Nachhaltigkeit: Interview mit Yvonne Zwick

„Die Zeit für Positionspapiere ist vorbei – wir brauchen Realitätsbezug und konsequentes Handeln“


Interview Yvonne Zwick - 17 Thesen zum nachhaltigen Wandel

Wie kann eine nachhaltige Zukunft gelingen und wie können wir eine Wirtschaft gestalten, die allen Menschen nützt und niemandem schadet? Yvonne Zwick formuliert dazu in ihrem neuen Buch „Nachhaltigkeit machen“ 17 Thesen, die an die Wurzel gehen. Wir sprachen darüber mit der Diplom-Theologin und Vorsitzenden des Unternehmensnetzwerks BAUM e. V.

Frau Zwick, was begeistert Sie bis heute an den 17 Sustainable Development Goals (kurz: SDG) der Vereinten Nationen?

Sie wirken systemisch wie ein Mobile: Fasse ich eine Stelle an, geraten auch andere in Bewegung. Lösen wir soziale Fragen mit wirksamem Klimaschutz und intelligenter Kreislaufwirtschaft, eröffnen sich auch ökonomische Perspektiven, die begeistern und unsere aktuelle Lage ernst nehmen. Sie sind so anschlussfähig. Wenn ich in Stadthallen, Schützenhäuser oder auf Konferenzen eingeladen werde, um von europäischen Regulierungsinitiativen und Transformation zu sprechen, dann gibt es zu den 17 Zielen Nicken im Publikum. Kaum eine Unternehmerin, kein Investor und keine Managerin würde diesen Zielen nicht zustimmen. Alle könnten sie unterschreiben, weil sie durch und durch gut sind. Spreche ich über die SDG, entspannt sich die Stimmung. Dann sprechen wir über Werte, Handlungsdruck, der offensichtlich ist, und über Lösungsansätze.

Allerdings haben wir die SDG irgendwie auch verraten. Wir haben sie verzwergt und verniedlicht zur Entwicklungsagenda für andere. Damit haben wir sie überhaupt angreifbar für populistische Politiker:innen gemacht, unter anderem des mächtigsten Präsidenten dieser Welt, der der Ansicht ist, die SDG widersprächen den Zielen der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich will sie salonfähig machen für die Überwindung von Populismus und Polarisierung.

Zu jedem der 17 Ziele haben Sie in Ihrem neuen Buch eine These formuliert, die Brücken schlagen soll zwischen globalen Herausforderungen und lokalen Handlungsmöglichkeiten. Können Sie das konkretisieren?

Ich erzähle vom Gelingen und vom Scheitern, von Fortschritten und Widersprüchen und stelle Menschen vor, die an irgendeiner Stelle im großen gesellschaftlichen Getriebe etwas richtig gut hinbekommen und an denen wir uns orientieren können. Das ist alles andere als abstrakt, sondern sehr konkret. Wir wissen ja alle, dass es auf die Menschen ankommt, im Guten, wie im Schlechten. Der Verlag wünschte sich ein Buch, in dem ich das Gelingen und Scheitern verständlich mache, möglichst anschaulich, mit Fallbeispielen, O-Tönen und überraschenden Momenten. Deshalb ist es auch ein Sachbuch und kein Fachbuch geworden.

Wir brauchen nicht weniger Gestaltungswillen, sondern mehr

Viele denken beim Begriff „Nachhaltigkeit“ auch an eine Neubewertung unserer Vorstellungen von Wachstum und Fortschritt. Sie jedoch fordern nicht „mehr vom weniger“ - wieso? 

Weil es nicht ehrlich wäre. Weniger ist nicht automatisch besser. Wer Armut erlebt hat, weiß, dass Verzicht aus Zwang nichts Erhebendes hat. In meinem Buch schreibe ich offen aus der Perspektive eines Aufsteigerkindes: Es macht einen Unterschied, ob man nicht kann oder ob man nicht will. Momentan schrumpfen viele unfreiwillig – ausgerechnet nachhaltige Geschäftsmodelle haben zu knapsen. Ist es das, was wir wollen? Darum tue ich nicht so, als sei „weniger“ das Ideal. Es geht mir vielmehr darum, Wachstum und Fortschritt anders zu denken: nicht in der Maximierung von rein finanziellen Profiten, sondern in der Steigerung von Lebensqualität, sozialer Teilhabe und ökologischer Balance.

Nachhaltigkeit bedeutet nicht, zurück in eine vermeintlich bessere Vergangenheit zu gehen, sondern unsere Innovationskraft so zu lenken, dass sie uns zukunftsfähig macht.

Meine Thesen sind deshalb radikal im ursprünglichen Sinn: Sie gehen zur Wurzel. Und an der Wurzel zeigt sich: Wir brauchen nicht weniger Gestaltungswillen, sondern mehr. Nur eben so, dass er sich nicht gegen uns selbst richtet. Ich bin der Meinung, dass klug gestaltetes Wachstum kein Gegenspieler der Nachhaltigkeit ist. Vielmehr ist es wichtig, um Altes zu verdrängen, das überholt, nicht auf der Höhe unserer technologischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Notwendigkeiten ist.

Wie erklären Sie sich, dass es mit der Wende hin zur Nachhaltigkeit viel zu langsam vorangeht?

Weil wir immer noch dazu neigen, an Symptomen herumzudoktern, statt Ursachen konsequent anzugehen. Das zeigt sich in vielen Bereichen: Wir setzen punktuell auf Effizienz, kompensieren Schäden oder verbessern einzelne Prozesse – aber wir verändern nicht die Spielregeln, die systematisch Schadschöpfung belohnen. Ein zweiter Grund ist Trägheit. Unsere Institutionen, Unternehmen und auch wir als Gesellschaft haben Routinen entwickelt, die auf kurzfristigen Erfolg und Stabilität ausgelegt sind. Nachhaltigkeit verlangt aber, diese Routinen zu verlassen und das große Ganze im Blick zu behalten. Das kostet Mut – und diesen Mut schiebt man gerne auf, solange es noch irgendwie weitergeht wie bisher. Und schließlich unterschätzen viele, wie groß die Transformation tatsächlich ist:

Es geht um nichts weniger als die größte Wende der Wirtschaftsgeschichte. Da reicht es nicht, ein bisschen weniger zu tun, sondern wir müssen anders handeln – radikal im Denken, pragmatisch im Machen. Genau deshalb habe ich mein Buch geschrieben: um zu zeigen, dass Wandel zwar unbequem ist, aber machbar. Wir müssen dranbleiben.

Was haben Sie aus Ihrem bisherigen Engagement für Nachhaltigkeit mitgenommen? Und inwiefern haben diese Erfahrungen das Buch geprägt?

Mich prägt die Erfahrung, dass es keinen linearen Weg gibt. Veränderung ist widersprüchlich, manchmal frustrierend – und genau deshalb so menschlich. Entscheidend ist, immer wieder gemeinsam mit anderen ins Handeln zu kommen. Diese Haltung prägt das Buch: Jede der 17 Thesen ist mit Cases unterfüttert, die zeigen, was machbar ist – aber auch, wo es hakt. Und die Rubrik „Und jetzt Du“ ist bewusst eine Einladung, ins Tun zu kommen, ohne den Anspruch auf Perfektion. Meine eigene Biografie – als Aufsteigerkind, das Knappheiten erlebt hat – fließt dabei ebenso ein wie die vielen Begegnungen mit Unternehmer:innen, Manager:innen und Aktivist:innen. All das hat die Thesen geerdet und ihnen den praktischen Resonanzboden gegeben.

„Nur, wenn wir das Ganze betrachten, können wir das Ganze verändern.“

Weshalb muss Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft von Unternehmen – und in das Berichtswesen?

Weil Nachhaltigkeit kein Add-on ist. Das Thema ist heute nicht mehr nur eine Nebensache – im Gegenteil: Nachhaltigkeit bekommt strategisches Gewicht. Wer sie ins Marketing auslagert oder als Extra-Projekt behandelt, verliert die Wirkung – und am Ende auch Glaubwürdigkeit. Nachhaltigkeit muss ins Kerngeschäft, weil nur dort entschieden wird, wie Produkte gestaltet, Ressourcen eingesetzt und Wertschöpfung organisiert werden. Und ins Berichtswesen gehört sie, weil Transparenz ein Schlüsselfaktor ist. Unternehmen, die offenlegen, wie sie mit ökologischen und sozialen Fragen umgehen, schaffen Vertrauen – bei Investor:innen, bei Mitarbeitenden, bei Kund:innen. Berichtspflichten etwas durch die CSRD mit ihren European Sustainability Reporting Standards sind ein Werkzeug, um Vergleiche zu ermöglichen, Fortschritte sichtbar zu machen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Gut strukturierte, überprüfbare Berichte zeigen, wie stark Nachhaltigkeit bereits integriert ist. Echte Nachhaltigkeit gelingt nur integriert. Nur, wenn wir das Ganze betrachten, können wir das Ganze verändern. Kurz gesagt: Nachhaltigkeit wird wirksam, wenn sie so selbstverständlich in die Geschäftslogik eingebaut ist wie Kostenrechnung oder Risikomanagement. Alles andere bleibt Stückwerk.

Weshalb müssen Menschen vor allem emotional erreicht werden, um sie für nachhaltiges Handeln zu gewinnen? Was braucht es dafür?

Positive Zukunftsbilder, ermutigende Geschichten und die Einladung zum Mitgestalten sind viel wirksamer als reine Alarmrhetorik. Wenn wir wollen, dass nachhaltiges Handeln zur Normalität wird, dann müssen wir die Geschichten dazu neu erzählen, wärmer und menschlicher.

Was bedeutet das im Unternehmenskontext?

Wer den Fokus auf konstruktiv-lösungsorientierte Narrative legt, begeistert sich selbst und die Belegschaft für transformative Ziele. Wer sich mit Möglichkeiten und Chancen beschäftigt, anstatt Ängste vor dem nächsten Jahres- und Quartalsabschluss zu schüren, fördert intrinsische Motivation.

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Mehr zum Thema erfahren Sie in Yvonne Zwicks Buch „Nachhaltigkeit machen“, das 2025 bei Haufe erschienen ist. Sie finden das Buch in der Buchhandlung Ihres Vertrauens, aber auch im  Haufe Shop.


Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit , Nachhaltigkeitsmanagement
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