Arbeitszeitgestaltung bei den Berliner Verkehrsbetrieben

Weg vom Einheitsmodell, hin zu mehr Flexibilität und Indi­vi­­dua­li­­tät für die Mitarbeitenden. Das geht auch im öffent­­lichen Dienst. Die Berliner Verkehrs­betriebe (BVG) machen Arbeits­­zeit­gestaltung mit einer starken Tarifpartnerschaft, flexiblen Modellen und digi­taler Planung zukunfts­fähig. 

Flexible Arbeitszeiten, veränderte Erwartungen von Mitarbeitenden, wachsender Wettbewerb um Talente: auch im öffentlichen Nahverkehr steigt der Druck. Die BVG stand – und steht – vor der zentralen Frage: Wie können wir als Arbeitgeberin attraktiv sein und gleichzeitig den steigenden Anforderungen unserer Mitarbeitenden und des Arbeitsmarkts gerecht werden? Und wie können moderne, tragfähige Arbeitsbedingungen gestaltet werden, die Lebensrealitäten ernst nehmen und betriebliche Anforderungen nicht aus dem Blick verlieren?

Arbeitszeitgestaltung mit mehr Flexibilität und weniger Standard

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war der Abschluss der Tarifverhandlungen 2020. Zwischen Januar 2022 und Juli 2023 wurde die Wochenarbeitszeit schrittweise von 39 auf 37,5 Stunden abgesenkt, gleichzeitig bestand erstmals die Wahlmöglichkeit einer erhöhten Vollzeit. Diese Maßnahme war weit mehr als ein symbolisches Zugeständnis – sie war Auftakt für eine neue Haltung zur Arbeitszeitgestaltung: weg vom Einheitsmodell, hin zu mehr Flexibilität, mehr Individualität und einem differenzierten Blick auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden. Denn eines ist klar: Die Zukunft gehört nicht einem starren Modell, sondern vielfältigen Lösungen, die sowohl individuelle Prioritäten, aber vor allem auch die Belastbarkeit der betrieblichen Abläufe berücksichtigen.

Aus Engpässen Chancen schaffen 

Die Einführung der 37,5-Stunden-Woche war dabei ein echter Stresstest, insbesondere im Fahrdienst. Zwar ließ sich der zusätzliche Personalbedarf rechnerisch kalkulieren, doch in der Praxis wurde es deutlich komplexer: Um die verkürzten Arbeitszeiten aufzufangen, waren mehr als 200 zusätzliche Fahrerinnen und Fahrer nötig. Gleichzeitig gibt es schon heute einen Teilzeitanteil von 30 Prozent im Fahrdienst. 

Zudem wurde deutlich, dass der angespannte Arbeitsmarkt diese Nachfrage nicht einfach decken konnte. Die BVG reagierte mit neuen Wegen im Recruiting, zum Beispiel einem Job-Store in der Mall of Berlin, einem Job-Bus, der durch die Stadt tourte, sowie gezielten Kampagnen und vereinfachten Einstiegsprozessen. Diese Maßnahmen zeigten Wirkung: Neue Zielgruppen wurden erreicht, zusätzliche Fahrdienstmitarbeitende gewonnen. Doch schnell wurde auch klar: Finden allein reicht nicht. Wer bleibt, braucht gute Rahmenbedingungen wie verlässliche Dienstplanung, moderne Arbeitszeitmodelle und echte Mitgestaltung im Arbeitsalltag.

Arbeitszeitmodelle bieten Antworten auf vielfältige Lebensrealitäten

Denn der klassische "Fahrpersonaltypus" existiert längst nicht mehr. Die Lebensrealitäten in der Belegschaft sind vielfältiger geworden und Dienstpläne müssen dieser Realität gerecht werden, ohne dass betriebliche Abläufe aus dem Takt geraten. In Pilotprojekten, etwa im Busbetrieb, werden derzeit deshalb neue Schichtmodelle erprobt, die mehr Flexibilität und individuelle Wünsche ermöglichen sollen. 

Schon heute gibt es verschiedene Modelle in der Praxis, etwa Vier-Tage-Schichtfolgen bei der U-Bahn (statt wie bisher sechs), verkürzte Arbeitszeiten bei Bus und Straßenbahn oder erweiterte Teilzeitoptionen im Fahrdienst. Diese Ansätze sind wichtige Bausteine auf dem Weg zu mehr Flexibilität, auch wenn noch nicht alles rund läuft. 2024 hat sich die BVG deshalb verstärkt mit anderen Unternehmen ausgetauscht, die in diesem Bereich bereits weiter sind. Der Blick nach außen zeigte: Wo Bewerbungszahlen steigen und die Mitarbeiterzufriedenheit hoch ist, sind flexible Schichtsysteme längst Standard. Diese Erkenntnisse fließen nun in die Weiterentwicklung der eigenen Modelle ein.

Die Reaktionen innerhalb der Belegschaft auf die neuen Arbeitszeitmodelle waren unterschiedlich. Für viele Mitarbeitende wurde die 37,5-Stunden-Woche schnell zur neuen Normalität. Es zeigte sich jedoch auch: Die Absenkung der Wochenarbeitszeit hatte nicht überall einen spürbar entlastenden Effekt – vor allem dort, wo sich die reduzierte Arbeitszeit weiterhin auf dieselbe Anzahl an Arbeitstagen verteilt. Gleichzeitig entschieden sich 2023 rund sieben Prozent der Fahrdienstmitarbeitenden bewusst für längere Arbeitszeiten – auch aus finanziellen Gründen. 

Das zeigt: Standardlösungen reichen nicht aus. Es braucht flexible Modelle, die individuelle Lebenssituationen, Bedürfnisse und Prioritäten ernst nehmen. Einen großen Einfluss auf Krankenstand oder Fluktuation hatte die Arbeitszeitverkürzung bislang nicht – auch, weil die angespannte Personalsituation weiterhin hohe Belastungen mit sich bringt. Dennoch: Die Grundlagen für echte Veränderungen sind gelegt. 

Digitalisierung und Planung im Wandel

Mit den wachsenden Ansprüchen an Individualisierung steigen allerdings auch die Anforderungen an Systeme und Planungsprozesse. Die vorhandenen Tools stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Dienstpläne müssen heute nicht nur individueller gestaltet, sondern auch schneller abgestimmt, transparenter kommuniziert und fairer ausgehandelt werden. Dabei kommt es immer auch auf eine enge Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen an.

Aktuell ist die Dienstplanung noch mit einem hohen manuellen Aufwand verbunden: Pläne werden oft nachträglich angepasst, Sonderfälle einzeln gelöst. Dieser Zustand ist nicht zukunftsfähig. Ziel ist ein grundlegender Wandel hin zu einer Planung, die von Beginn an möglichst passgenau ist und nur minimalen Nachbearbeitungsaufwand benötigt – digital unterstützt, vorausschauend und betrieblich zuverlässig. Deshalb hat die BVG ein Projekt gestartet, das die Schichtplanung künftig mithilfe Künstlicher Intelligenz neu denkt. Dabei sollen individuelle Wünsche, betriebliche Anforderungen und rechtliche Vorgaben intelligent miteinander verknüpft werden – für Schichtpläne, die nicht nur effizient, sondern auch fair und nachhaltig sind.

Arbeitszeitsouveränität 2027 

Doch damit ist der Wandel noch längst nicht abgeschlossen. Gemeinsam mit unserem Tarifpartner soll bis 2027 eine neue Regelung zur Arbeitszeitsouveränität entwickelt werden, die sowohl den Wunsch der Mitarbeitenden nach mehr Flexibilität als auch die Anforderungen an stabile betriebliche Abläufe in Einklang bringt. 

In der aktuellen Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit steht vor allem die Frage im Fokus, wie mehr Arbeitsjahre angesichts des demografischen Wandels bewältigt werden können. Doch reine Mehrarbeit stößt, insbesondere bei Schichtarbeit, schnell an ihre Grenzen. Deshalb setzt unser Ansatz auf Arbeitszeitsouveränität als zentrales Element moderner Arbeitskultur: Sie bedeutet mehr Gestaltungsfreiheit und individuelle Verantwortung und basiert auf der Überzeugung, dass Motivation, Gesundheit und Produktivität nur gemeinsam nachhaltig gesteigert werden können. 

Zentrales Element der angestrebten Regelung ist ein neues Modell, das sich an einer 35-Stunden-Woche orientiert und eine Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf vier Arbeitstage auch praktisch ermöglicht. Innerhalb eines Wahlmodells sollen Abweichungen nach oben und unten über einen zu definierenden Arbeitszeitkorridor auf Wochen-, Monats- oder Jahresbasis individuell und freiwillig gestaltet werden können. Damit dieses Modell gelingen kann, braucht es klare Spielregeln, gegenseitiges Vertrauen, transparente Kommunikation sowie einen kontinuierlichen Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden. 

Die Arbeitszeitverkürzung war für die BVG der erste Schritt – und ein wichtiger Lernprozess. Was dabei deutlich wurde: Flexibilisierung ist kein einmaliger Kraftakt, sondern ein kontinuierlicher Wandel. Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen sind es ebenso: für mehr Lebensqualität, mehr Gestaltungsspielraum und Arbeitsmodelle, die besser zu unterschiedlichen Lebensphasen passen und gleichzeitig die betriebliche Stabilität sichern. Der Weg dahin ist anspruchsvoll, aber lohnend.

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin 10/2025. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der Personalmagazin-App.


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