Grün, gut, günstig: Geht das?

Anlass für diesen Artikel ist eine persönliche Erfahrung: Vor gut einem Jahr kaufte ich ein „nachhaltiges“ Smartphone. Es stammte von Gigaset, wurde in Deutschland produziert, gab eine langjährige Update-Garantie, Reparaturservice und hatte einen austauschbaren Akku. Das überzeugte mich.
Anfangs war ich zufrieden. Doch schon nach wenigen Wochen wuchs in mir Enttäuschung: Die Gesichtserkennung versagte oft, ebenso der Fingerabdrucksensor. Auch die Bluetooth-Verbindungen zu einigen Geräten brachen öfter ab. Nach gut einem Jahr war meine Geduld am Ende. Mein Sohn gab mir mitleidvoll sein ausrangiertes iPhone – und prompt hatte ich die Qualität, die ich gewohnt war. Ich beschwerte mich bei Gigaset. Der Service war sehr freundlich. Sie überprüften mein Handy. Einen Fehler fanden sie nicht. Und ich blieb bei dem alten iPhone.
Nur ein kleines, persönliches Erlebnis. Und doch erzählt es viel über den Zusammenhang von Qualität und Nachhaltigkeit.
Was ist Qualität?
„Qualität hat immer mit Erwartungen zu tun“, sagt Dr. Holger Brackemann, bei der Stiftung Warentest Mitglied der Geschäftsführung und Leiter des Bereichs Untersuchungen. In meinem Fall waren diese durch viele Jahre iPhone-Nutzung geprägt. Und das konnte die Pluspunkte bei Gigaset im Bereich Nachhaltigkeit nicht wettmachen.
Es kann aber auch anders gehen, denn Qualität ist – zumindest teilweise – subjektiv: Siddharth Prakash leitet im Öko-Institut den Bereich Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten. Er nutzt privat nur wieder aufbereitete Smartphones. „Sie sind in der Funktionalität etwas eingeschränkt, aber bieten dennoch, was man braucht. Für meine Bedürfnisse ist das völlig ausreichend“, sagt er.
Doch er weiß, dass er damit in der Minderheit ist. „Nur wenige sind bereit, Einbußen zu akzeptieren. Die meisten sind davon genervt und akzeptieren das nicht.“ Konsequent nachhaltige Handys bleiben damit eine Nische. Dass es die Unternehmen, die sie herstellen, gibt, ist für Prakash dennoch wichtig: „Sie setzen wichtige Impulse, dass es auch anders geht.“
Brackemann verweist auf ein bekanntes Paradox: „Zwei Drittel der Konsument:innen sagen, ihnen seien ESG-Kriterien wichtig. Doch nachhaltige Produkte haben meist nur einstellige Marktanteile.“ Für ihn hat Qualität sehr viel mit Erwartungshaltung zu tun. „Wenn ein Produkt die Erwartungen nicht erfüllt, wird es sehr schnell ersetzt. Und Ressourcen wurden unnötig verbraucht.“
„Gigaset ist derzeit der einzige Hersteller, der seine Smartphones vollständig in Deutschland produziert“, sagt Ralf Lueb, SVP Sales & Marketing bei Gigaset. „Unser Fokus liegt auf Langlebigkeit und Zuverlässigkeit – nicht darauf, jedes technische Detail oder alle neuen Funktionen abzubilden. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche und achten dabei auf einen Preis, der für viele Menschen bezahlbar bleibt. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, Nachhaltigkeit, Qualität und Preis so auszubalancieren, dass die Erwartungen der Kundinnen und Kunden erfüllt werden. Viele von ihnen schätzen genau das – insbesondere die Fertigung in Deutschland und die lange Nutzungsdauer unserer Geräte.“
Wie lassen sich Qualität und Nachhaltigkeit verbinden?
Dr. Benedikt Sommerhoff leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Qualität das Themenfeld Qualität & Innovation. Für ihn ist Qualität mehr, als dass ein Produkt die funktionalen Anforderungen erfüllt. Deshalb ergänzt er dieses traditionelle Qualitätsverständnis gerne um zwei Aspekte: Das Produkt muss allen gesetzlichen Anforderungen entsprechen - und es muss moralisch stimmig sein in dem Sinne, dass es alle Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt. „Da, wo alle drei Elemente zusammenkommen, haben wir eine höhere Qualität, als wenn wir nur auf die Funktion blicken“, sagt Sommerhoff.
Einfacher wird es dadurch nicht. „Der Qualitätsbegriff wird komplizierter und vielseitiger. Es wird anstrengender, sich damit auseinander zu setzen.“
In der Praxis verbindet die Stiftung Warentest Qualität und Nachhaltigkeit schon seit langem. Sie testet konventionelle und nachhaltige Produkte einheitlich. „Wir beurteilen die Produkte stets nach den gleichen Qualitätskriterien. Wir legen ja auch keine unterschiedlichen Maßstäbe an, wenn wir Rotkohl als Tiefkühlware und als Konserve testen“, sagt Dr. Holger Brackemann.
Die Tests zeigen: Es gibt Qualitätsunterschiede – zumindest teilweise. Brackemann gibt einen Überblick: Nachhaltige Handys können in der Qualität nicht mit den Markführern und deren großen Entwicklerteams mithalten und sind im Vergleich relativ teuer. Bei Lebensmitteln sind Bio-Lebensmittel mit konventionellen vergleichbar – und weisen weniger Pestizid-Rückstände auf. Im Bereich Reinigungs-/Waschmittel wiederum fällt der überwiegende Teil der ökologischeren Produkte in der Performance laut Brackemann zurück. Und gerade dieses Beispiel zeigt, wie komplex es ist, Nachhaltigkeit in die Qualitätsbewertung einzubeziehen. „Wenn ich ein T-Shirt mit einem Öko-Waschmittel reinige und es nach wenigen Wäschen wegwerfe, weil es grau geworden ist, ist das mit Sicherheit nicht nachhaltig“, sagt Brackemann. Ein anderes Beispiel sind feste Shampoos, durch die sich Plastikverpackungen reduzieren lassen. „Wenn das Shampoo dazu führt, dass ich meine Haare länger ausspülen muss, kippt die ganze Ökobilanz“, warnt Brackemann.
Noch komplizierter wird es bei Fragen entlang der Lieferkette. Wie Aluminium abgebaut oder Baumwolle geerntet wurde, sieht man dem Produkt meist nicht an. Entsprechende Recherchen sind aufwändig. Die Stiftung Warentest führt sie deshalb nur punktuell durch.
Wenn ein Unternehmen seine Produkte nachhaltiger gestalten und gleichzeitig die bisherige Qualität beibehalten will, treten schnell Zielkonflikte auf, warnt Sommerhoff: „Was mache ich, wenn steigende Nachhaltigkeitsanforderungen es erschweren, die Qualität beizubehalten?“ Dann entstünden zusätzliche Entwicklungskosten. Ebenso könnte mehr Nachhaltigkeit die Margen sinken lassen. „Man kann sich bei solchen Fragen schnell verrennen und viele Fehler machen“, warnt Sommerhoff. Allein: „Nichts zu tun ist auf jeden Fall ein Fehler.“
Wie hängen Qualität und Langlebigkeit zusammen?
Ein zentraler Hebel, um Qualität und Nachhaltigkeit zu verbinden, ist die Lebensdauer. Für Siddharth Prakash sind Smartphones ein Beispiel dafür, wie Lebens- und Nutzungsdauer auseinanderklaffen können. „Ein Smartphone kann auf lange Lebensdauer angelegt sein, aber Werbung und Rabattaktionen verleiten dazu, funktionierende Geräte nicht weiter zu nutzen.“ Qualität und Nachhaltigkeit verbinden sich für ihn vor allem dann, wenn langlebige Geräte auch lange genutzt werden. Aus dieser Perspektive können sogar höhere Preise für mehr Nachhaltigkeit sorgen: „Die Marktzahlen zeigen, dass im Hochpreis-Segment die Gesamtnutzungsdauer inklusive Wiederaufbereitung steigt.“
Für Prakash geht es vor allem darum, den Konsum zu verlangsamen. Dafür braucht es unter anderem auch Bewusstseinsbildung: Die Menschen müssen verstehen, dass weniger Konsum kein schlechteres Leben bedeutet. Gleichzeitig müssten sich die ökonomischen Rahmenbedingungen ändern. „Es kann nicht sein, dass Primärrohstoffe günstiger sind als Rezyklate“, sagt Prakash. Wichtig sei zudem die Internalisierung externer Kosten.
Auch Brackemann sieht die Langlebigkeit als entscheidenden Hebel, um Qualität und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Schon allein deshalb, weil ein Produkt von guter Qualität höhere Chancen hat, dass es länger genutzt werden kann. In dem Sinne kann eine Investition in Qualität auch eine Investition in Nachhaltigkeit sein. Zudem werden in dem Zusammenhang Reparaturen wieder wichtig. Allein: „Ökologisch ist Reparieren fast immer sinnvoll, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnt es sich erst bei Produkten, die nennenswert dreistellig kosten.“ Ansonsten lägen die Reparaturkosten sonst schnell über dem Einkaufswert.
Umweltzeichen: Orientierung für Kunden und Unternehmen
Ein bewährtes Mittel, um Qualität und Nachhaltigkeit miteinander im Blick zu haben, sind Umweltzeichen. Prakash nennt den Blauen Engel oder das EU-Umweltzeichen. Zum einen geben sie dem Verbraucher Klarheit. Zum anderen setzen sie aber auch für die Unternehmen Maßstäbe. „Wir kennen Unternehmen, die ihre Produktentwicklung stark an diesen Umweltzeichen ausrichten“, sagt Prakash.
Ein leicht übersehener Vorteil: Umweltzeichen sind mit der öffentlichen Beschaffung verzahnt. Wer also ein Umweltsiegel hat, darf auf den Staat als Kunden hoffen. Das ist nicht zu vernachlässigen: Der Einkauf durch den Staat steht für 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Qualität und Kommunikation
Wenn Qualität viel mit den Erwartungen der Kund:innen zu tun hat, dann spielt auch die Kommunikation eine wichtige Rolle. „Die Unternehmen sollen darüber sprechen, was sie bieten und was sie nicht leisten können“, empfiehlt Prakash. Wer nachhaltige Produkte glaubwürdig machen will, muss konkret und transparent kommunizieren. Plakative Nachhaltigkeit ohne Substanz führt schnell zum Vertrauensverlust. Sommerhoff ergänzt: „Wenn Kommunikation und Produkt nicht zusammenpassen, entsteht der Verdacht auf Greenwashing.“ Es gehe darum, ein stimmiges Gesamtbild zu zeigen – von Produktdesign über Kundenservice bis zur Lieferkette. Dann wissen die Kund:innen, welche Qualität sie erwarten können - und was nicht.
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