6.3.1 Allgemeines

Das Beschwerdeverfahren muss für potenziell Beteiligte zugänglich sein[1]. Das Gesetz definiert den Begriff "zugänglich" nicht. Um ihn auszulegen, kann auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zurückgegriffen werden.[2] Prinzip 31 b) der UN-Leitprinzipien definiert zugänglich sein als: "Sie sind allen Stakeholdergruppen, für die sie vorgesehen sind, bekannt und gewähren denjenigen, die im Hinblick auf den Zugang zu ihnen unter Umständen vor besonderen Hindernissen stehen, ausreichende Unterstützung".

Eines der Kriterien ist also, dass das Beschwerdeverfahren bekannt sein muss. Das LkSG nennt das Erfordernis der Bekanntheit gesondert; es wird hier auch gesondert erläutert.[3]

Eine weitere Erläuterung zur Zugänglichkeit findet sich im Kommentar zu den UN-Leitprinzipien: "Zugangshindernisse können unter anderem mangelnde Kenntnis des Mechanismus, Sprache, Lese und Schreibevermögen, Kosten, Standort und Furcht vor Repressalien umfassen." Unternehmen sollten diese Eckpunkte bei der Ausgestaltung des Beschwerdemechanismus berücksichtigen.

[2] Lüneborg, in: Gehling/Ott, LkSG, § 8 Rn 33.

6.3.2 Sprache

Zur Zugänglichkeit des Beschwerdeverfahrens gehört es, dass Betroffene es in ihrer eigenen Sprache in Anspruch nehmen können. Es reicht nicht aus, das Verfahren auf Deutsch oder Englisch anzubieten;[1] denn es ist nicht davon auszugehen, dass bspw. eine Näherin aus Vietnam oder ein Minenarbeiter aus dem Kongo in der Lage sind, sich auf Deutsch oder Englisch mit dem Beschwerdeverfahren vertraut zu machen und ihre Beschwerde in einer dieser Sprachen einzureichen. Das Verfahren muss in der lokal gesprochenen Sprache angeboten werden (dies gilt auch für die Verfahrensordnung[2]).

Es gibt verschiedene Anbieter internetgestützter Beschwerdeverfahren, die automatische Übersetzungstools wie Google Translate oder DeepL in ihre Plattformen integriert haben, sodass Beschwerdeführer die Beschwerde in ihrer eigenen Sprache eingeben können und diese dann auf Deutsch oder Englisch im Unternehmen ankommt.

Dennoch stellt es Unternehmen häufig vor Probleme, das Verfahren entlang ihrer gesamten Lieferkette in allen lokal gesprochenen Sprachen anzubieten. Dies ist aber auch nicht sofort erforderlich. Die Pflicht zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens gilt, wie alle Pflichten des LkSG, im Rahmen des Angemessenen. Ihr Umfang bestimmt sich also nach den Faktoren, die § 3 Abs. 2 LKSG nennt, also der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher, der typischerweise zu erwartenden Schwere von drohenden Verletzungen und nach der Art des Verursachungsbeitrags.

Unternehmen dürfen und sollten also bei der Einrichtung des Beschwerdeverfahrens Prioritäten setzen. Sie müssen das Verfahren nicht sofort flächendeckend entlang der gesamten Lieferkette anbieten, sondern können sich zunächst auf besonders risikobehaftete Zulieferer konzentrieren. Für diese sollten sie dann einen Zugang in den lokal gesprochenen Sprachen ermöglichen. Es ist empfehlenswert, Interessenvertreter von potenziell betroffenen Personen bei der Einrichtung des Beschwerdeverfahrens zu konsultieren, um die Zugänglichkeit zu gewährleisten ("stakeholder dialogue").[3]

[1] Bürger/Müller, in: Depping/Walden, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: LkSG, 1. Aufl. 2022, § 8 Rn 47; differenzierend Gehling/Ott/Lüneborg, CCZ, 2021, 238, 239 – jedenfalls schriftliche Meldungen in allen Landessprachen sollten zugelassen werden.
[2] s. Abschn. 7.
[3] Gläßer/Kühn, in: Henn/Jahn, BeckOK Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 3. Edition 2023, § 8 Rn 227,

Stemberg, CCZ 2022, 92, 95.

6.3.3 Technische Voraussetzungen

Auch der Standort des Beschwerdeverfahrens beeinflusst die Zugänglichkeit. Dazu gehören vor allem die technischen Voraussetzungen und Gegebenheiten.[1] Ein Beschwerdeverfahren über das Internet ist für potenziell Betroffene nur dann zugänglich, wenn an ihrem Wohn- bzw. Arbeitsort die meisten Menschen Internet haben; telefonische Hotlines sind nur dann dienlich, wenn es Netzabdeckung gibt und die meisten Menschen über ein Telefon verfügen.

Unternehmen sollten sich also mit den Verhältnissen an dem Ort vertraut machen, an dem sie das Verfahren anbieten, und das Beschwerdeverfahren entsprechend zuschneiden.

Ein Kanal, der für einen Ort ein zugängliches Beschwerdeverfahren eröffnet, tut dies an einem anderen Ort möglicherweise nicht.

[1] Bürger/Müller, in: Depping/Walden, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: LkSG, 1. Aufl. 2022, Rn 46; Gläßer/Kühn, in: Henn/Jahn, BeckOK Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 3. Edition 2023, § 8 Rn 229.

6.3.4 Kulturelle Faktoren

Außerdem hängt die Zugänglichkeit des Verfahrens auch von kulturellen Faktoren ab. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Alphabetisierungsgrad an dem Ort, an dem das Beschwerdeverfahren angeboten wird. Ist ein hoher Prozentsatz potenziell betroffener Personen nicht schriftkundig, gelten schriftbasierte Eingabekanäle als nicht zugänglich.

Darüber hinaus spielt es für die Zugänglichkeit eine Ro...

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