„Bürokratieabbau darf nicht zum Sicherheitsabbau werden.“
In einer Stellungnahme warnt der VDSI vor einer pauschalen Reduktion von Sicherheitsbeauftragten, gleichzeitig begrüßt der Verband das Ziel eines modernen, schlanken Arbeitsschutzes.
Haufe Redaktion: Herr Kampa, wie bewerten Sie grundsätzlich den Ansatz des BMAS zur Deregulierung im Bereich Arbeitsschutz?
Matthias Kampa: Ich begrüße das Ziel, den Arbeitsschutz zu modernisieren, digitaler und praxistauglicher zu machen. Das vom BMAS vorgelegte Gesamtkonzept setzt auf drei aufeinanderfolgende Pakete; das erste Paket soll im Rahmen des Sofortprogramms Anfang November im Kabinett beschlossen werden. Positiv ist die klare Ausrichtung auf tatsächliche Gefährdungslagen und die angekündigte Entlastung insbesondere für KMU. Kritisch sehen wir pauschale Reduktionen bei Sicherheitsbeauftragten: Für Betriebe unterhalb bestimmter Schwellen kann Entlastung gelingen – gleichzeitig dürfen wir das Schutzniveau und die partizipative Präventionskultur nicht unterminieren. Entscheidend ist deshalb ein risikoorientierter Maßstab statt starrer Zahlen. Zudem gilt: Bürokratieabbau darf nicht zum Sicherheitsabbau werden – das ist Kern unserer Stellungnahme.
Haufe Redaktion: Inwiefern trägt die tägliche Nähe von Sicherheitsbeauftragten auch in KMU zu einer verbesserten Prävention bei? Können Sie Beispiele aus der Praxis nennen?
Matthias Kampa: Sicherheitsbeauftragte sind das „Frühwarnsystem“ im Alltag: nah an Menschen, Prozessen und Abweichungen. Sie erkennen Kleinigkeiten, bevor daraus Schäden, Ausfallzeiten oder schwere Unfälle werden – und sie übersetzen abstrakte Regeln in praktikable Lösungen vor Ort. In KMU, wo Rollen oft gebündelt sind, sorgt diese Nähe für Tempo, Pragmatismus und Akzeptanz: kurze Wege, sofortiges Ansprechen, gemeinsames Nachjustieren. Das stärkt Sicherheitskultur und entlastet Führungskräfte ebenso wie Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Diese Rolle ist durch bloße Dokumentation oder externe Tools nicht vollständig ersetzbar. Dass die geeignete Zahl an Sicherheitsbeauftragten sich auf Basis der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und somit an Gefährdungen sowie an räumlicher, zeitlicher und fachlicher Nähe orientiert – und eben nicht allein an Kopfzahlen –, ist seit Jahren etablierter Maßstab im DGUV-Regelwerk.
Haufe Redaktion: Welche Erkenntnisse gibt es, Studien oder Zahlen, die den „Return on Prevention“ (RoP) durch Sicherheitsbeauftragte untersuchen?
Matthias Kampa: Zum spezifischen RoP einzelner Rollen wie der Sicherheitsbeauftragten gibt es – soweit ersichtlich – keine robuste, isolierte ROI-Zahl. Für den Gesamt-Arbeitsschutz liegt hingegen gute Evidenz vor: Die internationale ISSA/DGUV-Studie („Berechnung der internationalen Rendite von Präventionsmaßnahmen für Unternehmen: Kosten und Nutzen von Investitionen in Arbeits- und Gesundheitsschutz“) aus 2013 weist international einen durchschnittlichen RoP von 2,2 aus („1 Euro in Arbeitsschutz erzeugt 2,20 Euro Nutzen“). Für Deutschland liegt der RoP bei 1,6. Neuere Metaanalysen und Branchenstudien bestätigen: Prävention rechnet sich im Mittel, auch wenn die Bandbreiten je Branche variieren. Genau deshalb fordern wir begleitend zum BMAS-Konzept eine unabhängige Wirkungsprüfung, die die präventiven Effekte – inkl. RoP – systematisch bewertet, anstatt nur unmittelbare Kosten zu bilanzieren.
Haufe Redaktion: Der VDSI spricht sich für einen gefährdungsorientierten Ansatz aus – wie könnte dieser konkret umgesetzt werden, um Bürokratie abzubauen, ohne die Sicherheit zu gefährden?
Matthias Kampa: Ein tragfähiger Bürokratieabbau gelingt, wenn die Zahl der Sicherheitsbeauftragten in Betrieben ab 50 Beschäftigten weiter konsequent an der konkreten Gefährdung ausgerichtet wird: maßgeblich sind räumliche, zeitliche und fachliche Nähe sowie Art und Höhe der Risiken. Starre Obergrenzen lehnen wir ab. In Kleinbetrieben mit geringem Risiko sind Erleichterungen möglich, sofern die Gefährdungsbeurteilung dies trägt. „Digital vor Papier“ ist dabei ein Kernprinzip: Elektronische Nachweise müssen der Papierform gleichgestellt sein; Daten werden einmal erfasst und mehrfach genutzt – im Betrieb, für die Aufsicht, die Unfallversicherung und interne Prüfungen. Jede neue oder geänderte Vorgabe erhält eine Evaluationsklausel mit festem Überprüfungstermin spätestens 36 Monate nach Inkrafttreten. Geprüft werden Sicherheit, Verwaltungsaufwand und Akzeptanz anhand klarer Kennzahlen. So sinkt Bürokratie spürbar, ohne das Schutzniveau zu schwächen.
Haufe Redaktion: Welche zusätzlichen Aufgaben würden sich aus dem Wegfall der Sicherheitsbeauftragten für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Unternehmer ergeben?
Matthias Kampa: Wenn Sicherheitsbeauftragte wegfallen oder stark reduziert werden, müssen Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Führungskräfte näher an den Arbeitsplätzen sein. Regelmäßige Rundgänge und kurze Gespräche helfen, Hinweise früh zu erkennen und den fehlenden Alltagsblick der Sicherheitsbeauftragten zu kompensieren. Wichtig sind einfache Meldewege für Beinahe-Ereignisse und unsichere Zustände – immer mit verbindlicher Rückmeldung, damit Meldungen nicht versanden. Im Ausschuss für Arbeitsschutz braucht es klare Prioritäten, Zuständigkeiten und Fristen bis zum Abschluss der Maßnahmen. Ohne diese Gegensteuerung entsteht ein blinder Fleck im Alltag. Werden Sicherheitsbeauftragte reduziert, braucht die Linie deshalb zusätzliche Zeitbudgets und eindeutig zugeordnete Rollen.
Haufe Redaktion: Wie kann die Partizipation im Arbeitsschutz weiter gestärkt werden, insbesondere wenn weniger Sicherheitsbeauftragte vorgesehen sind?
Matthias Kampa: Sicherheitsbeauftragte sind unverzichtbar für die Prävention im Arbeitsschutz und können nicht ersetzt werden. Ihre zentrale Rolle als Bindeglied zwischen Belegschaft und Leitung gewährleistet die Nähe zu Prozessen und fördert eine lebendige Sicherheitskultur. Eine Reduzierung ihrer Anzahl darf die Arbeitsschutzqualität nicht gefährden. Sollten dennoch gesetzliche Änderungen diskutiert werden, müssen ergänzende Maßnahmen die Partizipation gezielt stärken. Der Arbeitsschutzausschuss (ASA) arbeitet regelmäßig und strukturiert mit klaren Protokollen, festgelegten Verantwortlichkeiten und definierten Eskalationswegen, um Themen systematisch zu bearbeiten und Maßnahmen konsequent umzusetzen. Eine kurze „Sicherheitsminute“ zu Schichtbeginn thematisiert konkrete Risiken oder Beobachtungen und schärft das Sicherheitsbewusstsein. Sicherheitsbeauftragte, Ersthelfer/-innen und Brandschutzhelfer/-innen werden als Multiplikatoren geschult, um Hinweise aufzunehmen, Wissen zu verbreiten und die Belegschaft einzubinden. Niedrigschwellige digitale Meldekanäle, etwa über QR-Codes mit Foto-Upload und auf Wunsch anonym, erleichtern die Beteiligung. Eine transparente Rückmeldung nach dem Prinzip „Ihr habt gemeldet – das wurde umgesetzt“ sichert Vertrauen und Engagement. Diese Maßnahmen ergänzen die Arbeit der Sicherheitsbeauftragten, ersetzen sie jedoch keinesfalls.
Haufe Redaktion: Welche digitalen Lösungen oder technischen Innovationen sehen Sie als sinnvolle Ergänzung zur Arbeit von Sicherheitsbeauftragten bzw. der Erhaltung des Sicherheitsniveaus?
Matthias Kampa: Digitale Gefährdungsbeurteilungen und Nachweise mit elektronischer Unterschrift und fälschungssicherer Ablage reduzieren Zettelwirtschaft und schaffen Klarheit. Einheitliche Datensätze und Schnittstellen ermöglichen, Informationen einmal zu erfassen und mehrfach zu nutzen. Kurze, anlassbezogene Unterweisungen mit Erinnerungsfunktionen – eingebettet in eine Lernplattform – bringen Wissen in den Arbeitsalltag. Künstliche Intelligenz kann bei der Planung von Prüfungen und der Auswertung von Beinahe-Ereignissen unterstützen, stets mit menschlicher Kontrolle, nachvollziehbaren Entscheidungen und klarer Verantwortlichkeit. So verkürzt Digitalisierung Wege und richtet den Blick auf die tatsächlichen Risiken.
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