Bist du vielleicht ein Teil der folgenden Statistik? Drei Viertel der deutschen Beschäftigten machen laut der aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup nur noch das Nötigste im Job. Keine Extrameile, Überstunden nur mit Widerwillen, Gehirn aus, sobald man aus der Tür ist und im Grunde schon auf der Suche nach was Neuem. Das ist der niedrigste gemessene Motivationsgrad aller Zeiten! Die Quote derjenigen, die ein enges emotionales Verhältnis zu ihrem Job haben, ist erstmals in den einstelligen Bereich gefallen – ein drastisches Ergebnis, bedenkt man, dass diese Daten schon seit über 20 Jahren erhoben werden. Die Gründe sind sicherlich so vielfältig, wie die Menschen zwischen den Zahlen. Gallup fokussiert in der Erklärung insbesondere die demotivierende und wenig Vertrauen stiftende, funktionale Führungskultur in Zeiten von Poly-/Omni- und Stapel-Krisen, in denen oft wenig Zeit für intensive Führung ist. Doch nicht allein die führungskraftlosen Führungskräfte sind es, die die Menschen zum Gehen bringen, sondern auch die Krisen an sich sind es, die Menschen dazu bringen, den Job infrage zu stellen. Vielen Arbeitnehmenden fehlt in Zeiten omnipräsenter Krisen schlichtweg die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Sara Weber hat es schon im Titel ihres Buches auf den Punkt gebracht, in dem sie fragt: „Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?“
Sinn = emotionale Bindung zum Unternehmen
Weitere wissenschaftliche Studien stellen entsprechend auch einen direkten Zusammenhang zwischen der emotionalen Bindung von Arbeitnehmenden und der empfundenen Sinnhaftigkeit der Unternehmensvision her (bspw. StepStone). Diese Feststellung erscheint banal. Doch im Arbeitsalltag verlieren sich die damit einhergehenden Implikationen. Sinnhaftigkeit hat eben nicht nur damit zu tun, ob man in einem Team eine Rolle ausfüllt, die zum „großen Ganzen“ beiträgt und seine Stärken ausleben kann, sondern auch mit den äußeren Gegebenheiten in der Welt.
Wenn die Welt „Krise?!“ ruft, reicht es nicht, wenn das Unternehmen weiterhin „Putzlappen“, „Elektroroller“ oder „Social Media Marketing“ antwortet.
Viele Unternehmen versuchen daher, der Eigeninitiative ihrer Mitarbeitenden Raum zu geben. Sogenannte Green Circles oder Green Teams werden landauf landab in Unternehmen aus dem Boden gestampft. Nachhaltigkeitsinitiativen gestartet. Beim nächsten Offsite gehen alle gemeinsam Waldbaden. Ein Nachhaltigkeitsbericht wird erstellt, Innovationsprojekte gestartet, Abfall–Strategien erarbeitet. Wer in einem solchen Unternehmen arbeitet – Glückwunsch! – kann an dieser Stelle die Bezeichnung „Business-Aktivist:in“ unter den Namen auf seine Visitenkarte schreiben und dann aufhören zu lesen. Das Unternehmen ist vielleicht noch nicht am Ziel angekommen, aber auf einem guten Weg dorthin – dank dir! Im Idealfall bewegt sich gleich die ganze Branche mit.
Nachhaltigkeit als Mitarbeiterhobby
Sehr viel häufiger läuft es jedoch leider wie bei meiner Freundin, die bei einer mittelgroßen Marketing–Agentur in Berlin arbeitet. Die Eigeninitiative wird begrüßt. Doch dann soll die Frage danach, wie die Agentur sich nachhaltiger aufstellen kann, außerhalb der regulären Arbeitszeiten beantwortet werden. Es gibt keine Budgets, das Ganze wird eher als Hobby der Mitarbeitenden betrachtet. Und spätestens als meine Freundin in die nächste Elternzeit startete, lag das Projekt komplett auf Eis. Während sich Führungskräfte andernorts noch fragen, wie sie wohl ihre Mitarbeitenden für einen neuen Kurs motivieren, wird mit dieser Story spätestens klar: die Motivation ist da. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns nicht überlegen, wie wir sie wecken können, sondern vielmehr, wie wir damit aufhören können, Mitarbeitende zu demotivieren.
Die Wechselbereitschaft steigt
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Wie wird man in einem solchen Umfeld Business-Aktivist:in? Oder muss vielleicht doch ein anderer Job her? Auch dafür liefert Gallup einige interessante Zahlen. Die Wechselbereitschaft steigt. Während sich 2018 noch knapp 80 Prozent der Arbeitnehmenden auch im nächsten Jahr bei ihrem aktuellen Arbeitgeber sahen, sind es inzwischen nur noch 50 Prozent. Und nur 34 Prozent planen, mittelfristig, also in drei Jahren noch bei ihrem aktuellen Arbeitgeber zu sein – ein Rückgang um 31 Prozent im Vergleich zu 2018. Natürlich ist eine fehlende Ausrichtung im Sinne der Nachhaltigkeit nicht der alleinige Treiber für diese Entwicklung. Doch in Zeiten des Fachkräftemangels müssen Unternehmen alle möglichen Ursachen für eine fehlende Loyalität in Betracht ziehen – und dagegen arbeiten. Wohingegen es Unternehmen, die sich einem gesellschaftlichen oder ökologischen Zweck verschrieben haben, nachweislich leichter fällt, Mitarbeitende zu finden und zu halten (vgl. Deloitte) – wenn sie denn dabeibleiben. Gerade im Nachhaltigkeitsbereich steigt aktuell die Unzufriedenheit: 66 Prozent der wechselbereiten Nachhaltigkeitsmanager:innen sind frustriert, „weil nichts vorangeht“. Wenn also für den Aktivismus im Job keine Zeit ist – oder er wie in 25 Prozent der deutschen Unternehmen schlichtweg nicht gewollt wird (Haufe) – stellt sich die Frage nach einem Jobwechsel immer drängender.
Wie viele Nachhaltigkeitsmanager:innen brauchen wir noch?
Und hier macht sich dann bei vielen eine große Leere breit. Man ist sein Leben lang einen Weg gegangen. Einstieg hier. Führungsposition dort. Karriereleiter rauf. Kompetenzen ausgebaut. In die Zukunft investiert. Viele coole Projekte umgesetzt. Tolle Menschen getroffen. In der Branche vernetzt. Und jetzt steht man wie Hänsel mit Gretel im Wald, versucht der Spur aus Brotkrumen zu folgen, verliert die richtige Richtung aus den Augen und fragt sich: Aber wohin mit mir?! Das Lebkuchenhaus lockt – gute Bezahlung gibt es vor allem in der Hölle. Nagut, jetzt wirds ein bisschen zu dramatisch. Aber ihr wisst, was ich meine. Wie finde ich in dieser Situation einen guten Weg für mich? Wie werde ich Business-Aktivist:in, wenn nicht mit dem Job, den ich habe? Zunächst einmal darf mit dieser Frage und entsprechenden Falten auf der Stirn kurz durchgeatmet werden. Da wir nicht nur in einzelnen Abteilungen Nachhaltigkeitsinnovationen umsetzen wollen, sondern sie nach und nach als Teil des unternehmerischen und gesellschaftlichen Betriebssystems etablieren wollen, kann auch jeder Job potenziell zur Transformation beitragen – egal ob die Personen in der Nachhaltigkeitsabteilung arbeiten, im Lager, in der Geschäftsführung oder im Marketing (oder oder …). Das heißt, dass es wahrscheinlich eher nicht sinnvoll und notwendig ist – auch wenn es im ersten Moment so scheint – seinen Job zu kündigen, um noch ein Aufbaustudium Nachhaltigkeitsmanagement zu absolvieren. Wer darauf Lust hat: super! Doch wenn die Eigeninitiative der Mitarbeitenden im Unternehmen Raum bekommt, fährt man eigentlich recht gut damit, aus der bestehenden Position heraus Veränderungen anzustreben. Denn jeder Job ist potenziell aktivistisch. Und wir brauchen alle möglichen Kompetenzen, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Wenn man jedoch immer weiter vertröstet wird und die grüne Transformation als „someday - maybe“-Projekt auf der letzten Seite der Unternehmensstrategie steht oder Green Circles nach dem Sustainability Hype der letzten Jahre eher wieder eingestampft werden, muss man sich was überlegen. Doch auch dann ist trotz der Notwendigkeit eines Jobwechsels keine grundlegende, individuelle Neufindung notwendig. Mit dem, was du kannst, wirst du gebraucht! Bei welchem neuen Arbeitgeber genau deine Fähigkeiten zum Tragen kommen können, das gilt es jetzt herauszufinden. Keine Sorge: nicht allein! Jeder Hänsel hat seine Gretel. Und jede:r angehende Business-Aktivist:in hat eine Reihe von Möglichkeiten, sich der eigenen, neuen Zukunft zu nähern.
School for Moral Ambition
Als besonders aktiver Begleiter auf diesem Weg, positioniert sich aktuell der Historiker und Autor Rutger Bregman. Nach einigen Jahren des „passiven“ Schreibens für ein neues Menschenbild („Im Grunde Gut“) wollte er selbst etwas Praktisches tun. Mit seinem aktuellen Buch „Moralische Ambition“ plädiert er für ein konstruktives Verständnis von Karriere abseits des Höher, Schneller, Reicher und fragt, warum wir den Großteil der Eliteuniabsolvent:innen und sonstigen Talente in die Anwaltskanzleien und Techkonzerne verschwinden lassen, anstatt ihnen die wirklich großen und wichtigen Aufgaben der Menschheit anzuvertrauen. Warum beschäftigen sich diese Leute in ihrem Berufsleben damit, reiche Menschen noch reicher zu machen (bspw. in der Vermögensverwaltung), statt damit, wie wir die Armut auf der Welt abschaffen, oder HIV bekämpfen? Um es nicht bei einem weiteren Buch zu belassen, hat er die „School for Moral Ambition“ gegründet – eine Stiftung, die ambitionierten Menschen dabei hilft, ihre Lebenszeit nicht mit To-do Listen zu vergeuden, sondern dafür einzusetzen, dass sich am Ende wirklich etwas zum Guten verändert hat. In „Moral Ambition Circles“ aus acht Personen wird ein Weiterbildungsprogramm durchlaufen, mit dem die eigene Karriere evaluiert und neue Karrierewege kennengelernt werden können, die mit den eigenen Ambitionen übereinstimmen. Im Team hilft man sich, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Außerdem gibt es von der „School for Moral Ambition“ formulierte globale Challenges, die als besonders wichtig und dringend erachtet werden. Wer dabei mithelfen möchte, sie zu lösen, kann sich auf Fellowships bewerben, bspw. um mehr Steuergerechtigkeit in den USA herzustellen, oder an Lösungen für eine tabakfreie Welt zu arbeiten.
On Purpose
Auch das Unternehmen „On Purpose“ hilft Einzelpersonen dabei, neue Wege zu gehen. Und das sogar mit Bezahlung. Parallel zu Coachings und Workshops verantworten die Fellows des Programms innerhalb eines Jahres zwei verschiedene Projekte bei ökologisch oder sozial ausgerichteten Organisationen, finden so neue Arbeitskontexte mit Impact – egal ob sie im Controlling, im Marketing oder aus vollkommen anderen Bereichen kommen. Die Projekte werden genauso gematcht, dass das, was du kannst, zu dem passt, was gebraucht wird. Eine neue Runde startet im Herbst dieses Jahres.
Starke Nerven und starkes Nerven
Wem das alles trotz allem Impact doch etwas zu weit weg von der „echten“ Wirtschaft ist, dem hilft zum Abschluss vielleicht die folgende Geschichte von einer waschechten Business-Aktivist:in, die mein Partner in Life, Crime and Business Lukas und ich vor einiger Zeit für ein Interview getroffen haben, um ihren ganz persönlichen Take auf Business–Aktivismus kennenzulernen:
Während andere Bewerber:innen für einen Job bei einer Fluggesellschaft sich das wahrscheinlich nicht getraut beziehungsweise sich mit einer solchen Einstellung überhaupt gar nicht erst beworben hätten, hat Jule Klein schon im Vorstellungsgespräch für ihren Job bei einer Airline sehr deutlich gemacht, worum es ihr geht. Sie reist ohne eigenes Auto, innerdeutsch nur mit der Bahn und innereuropäisch am liebsten auch – eigentlich keine Statements, mit denen man ein Bewerbungsgespräch bei einer Airline eröffnet. Die Luftfahrtbranche gilt – zumindest von außen betrachtet – nicht gerade als Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit. Doch in diesem Fall ist Jule Klein beim neuen Arbeitgeber überraschend auf offene Ohren gestoßen. Die damals zuständige Führungskraft war auf der Suche nach jemandem, der es ernst meint, einer „Inhouse–Aktivistin“ mit dem nötigen Drive und einer gewissen Bereitschaft, auch mal anzuecken. Denn obwohl der Erfolg der Firma von der zukünftigen Existenz der oft bedrohten „Destinationen“ abhängt – wer will schon noch auf die Malediven fliegen, wenn sie im Meer versunken sind – beißt man in der Branche in Sachen Nachhaltigkeit weiterhin oft auf Granit – nicht unbedingt, weil der Wille nicht da ist. Doch über lange Zeiträume gewachsene Strukturen zu verändern, ist eben kein Sonntagsspaziergang. Jules Job besteht daher vor allem aus starken Nerven – und starkem Nerven: Immer wieder bringt sie Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in den unterschiedlichsten Kontexten auf den Tisch, bleibt unbequem, macht Kolleg:innen Mut, es auch zu werden. Verbündete gibt es in der Branche überraschend oft, berichtet sie uns – egal ob in der Kabine oder in der Verwaltung. Besondere Unterstützung kam beispielsweise von den Crews der Fluglinie, die sich freuen, wenn Ausstattung und Verpflegung an Bord nachhaltiger werden. Für Jule ist eine Airline gerade, weil hier so viel zu tun ist, genau der richtige Ort, um etwas zu bewegen – auch wenn ihr eher konventionell aktivistisches Umfeld es erstmal gar nicht so toll fand, dass sie zu „den Bösen“ gewechselt ist. Doch zügige und systematische Lösungen lassen sich eben am besten direkt im Unternehmen entwickeln und umsetzen, ist sich Jule sicher.
Müssen wir jetzt also alle unsere Jobs kündigen, um Business-Aktivist:in zu werden? Wenn die Hürden im aktuellen Unternehmen zu hoch sind, ist die Antwort auf diese lebensverändernde Frage wahrscheinlich ja. Doch auch wenn es manchmal so scheint, ist eine komplette Neuerfindung meistens nicht nötig. So wie wir uns alle aktuell eben auch näher mit KI beschäftigen müssen, so profitieren auch alle Jobs und Unternehmen als Ganzes von einem Nachhaltigkeits-Drive – wenn die Führungsstärke der Führungskräfte es zulässt. Dabei ist es jedoch nicht immer direkt in der Stellenausschreibung ersichtlich, ob ein Job das Potenzial dafür hat, eine:n Business-Aktivist:in zu beherbergen. Doch wer weiß, was er oder sie selbst erreichen möchte, wer eine Vision hat für die Branche und das Unternehmen und diese klar und deutlich äußert, der könnte die Erlaubnis bekommen, sie umzusetzen. Traust du dich?