Tz. 404

Der Erwerbszeitpunkt ist aus unterschiedlichen Gründen von Bedeutung. So ist dieser Zeitpunkt u. a. maßgebend für die Abgrenzung alter – d. h. miterworbener – und neuer – d. h. selbst erwirtschafteter – Gewinne. Während alte Gewinne in die Erstkonsolidierung eingehen, bilden die neuen Gewinne einen Bestandteil der GuV des Erwerbers. Bedeutend ist zudem der Erwerbszeitpunkt, da die erworbenen identifizierbaren Vermögenswerte bzw. übernommenen Schulden zu den zu diesem Zeitpunkt bestimmten beizulegenden Zeitwerten bewertet werden (IFRS 3.18).[550]

 

Tz. 405

Als Erwerbszeitpunkt gilt der Zeitpunkt, an dem der Erwerber die Beherrschungsmöglichkeit über das erworbene Unternehmen erlangt (IFRS 3.8) und somit die relevanten Aktivitäten des erworbenen Unternehmens bestimmen kann. Nicht erforderlich ist ein bereits vollzogener rechtlicher Abschluss der Transaktion. Stattdessen muss der Erwerber die Möglichkeit zur tatsächlichen Ausübung von beherrschendem Einfluss auf die Geschäfts- und Finanzpolitik des erworbenen Unternehmens erlangt haben. Der Standardsetzer geht dennoch davon aus, dass der Tag der Erlangung von Kontrolle mit dem Tag des rechtlichen Übergangs (sog. closing date) – d. h. der Tag, an dem die Gegenleistung rechtsgültig transferiert wird und die Vermögenswerte bzw. Schulden erworben bzw. übernommen werden – üblicherweise übereinstimmt (IFRS 3.9).[551]

Da der Erwerber in manchen Fällen die Beherrschung auch an einem vom closing date abweichenden Zeitpunkt erlangen kann, sind zusätzlich die vorliegenden Umstände der Transaktion zu berücksichtigen. Dabei sind einer vertraglichen Vor- bzw. Rückverlagerung des Erwerbszeitpunkts jedoch enge Grenzen gesetzt, da statt der vertraglichen auf die tatsächlichen Gegebenheiten abzustellen ist. Dennoch treten in der Praxis regelmäßig Fälle auf, in denen es zu einer faktischen Kontrollausübung durch den Erwerber bereits vor dem closing date kommen kann. Demgegenüber sind auch Fälle denkbar, in denen es – insbesondere bei vertraglich fixierten Genehmigungsvorbehalten des Veräußerers – zu einer Einschränkung der Kontrollmöglichkeit kommen kann und ein Beherrschungsverhältnis somit nicht mehr anzunehmen ist. Für die sachgerechte Festlegung des Erwerbszeitpunkts ist eine Beurteilung der tatsächlichen Beherrschungsmöglichkeiten im Zeitablauf erforderlich.[552]

Liegt bereits eine Kontrollmöglichkeit vor, so ist eine vertragliche Nachverlagerung für die Bestimmung des Erwerbszeitpunkts nicht von Relevanz.[553]

 

Tz. 406

Die Bestimmung des für den Erwerbszeitpunkt entscheidenden Zeitpunkts der Beherrschungsmöglichkeit hängt üblicherweise von gesellschafts- sowie kartellrechtlichen Genehmigungsvorbehalten ab.

In aller Regel dürfte der Erwerbszeitpunkt von der Zustimmung der Aktionäre zum Unternehmenszusammenschluss im Zuge einer Hauptversammlung abhängig sein. Nur in Ausnahmefällen kommt der Erwerbszeitpunkt bei vorliegenden Genehmigungsvorbehalten des Aufsichtsrates in Betracht. Dies ist bspw. denkbar, sofern die Genehmigung aufgrund klarer Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat lediglich formalrechtlichen Charakter aufweist. Darüber hinaus dürfte i. d. R. keine Beherrschung vorliegen, sofern noch kein Genehmigungsbescheid zugegangen ist oder die zuständige Kartellbehörde keine informelle Vorabzusage getroffen hat, da es im Falle eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Auflagen zu Sanktionsmaßnahmen kommen würde. Vor diesem Hintergrund ist i. d. R. nicht davon auszugehen, dass der Erwerbszeitpunkt der Zustimmung durch die zuständige Kartellbehörde zeitlich vorgelagert ist.[554]

 

Tz. 407

Allgemein ausgedrückt steht die Frage im Vordergrund, welches Datum als Erwerbszeitpunkt möglich ist, wenn zwischen der Erwerbsverhandlung und dem dinglichen Vollzug verschiedene Zwischenschritte liegen. Diesbezüglich lässt sich der Erwerbsprozess als Zeitstrahl skizzieren, wobei die wirtschaftlichen Wirkungen der jeweiligen Erwerbsschritte ausschlaggebend sind. Diese hängen mit ihrer rechtlichen Qualität zwar tendenziell, aber nicht als 1:1-Beziehung zusammen.[555]

Der Erwerbsprozess als Zeitstrahl[556]

Bei der Determinierung des Erwerbszeitpunkts muss die jeweilige vertragliche Ausgestaltung des Erwerbsvorgangs berücksichtigt werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Zeitspanne zwischen Kaufvertragsunterzeichnung und Anteilsübertragung zu richten ist. Dies umfasst im Speziellen auch die Beurteilung vorliegender Gremien- bzw. Genehmigungsvorbehalte durch Behörden mit aufschiebender Wirkung, wozu bspw. kartellrechtliche Verfahren zu zählen sind.[557]

[550] Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS, § 31 Rn. 29.
[551] Senger/Brune, in: Beck IFRS-Hdb., § 34 Rn. 58.
[552] Senger/Brune, in: Beck IFRS-Hdb., § 34 Rn. 58.
[553] Senger/Brune, in: Beck IFRS-Hdb., § 34 Rn. 59.
[554] Berndt/Gutsche, in: MüKo-BilR, IFRS 3, Rn. 62–64.
[555] Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS, § 31 Rn. 35.
[556] In Anlehnung an Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg, IFRS, § 31 Rn. 35.
[557] Senger/Brune, in: Beck IFRS-Hdb., § 34 Rn. 63.

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