Autoren: Jörg Hanken, Daniel Retzer

In Teil B, Kapitel 8 wurde beschrieben, wie und warum die Sachverhaltsermittlung durchzuführen ist. Es ging darum, die Frage zu beantworten, wer was an wen und zu welchen Konditionen leistet/liefert. In diesem Kapitel wird nun der zweite Schritt erläutert, der zur Bestimmung der steuerlich richtigen VP-Methode für eine vorliegende konzerninterne Transaktion erforderlich ist: die Funktions- und Risikoanalyse[291] ("F&R-Analyse").[292] Vor allem aufgrund der BEPS Initiative und den Ausführungen zu den Aktionspunkten 8 bis 10 hat die F&R- bzw. eine Wertschöpfungsketten-Analyse eine noch zentralere Bedeutung erlangt.

Abb. 78: Vorgehensmodell, um eine zutreffende VP-Methode festzulegen

Im Rahmen der F&R-Analyse ist je Transaktionsgruppe für die involvierten Konzerngesellschaften zu analysieren, welche Funktionen sie ausüben, welche Risiken sie tragen und welche materiellen und vor allem immateriellen Wirtschaftsgüter sie innerhalb dieser Transaktionsgruppe einsetzen. Zweck dieser Analyse ist es, festzustellen, welche Gesellschaft das geringere Funktions- und Risikoprofil hat und ob eine Gesellschaft letztlich als sogenanntes Routine- oder Strategieträgerunternehmen charakterisiert werden kann (vgl. nächster Schritt, Teil B, Kapitel 10).

Die Durchführung einer Funktions- und Risikoanalyse ist somit zunächst das Fundament, um die beteiligten Gesellschaften zu charakterisieren. Die OECD hat sich diesem Thema im Rahmen der Aktionspunkte 8 bis 10 intensiv gewidmet (vgl. Kapitel 6.1 "Fremdvergleichsverhalten"). Damit ist sie letztlich entscheidungserheblich für die Antwort auf die Frage, welche VP-Methode für die Bepreisung einer konzerninternen Transaktion aus steuerlicher Sicht möglichst sachgerecht ist und somit zu einer fremdüblichen, wertschöpfungsadäquaten Verteilung des Konzerngewinns auf die involvierten Konzerngesellschaften führt.

Nicht nur die hohe Bedeutung, die einer F&R-Analyse beigemessen wird, entspricht deutschem und internationalem Verständnis, sondern auch die Vorgehensweise bei ihrer Durchführung. Zudem folgt man bei der praktischen Durchführung einer F&R-Analyse weltweit einer fast identischen Struktur. Eine Ausnahme bildet hier sicherlich Brasilien, weil der Staat zum einen grundsätzlich die OECD-Richtlinien nicht anwendet und darüber hinaus per Gesetz konkrete Margen festschreibt[293], die eine brasilianische Gesellschaft bei konzerninternen Transaktionen zu erzielen hat – unabhängig von der Höhe der konzernkonsolidierten Marge und unabhängig vom konkreten F&R-Profil der Gesellschaft.

[291] Für Ausführungen aus Controllingsicht vgl. Teil C, Kapitel 16.3.1.
[292] Beitrag teilweise entnommen aus: Hanken/Kleinhietpaß, Verrechnungspreise. Im Spannungsfeld von Controlling und Steuern, 2014.
[293] Soweit ersichtlich, ist dies der einzige Staat, der Margen für bestimmte Transaktionen (Vertrieb, Fertigung etc.) konkret im Gesetz definiert.

9.1 Typisierte Unternehmensaktivitäten

Bevor weitere Details einer F&R-Analyse beschrieben werden, soll folgendes Schaubild einen Überblick über die typischen Ausprägungen von Unternehmensaktivitäten, abhängig vom Umfang des F&R-Profils, geben. Jeder weiß, dass die Unternehmensrealität sehr komplex und nicht schwarz-weiß ist – und es daher unendlich viele Ausprägungen von Geschäftsaktivitäten gibt. Die Herausforderung im Bereich der steuerlichen Verrechnungspreise besteht darin, einheitliche Regelungen für die VP-Bestimmungen festzulegen, die global gelten und von den weltweiten Finanzverwaltungen auf die unterschiedlichsten Unternehmen im Rahmen von Betriebsprüfungen angewendet werden können. Mit anderen Worten: Man versucht, die reale Unternehmenskomplexität durch eine Typisierung und Standardisierung zu bewältigen. Dies ist naturgemäß nicht immer einzelfallgerecht, aber es führt zu einer einheitlichen Sprachregelung und zu einer erleichterten weltweiten Verständigung. Daher zeigt Abbildung 79 nicht nur die typisierten Unternehmensaktivitäten, sondern sie dient auch der Begriffsdefinition ("Schubladen"):

Abb. 79: Klassifizierung von Unternehmenstypen nach Funktions- und Risikoprofilen

Wie aus der Abbildung 79 ersichtlich ist, werden die F&R-Profile je Wertschöpfungsstufe nach rechts schwächer; ein Lohnveredler übt z. B. weniger Funktionen aus, trägt geringere Risiken und setzt weniger Wirtschaftsgüter ein als ein Eigenproduzent.

Warum ist es wichtig, ob eine Konzerngesellschaft im Rahmen einer bestimmten konzerninternen Transaktion viele oder wenige Funktionen ausübt, geringere Risiken trägt und weniger Wirtschaftsgüter eingesetzt hat? Auch das wird in den Folgekapiteln Teil B, 10 und 11 erläutert. An dieser Stelle soll dies aber zum besseren Verständnis kurz vorweggenommen werden:

 

Es entspricht dem grundlegenden steuerlichen VP-Verständnis, dass einer Gesellschaft mit geringem F&R-Profil ein geringerer Teil der Konzernmarge und einer Gesellschaft mit einem höheren F&R-Profil ein höherer Teil der Konzernmarge zustehen sollte.

Die Perspektive des Controllings, das sein Hauptaugenmer...

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