Tz. 23

Fertigungsaufträge stellen regelmäßig Werkverträge i. S. d. § 631 BGB dar. Ein Werkvertrag beinhaltet für das umsatzgenerierende Unternehmen die Verpflichtung zur Fertigstellung eines konkreten Kundenauftrags, der die Herstellung bzw. Veränderung eines Gegenstands oder die Ablieferung des Ergebnisses einer Dienstleistung, wie beispielsweise die Erstellung eines Gutachtens, zum Inhalt hat (§ 631 BGB). Das umsatzgenerierende Unternehmen trägt dabei bis zur Abnahme des Auftragsgegenstands die Gefahr des Untergangs (§ 644 Abs. 1 BGB), wodurch der Besteller auch erst bei Abnahme des Auftragsgegenstands zur Entrichtung der Vergütung verpflichtet ist (§ 641 Abs. 1 BGB). Wird der Auftrag innerhalb einer Berichtsperiode erfüllt, ist die Umsatzrealisierung unkritisch, sie erfolgt in derselben Periode.[29]

 

Tz. 24

Oft erstrecken sich Auftragsfertigungen jedoch über mehrere Perioden und die Umsatzrealisierung erfolgt prinzipiell erst mit Leistungserfüllung, d. h. mit Übergabe und Abnahme des Auftragsgegenstands (completed-contract-Methode). Bis zur Abnahme wird der Auftrag in Höhe der Herstellungskosten unter den unfertigen Erzeugnissen bzw. Leistungen bilanziert. Resultiert aus dem Auftrag wahrscheinlich ein Verlust, ist nach Abschreibung der für den Auftrag bereits aktivierten unfertigen Erzeugnisse oder Leistungen die Bildung einer Drohverlustrückstellung erforderlich. Zwischen Hersteller und Auftraggeber vereinbarte Teilzahlungen sind erfolgsneutral als erhaltene Anzahlungen zu passivieren oder von den aktivierten Erzeugnissen oder Leistungen offen abzusetzen (§ 268 Abs. 5 Satz 2 HGB). Diese Vorgehensweise führt außer im Verlustfall zu einer Verzerrung der Vermögens- und Ertragslage, da die Umsatzrealisierung erst am Ende des Herstellungsprozesses erfolgt, ein großer Teil der Herstellung aber in den vorangegangenen Perioden erfolgte. Aufgrund der auf die Herstellungskosten restringierten aktivierbaren Beträge, kann ein Teil der angefallenen Aufwendungen nicht aktiviert werden, wodurch in den Vorperioden Verluste entstehen, obwohl der Auftrag nicht defizitär bearbeitet wird. Dies führt zur Bildung stiller Reserven im Vorratsvermögen. Insgesamt werden die Vermögens- und Ertragslage zu schlecht dargestellt, was zu umfangreichen Auseinandersetzungen in der Fachliteratur bezüglich der Zulässigkeit einer Teilgewinnrealisierung bei Fertigungsaufträgen nach HGB geführt hat.[30]

 

Tz. 25

Teilgewinnrealisierungen sind jedoch nur zulässig, wenn

  • die Teilleistungen bürgerlich-rechtlich selbstständig zu erbringen, zu vergüten und abzunehmen sind,
  • eine Gesamtabnahme nicht vereinbart wurde und
  • aus den folgenden Teilleistungen wahrscheinlich keine Verluste entstehen.[31]

Diese Vorgehensweise ist konsequent im Zusammenhang mit der Forderung nach vorsichtiger Ermittlung eines entziehbaren Gewinns, denn aufgrund ihrer Individualität und Langfristigkeit kommt bei Fertigungsaufträgen folgenden Risiken eine erhöhte Bedeutung zu:

  • Kalkulationsrisiko: Kosten können leicht unterschätzt werden, was besonders prekär bei Festpreisverträgen (vgl. Tz. 163) ist, da hierbei der Hersteller höhere Produktionskosten und gegebenenfalls auch Preiserhöhungen für die Einsatzfaktoren alleine zu tragen hat.
  • Terminüberschreitungsrisiko: Aufgrund der Individualität kann die Auftragsdauer unterschätzt werden. Daraus resultierende Terminüberschreitungen können Vertragsstrafen oder Schadensersatzzahlungen bedingen.
  • Zahlungsausfallrisiko: Der Auftraggeber könnte während der Auftragsdurchführung insolvent werden und durch die Individualität des Auftrages kann der Vertragsgegenstand i. d. R. nicht bzw. nur unter erheblichen Ertragseinbußen anderweitig abgesetzt werden.
  • Gesamtfunktionsrisiko: Die Leistungsfähigkeit von neuartigen komplexen Werken stellt sich oft erst nach Inbetriebnahme heraus.[32]
 

Tz. 26

Folgendes abschließendes Beispiel stellt die Erfassung von Fertigungsaufträgen nach HGB dar (zur Lösung dieses Beispiels nach gegenwärtigen IFRS vgl. Tz. 168 ff.).

 

BEISPIEL

Ein Unternehmen erhält Anfang 20X1 einen Auftrag zum Bau einer Brücke, die Fertigstellung soll im Jahr 20X3 erfolgen. Dem Auftrag liegt ein Festpreisvertrag ohne Preisgleitklausel zugrunde, wonach der Kaufpreis auf 90 Mio. EUR festgelegt ist. Das Unternehmen rechnet insgesamt mit Aufwendungen von 60 Mio. EUR. Bis Ende 20X1 sind 30 %, bis Ende 20X2 (inkl. 20X1) 80 % der Aufwendungen angefallen. Der Auftraggeber hat zu Beginn des Projekts bereits 40 Mio. EUR angezahlt, der Rest ist bei Abnahme zu begleichen. Aus Vereinfachungsgründen wird unterstellt, dass die Aufwendungen per Bank beglichen werden und es sich bei ihnen um aktivierungspflichtige Herstellungskosten nach HGB handelt.

Lösung

Übersicht der Erfolgspostenentwicklung während der Auftragsfertigung bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens in Mio. EUR:

 
Jahr 20X1 20X2 20X3 Summe
Umsatz 0 0 90 90
Bestandsveränderung 18 30 -48 0
Aufwand -18 -30 -12 -60
Ergebnis 0 0 30 30

Übersicht der Erfolgspostenentwicklung während der Auftragsfertigung bei Anwe...

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