Zeugnisse, Weiterbildungszertifikate und Angaben zur Gehaltsvorstellung nötig, um eine Vorauswahl treffen zu können.

Pre-Onboarding: Binden Sie die Kandidaten auch nach der Unterschrift ein

Im Gegensatz zum E-Commerce, wo die Kundenpflege nach dem Kauf wichtiger Bestandteil der Customer Journey ist, haben viele Unternehmen bei der Betreuung der Kandidaten noch Optimierungsbedarf. In der Phase des Pre-Onboardings, in der der Arbeitsvertrag unterschrieben ist, der erste Arbeitstag aber noch aussteht, ist es besonders wichtig, dem Kandidaten ein gutes Gefühl zu vermitteln. So springen laut der Haufe Onboarding-Umfrage von 2018 bei 28 Prozent der Unternehmen neue Mitarbeiter schon vor dem ersten Arbeitstag wieder ab. E-Mail-Journeys oder Online-Pre-Onboarding Tools mit Informationen zum Unternehmen (Leitbild, Strukturen, Benefits et cetera) und zu den ersten Tagen im neuen Job können etwaige Unsicherheiten verhindern und den Kandidaten in seiner Entscheidung stützen.

Die Jobsuche ist tiefgreifender als der Turnschuhkauf

Zweifellos sind die Implikationen und Auswirkungen bei der Entscheidung für einen neuen Job weitaus tiefgreifender als beim Turnschuhkauf. Aber es lohnt sich für HR-Verantwortliche, die dynamische E-Commerce-Branche mit ihren richtungsweisenden Innovationen im Blick zu haben. Online-Shops bieten vielerorts ein datenbasiertes, personalisiertes und nutzerzentriertes Kundenerlebnis. Hiervon können Personalabteilungen lernen, indem sie die erfolgreichen Strategien der Customer Experience übertragen und damit die Bindung zu ihren Bewerbern und deren gesamtes Nutzererlebnis über die Jobsuche, den gesamten Bewerbungsprozess, bis zum späteren Austritt aus dem Unternehmen, verbessern.