Autoren: Jörg Hanken, Daniel Retzer

Im vorherigen Kapitel 9 wurde gezeigt, wie eine ausführliche und differenzierte F&R-Analyse erstellt wird – idealerweise auf Transaktionsebene und horizontal (d. h. zwischen den Parteien) sowie vertikal (d. h. zwischen den Funktionen und Risiken) gewichtet.[324]

In diesem Kapitel wird nun der nächste Schritt beschrieben: die Charakterisierung der beiden Parteien.

Abb. 88: Vorgehensmodell, um eine zutreffende VP-Methode festzulegen

Auf Basis des Ergebnisses der F&R-Analyse wird nun beurteilt und entschieden, ob die Parteien als sogenannte "Routineunternehmen" oder als sogenannte "Strategieträger/Entrepreneure" zu charakterisieren sind. Dies ist entscheidend für die Antwort auf die Frage, welche VP-Methode zu wählen ist, um den Preis dieser Transaktion festzulegen. Dazu aber mehr in Teil B, Kapitel 11.

Weltweit gebräuchlich ist die Einteilung in die beiden Typen "Routineunternehmen" sowie "Strategieträger" bzw. "Entrepreneur". Die deutsche Finanzverwaltung hat mit einem BMF-Schreiben aus dem Jahre 2005[325] noch einen dritten Typus, das "Mittel-/Hybridunternehmen", eingeführt. Dies ist insofern unglücklich, weil dieser Typus weder in den OECD-Richtlinien noch in den UN-Manuals existiert[326]. Erfreulicherweise wurde mit dem BMF-Schreiben Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise aus dem Jahr 2021, welches das BMF-Schreiben aus dem Jahr 2005 aufhebt,[4] das "Mittel-/Hybridunternehmen" nicht thematisiert, sodass dieser international unbekannte Unternehmenstypus nicht weiter von der deutschen Finanzverwaltung verfolgt zu werden scheint.

Die VG 2021 definieren die beiden Typen wie folgt[5]:

  1. Ein Routineunternehmen ist ein Unternehmen, das als Ergebnis einer Funktions- und Risikoanalyse für den jeweiligen Geschäftsvorfall allein oder zusammen mit anderen nahestehenden Personen

    • die Routinefunktionen ausübt,
    • nur in geringem Umfang Vermögenswerte einsetzt und
    • nur geringe Risiken trägt.
  2. Ein Strategieträger ist ein Unternehmen, das als Ergebnis einer Funktions- und Risikoanalyse für den jeweiligen Geschäftsvorfall allein oder zusammen mit anderen nahestehenden Personen

    • die wesentlichen Funktionen ausübt,
    • die wesentlichen materiellen Wirtschaftsgüter und immateriellen Werte einsetzt und
    • die wesentlichen Risiken übernimmt.

Die folgende Übersicht fasst die beiden möglichen Charakterisierungen nochmals zusammen und zeigt vor allem die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen Charakterisierung ergeben, nämlich wie hoch der Anspruch einer Gesellschaft auf das Konzernergebnis ist:

Abb. 89: Charakterisierung der Unternehmenstypen als Strategieträger und Routineunternehmen

 

Es besteht weltweit Konsens, dass ein Routineunternehmen einen geringen, aber stabilen Gewinn erzielen soll. Verluste sind nur in zeitlich befristeten Anlaufphasen oder in Krisen denkbar. Man spricht bei diesen Unternehmen auch von den sogenannten "Least Complex Parties" oder "Tested Parties", deren Ist-Margen in die Interquartils-Bandbreite von aus Datenbankanalysen abgeleiteten fremdüblichen Margen fallen sollen.

Ebenfalls Einigkeit herrscht hinsichtlich der Vergütung des Strategieträgers. Er soll das Konzernresidualergebnis (Gewinn oder Verlust) erhalten, nachdem die Routineunternehmen steuerlich angemessen vergütet worden sind. Mit anderen Worten: Dem Strategieträger steht zu, was nach steuerlich angemessener Vergütung der Routineunternehmen residual "übrigbleibt".

Die Charakterisierung einer Gesellschaft als Routine- oder Strategieträgerunternehmen bestimmt die Wahl der richtigen VP-Methode für die jeweils zugrunde liegende Transaktion. Anders formuliert: Es ist diejenige VP-Methode auszuwählen, die zu der oben dargestellten Ergebniszuordnung (d. h. geringer Routinegewinn oder Residualergebnis) führt.

Die folgende Übersicht stellt den Zusammenhang zwischen der Ausprägung des F&R-Profils einerseits und andererseits der theoretischen Ergebniserwartung (Soll) sowie des tatsächlich möglichen Ergebnisses (Ist) der Konzerngesellschaft je nach Charakterisierung grafisch dar:

Abb. 90: Zusammenhang zwischen F&R-Profil, Soll- und Ist-Ergebnis

Erfahrungen aus Betriebsprüfungen zeigen: Es wird häufig unterstellt, dass eine Gesellschaft mit höherem F&R-Profil zwangsweise höhere tatsächliche Gewinne erzielen muss. Dies ist nicht richtig. Zwar besteht, selbstverständlich auch aus Managementsicht, die Erwartungshaltung (vgl. obige gestrichelte "Soll-Kurve"), dass ein Strategieträger hohe Gewinne erzielen soll. Da der Strategieträger jedoch auch das Verlustrisiko z. B. aus erfolglosen Entwicklungen trägt, kann das tatsächliche Ergebnis des Strategieträgers sehr stark schwanken und eben auch deutlich verlustig sein (vgl. obige durchgezogene "Ist-Kurve"). Dies ist im Übrigen auch vollständig im Einklang mit den OECD-Richtlinien und den BMF-Schreiben, die eben dem Strategieträger richtigerweise dasjenige Ergebnis zuordnen, das sich residual ergibt, nachdem die Routineunternehmen angemessen vergütet worden sind.

Nach Abschluss der transaktionsbezogenen ...

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