Arbeitsmedizinische Vorsorge umfasst die Gesamtheit der arbeitsbedingten Einwirkungen (Belastungen) auf Beschäftigte und die Auswirkungen auf deren Gesundheit. Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) definiert seit 2008 Vorsorgeanlässe einerseits expositionsbezogen und verfolgt andererseits ein umfassendes arbeitsmedizinisches Vorgehen im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes. Daher wurden 2019 Klarstellungen zur ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge eingefügt (§ 3 Abs. 3 Satz 2, § 6 Abs. 1 Satz 3 ArbMedVV). Alle Vorsorgeanlässe sollen nunmehr in einem Termin gebündelt werden; das erleichtert die Organisation der Vorsorgen und ermöglicht individuelle Aufklärung und Beratung zu allen arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren.

Definition der Ganzheitlichkeit

Die Ganzheitlichkeit des Menschen beschreibt die Einheit von Körper, Seele, und Geist, also das Individuum mit seinen Idealen, Wertvorstellungen und Sinnerfahrungen, sowie die Beziehungen zu seiner natürlichen und sozialen Umwelt. Ganzheitliche Medizin berücksichtigt umfassend alle Aspekte von Gesundheit und Krankheit mit dem Ziel, gesundheitliche Chancen und Risiken sowie deren Verknüpfungen entsprechend zu bewerten. Die am 19.12.2022 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales konkretisierend bekannt gemachte Arbeitsmedizinische Regel AMR 3.3 "Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen" berücksichtigt darüber hinaus die individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ArbMedVV). Sie soll damit arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig erkennen und verhindern, einen Beitrag zur individuellen Gesundheit der Beschäftigten mit Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leisten und zur Stärkung des betrieblichen Gesundheitsschutzes beitragen.

Präventionssetting "Betrieb"

Das Präventionssetting "Betrieb" umfasst aktuell in Deutschland ca. 45 Mio. Erwerbstätige, die überwiegend (noch) nicht krank sind, die nicht oder kaum zum Arzt gehen und die großenteils weder an allgemeinen Präventionsprogrammen noch an Gesundheitsförderung teilnehmen. Da arbeitsbedingte Gefährdungen in komplexer Weise über Arbeitsanforderungen, -mittel, -bedingungen und –umgebungsfaktoren auf die Beschäftigten einwirken, ist eine fokussierte Betrachtung einzelner Tätigkeiten/Einwirkungen nicht zielführend. Zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit haben sich frühzeitige Hinweise zum Erhalt der individuellen Gesundheit (Übergewicht, Alkohol, Drogen), aber auch zur Ursache arbeitsbedingter Erkrankungen oder deren Verschlimmerung im Rahmen der betrieblichen Vorsorge als sinnvoll erwiesen. Da mehr als 50 % der Beschäftigten bisher über Pflicht- und Angebotsvorsorgen in den Betrieben praktisch keinen Kontakt mit Betriebsärzten hatten, ist nun festgelegt, dass Arbeitgeber alle Beschäftigten über die Möglichkeit arbeitsmedizinischer Wunschvorsorge informieren müssen und sie unter Wahrung der Freiwilligkeit der Beschäftigten auch aktiv bewerben sollen.

Bei der ganzheitlichen Vorsorge handelt es sich um keine neue Kategorie der arbeitsmedizinischen Vorsorge, vielmehr bezieht sich der ganzheitliche Ansatz auf alle 3 Arten der arbeitsmedizinischen Vorsorge, d. h., er gilt für die Pflicht-, Angebots- und – die nunmehr gestärkte – Wunschvorsorge gleichermaßen.

Die Zusammenfassung aller Anlässe in einer Beratung unterstreicht die für die Individualmedizin geforderte ganzheitliche Sichtweise auf die körperliche, psychische und soziale Gesundheit im Sinne einer ganzheitlichen Präventionsberatung (gesunde Lebensführung und gesunde Arbeitsplatzgestaltung), ggf. ergänzt mit Hinweisen zu Angeboten der betrieblichen Gesundheitsförderung und Therapiemöglichkeiten der kurativen Medizin.

Die Befürchtung, der ganzheitliche Ansatz würde zu einer massiven Ausweitung der arbeitsmedizinischen Vorsorge führen und immense zusätzliche Kosten verursachen, hat in einigen Betrieben zu großer Verunsicherung geführt. Richtig ist, dass die Zielgruppe bewusst auf alle Beschäftigten ausgeweitet wird, die Zusammenfassung aller anlassbezogenen Vorsorgen in einem Beratungstermin bei strukturiertem Vorgehen aber zu einer größeren Akzeptanz führen wird.

Der nachfolgende Beitrag soll mit Betrachtung der Hintergründe und praktischen Beispielen dem Arbeitgeber, dem betrieblichen Arbeitsschutz und dem Betriebsarzt die Umsetzung dieses ganzheitlichen Ansatzes erleichtern und dessen Vorteile aufzeigen.

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