2.1 Hausinterne Anforderungsspezifikation entwickeln

Wann immer betriebliche Software beschafft wird, findet ein Auswahlprozess statt. Die Basis für einen solchen Auswahlprozess sollte eine Anforderungsspezifikation sein, die darauf abzielt, die Anforderungen an die Nutzung des Systems im Hinblick auf die zu unterstützenden Aufgaben zu spezifizieren. Nur so macht sich der Arbeitgeber wirklich klar, was das Softwaresystem aus Sicht der Aufgaben der teuersten Ressource im Haus – der eigenen Mitarbeiter – erreicht werden muss. Benutzer sind Profis im Erledigen der zugewiesenen Aufgaben. Das folgende Beispiel zeigt, wie eine solche hausinterne Anforderungsspezifikation aussieht.

 
Praxis-Beispiel

Struktur einer Anforderungsspezifikation aus Benutzersicht

Benutzergruppe: z. B. Vertriebsinnendienstmitarbeiter

Zu unterstützende Kernaufgabe 1 (z. B. "Bei Bestandskunden telefonisch Bedarf abfragen")

  • Teilaufgabe 1.1 (z. B. "Feststellen, welche Bestandskunden potenziell Bedarf haben")

    • Nutzungsanforderungen an das Softwaresystem
    • 1.1.1 Der Benutzer muss am System ...
    • 1.1.2 Der Benutzer muss am System überblicken können, welche Kunden länger als durchschnittlich (für den Kunden) keine Aufträge mehr platziert haben.
    • ...
    • 1.1.n Der Benutzer muss am System ...

Zu unterstützende Aufgabe 2

  • Teilaufgabe 2.1

    • Nutzungsanforderungen an das Softwaresystem

      • 2.1.1
      • ...
      • 2.1.2

Grundsätzlich sollten zunächst die unterschiedlichen Benutzergruppen für das Softwaresystem benannt werden. Dann sollten die einzelnen Aufgaben der Mitarbeiter (Kernaufgaben) identifiziert werden. Für jede Kernaufgabe gibt es Teilaufgaben, die zwangsläufig durchzuführen sind. Innerhalb jeder Teilaufgabe stellt sich dann die Frage, was muss man als Benutzer am Softwaresystem wirklich

  • erkennen/überblicken können,
  • auswählen können,
  • eingeben können.

Diese Beschreibungen werden als Nutzungsanforderungen bezeichnet. Sie stehen im Zentrum der Usability. Nutzen entsteht beim Nutzer, wenn dieser am System das tun kann, was aus Sicht der jeweiligen Kernaufgabe erforderlich ist.

Das Erarbeiten einer hausinternen Anforderungsspezifikation sorgt für eine konsequente frühe Einbindung der Mitarbeiter, die das System nutzen sollen. So werden die "bekannten Unbekannten" im Sinne von Nutzungsanforderungen, die in den Köpfen der Mitarbeiter bekannt sind, aber weder den Führungskräften noch den Herstellern hinreichend bekannt sind, inventarisiert, bevor eine mögliche Fehlentscheidung getroffen wird. Das Erarbeiten einer solchen Anforderungsspezifikation dauert i. Allg. mehrere Tage. Die Erarbeitung sollte durch einen erfahrenen Profi moderiert werden, damit qualitativ auch wirklich lösungsneutrale Anforderungen aufgeschrieben werden, die einen Vergleich über verfügbare Lösungen am Markt hinweg ermöglichen. Die Erarbeitung sollte in Sitzungen stattfinden, bei der jeweils Verantwortliche der jeweiligen Fachabteilung und echte Benutzer bzw. zukünftige Benutzer teilnehmen. Nur so wird die Perspektive der Nutzung in den Mittelpunkt gerückt.

2.2 Potenzielle Lösungen durch Lieferanten aufgabenorientiert vorstellen lassen

Bei Auswahlprozessen von Software wird immer wieder der Fehler gemacht, dass man einzelne Hersteller unsystematisch ihr Softwaresystem präsentieren lässt. Dies ist problematisch, da die Vertriebsmitarbeiter der Hersteller natürlich wissen, wie man gelungene Funktionalität in den Vordergrund stellt und nicht ganz so gelungene (oder gar nicht vorhandene) Funktionalität einfach übergeht. Anderseits geraten die Zuhörer des Beschaffers leicht in einen "Konsumentenmodus" und schaffen es nicht, kontinuierlich aktiv zuzuhören.

 
Praxis-Tipp

Anforderungsspezifikation zur Verfügung stellen

Um wirklich zu verstehen, in welchem Ausmaß eine Software für das eigene Haus geeignet ist, sollte der Beschaffer dem infrage kommenden Softwarehersteller die Anforderungsspezifikation im Vorfeld zur Präsentation verfügbar machen und den Hersteller bitten, sein Softwaresystem entlang der zu unterstützenden Aufgaben (aus der Anforderungsspezifikation) beim beschaffenden Unternehmen zu präsentieren. Dies führt beim potenziellen Softwarelieferanten zwangsläufig zu einer ernsthaften Vorbereitung auf den Kontext des beschaffenden Unternehmens. Hierbei kommt der potenzielle Softwarelieferant nicht umhin, zu kommunizieren, welche Anforderungen nicht umgesetzt sind und was eine Umsetzung dieser Anforderungen kosten würde. Diese Kosten kommen ohnehin bei jeder Softwareeinführung auf das beschaffende Unternehmen zu – allerdings sind sie beim hier beschriebenen Vorgehen bereits vor Entscheidungsfindung kalkulierbar.

Der Autor dieses Fachbeitrags hat umfassende Erfahrung bei der Begleitung von Beschaffungsprojekten; das hier beschriebene Vorgehen zahlt sich im wahrsten Sinne des Wortes aus. Nicht immer bleibt der ursprünglich propagierte Softwarelieferant im Rennen. Häufig finden sich passendere und günstigere Alternativen, wenn man denn nur systematisch danach sucht.

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