Zusammenfassung

 
Überblick

Unternehmen sind frei in der Gestaltung des Prozesses und der Auswahl einer geeigneten Methodik für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. In diesem Beitrag wird Ihnen eine spezielle Vorgehensweise vorgestellt, welche sich dadurch auszeichnet, dass Sie als Ergebnis nicht lediglich grundsätzliche Hinweise auf bestimmte Fehlbelastungen, z. B. Informationsdefizite oder Zeitdruck, erhalten, sondern konkrete und detaillierte Beschreibungen und Bewertungen der Belastungen und Beanspruchungen. Diese Vorgehensweise beruht i. W. auf der Durchführung strukturierter Interviews mit repräsentativ ausgewählten Beschäftigten in dem betrachteten Arbeitsbereich.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

§ 5 Arbeitsschutzgesetz fordert eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung. Das Spektrum möglicher Gefährdungen umfasste schon immer auch die psychischen Belastungen. Seit der Änderung des Gesetzes am 25.10.2013 wird die Berücksichtigung der psychischen Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung auch explizit benannt.

Die konkrete Vorgehensweise, d. h. die Gestaltung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung und die Auswahl spezifischer Verfahren und Instrumente, ist weder im Arbeitsschutzgesetz noch in den dazugehörigen Verordnungen abschließend geregelt. Es obliegt daher dem Unternehmer im Rahmen der gesetzlichen Mitbestimmung, diese Festlegungen zu treffen, z. B. in Form einer Betriebsvereinbarung.

1 Was ist das Besondere an der Interviewmethode?

Die am häufigsten verwendete Methodik zur Ermittlung psychischer Belastungen ist die schriftliche und anonyme Befragung der Beschäftigten mittels eines Fragebogens.[1] Als Ergebnis einer solchen Befragung erhält man statistische Durchschnittswerte subjektiver Einschätzungen der erlebten Belastungen (z. B.: "Tragen Sie viel Verantwortung?"). Manche Fragebögen enthalten zusätzlich Fragen zur erlebten Beanspruchung ("Überfordert Sie das?"). Wird gar nicht nach der Beanspruchung gefragt, werden Hypothesen zur Bewertung der Belastungen benötigt, z. B. die Hypothese: viel Verantwortung ist positiv für den Menschen. Oder vielleicht auch die entgegengesetzte Hypothese: viel Verantwortung verunsichert den Menschen und überfordert ihn.

Bei allen Vorteilen einer solchen Mitarbeiterbefragung, v. a. der praktikablen Durchführung auch durch Nicht-Psychologen, sollten folgende Einschränkungen dieser Methodik beachtet werden:

  1. Es wird ausschließlich das subjektive Erleben und die subjektive Bewertung des Erlebten durch die Beschäftigten ermittelt.
  2. Man erhält Hinweise auf Ressourcen (z. B. die Ausstattung mit Arbeitsmitteln wird sehr positiv bewertet) sowie auf grundsätzliche Belastungen (z. B. im Arbeitsbereich XY bemängeln die Beschäftigten ihre Ausstattung mit Arbeitsmitteln). Sie kennen dann aber noch nicht die nötigen Details, um geeignete Maßnahmen zur Verbesserung zu identifizieren. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen.
 
Praxis-Beispiel

In jedem Unternehmen finden sich ganz spezifische Belastungen

Die Servicemonteure eines Unternehmens fahren tagsüber mit ihrem Auto von einem Kunden zum nächsten. Sie führen bei ihren Kunden Wartungs- und Reparaturtätigkeiten aus. Sie haben Abstimmungsbedarf mit ihren Kollegen ("Du warst doch neulich bei Kunde X. Sag mir mal …") und ihren Kunden ("Ich bin auf dem Weg, komme 10 Minuten später, wo genau ist der Zugang zu …?"). Sie besitzen aber keine Freisprecheinrichtung in ihrem Auto. Die offizielle "Ansage" lautet: Beim Autofahren soll nicht telefoniert werden. Nun ist es aber andererseits naheliegend und sehr praktisch, gerade die Autofahrten zum Telefonieren zu nutzen, zumal alle Mitarbeiter unter erheblichem Zeitdruck stehen, wenn sie ihr vorgesehenes Tagespensum schaffen wollen. Was ist die Folge? Die Kollegen telefonieren während der Fahrt mit ihrem privatem Handy. Sie haben dabei natürlich ein schlechtes Gewissen und fürchten negative Konsequenzen, wenn das bekannt wird. Und sie gehen beim Fahren ein unnötiges Risiko ein.

Wir haben hier also eine psychische Fehlbelastung, die dringend abgestellt werden sollte und auch relativ einfach abzustellen ist: durch Freisprecheinrichtungen. Solche ganz speziellen Belastungssituationen gibt es in allen Unternehmen und allen Arbeitsbereichen und sie sind durch Fragebögen nicht zu entdecken. Fragebögen sind immer standardisiert und bieten nur eine begrenzte Anzahl relativ allgemeiner Fragen. Im Falle einer Mitarbeiterbefragung per Fragebogen hätten die Monteure vielleicht einen kritischen Wert angekreuzt bei der Frage nach geeigneten Arbeitsmitteln. Vielleicht wären sie aber auch durch den Fragebogen gar nicht an diese Problematik erinnert worden, weil die Fragen eben allgemein formuliert sind. So oder so wären die betrieblich Verantwortlichen nicht auf dieses Thema aufmerksam geworden.

Interviews besitzen gegenüber Fragebögen den großen Vorteil ihrer Offenheit für alle erdenklichen speziellen und besonderen Arbeits- und Belastungssituationen. Es sollte natürlich einen betrieblich abgestimmten Interview...

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