"Wir wollen Prozesse skalieren, ohne den Spirit zu verlieren"
In die Steuerberatungsbranche drängen immer mehr externe Investoren mit großen Summen in den Markt und setzen auf Zentralisierung und Skalierungseffekte. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Ulf Hausmann: Wir sehen immer häufiger Private-Equity-Investoren oder große Zusammenschlüsse, die versuchen, über größere Strukturen Effizienzgewinne zu erzielen. Dieser Ansatz hat sicherlich seine Berechtigung und funktioniert unter bestimmten Bedingungen auch gut – etwa wenn man einheitliche Prozesse strikt durchsetzen kann. Aber das passt nicht zur DNA vieler Steuerkanzleien hierzulande. Die meisten sind aus ihrer Historie heraus selbstständig gewachsen und legen großen Wert auf Eigenständigkeit.
Auch Sie und Ihr Mitgründer, Steuerberater Carsten Schulz, wollen mit der Kanzleipakt GmbH die Innovationskraft von verschiedenen Kanzleien bündeln.
Aber wir bewahren dabei die Unabhängigkeit der Kanzleien. Unsere Idee entstand aus einer praktischen Überlegung: Viele mittelgroße Kanzleien stehen vor ähnlichen Herausforderungen bei Themen wie Automatisierung oder Digitalisierung – sie haben jedoch weder die finanziellen noch personellen Ressourcen für umfangreiche Innovationsprojekte. Mein Kollege Carsten Schulz hatte als Geschäftsführender Gesellschafter der HSP Gruppe jahrelang IT-Projekte koordiniert und gemerkt: Selbst wenn man fünf bis sechs Projekte parallel stemmt, bleibt viel Potenzial ungenutzt. Wir wollten eine Plattform schaffen, auf der sich diese Kapazitäten bündeln lassen – quasi eine „Netzwerk-Innovationsabteilung“, bei der jede teilnehmende Kanzlei nur einen Bruchteil der Kosten trägt.
Alles wird so transparent entwickelt, dass unsere Mitglieder langfristig unabhängig bleiben – selbst dann, wenn ein Entwicklungspartner irgendwann wegfällt.
Wie unterscheidet sich Ihr Modell konkret vom Vorgehen großer Anbieter wie DATEV?
Wir ergänzen deren Lösungen gezielt dort, wo spezifische Anforderungen bestehen oder zusätzliche Funktionen benötigt werden. Wenn beispielsweise eine automatisierte unterjährige Rückstellungsverbuchung gefragt ist oder Tools für digitale Mandanten-Onboardings fehlen, entwickeln wir solche Bausteine gemeinsam mit unseren Mitgliedern weiter.
Ein entscheidender Unterschied liegt auch darin, dass wir keine Blackbox-Lösungen anbieten wollen. Alles wird so transparent entwickelt, dass unsere Mitglieder langfristig unabhängig bleiben – selbst dann, wenn ein Entwicklungspartner irgendwann wegfällt.
Welche Rolle nimmt DATEV als technisches Fundament für den Kanzleipakt ein?
DATEV ist für uns die unverrückbare Basis. Alle Mitgliedskanzleien arbeiten seit Jahren intensiv mit den DATEV-Systemen und beherrschen sie wie Power-User. Genau deshalb bauen die meisten unserer Entwicklungen gezielt auf dieser Plattform auf: Wir ergänzen bestehende Funktionen, schließen Lücken und sorgen dafür, dass Workflows schrittweise automatisiert werden. Wo es fachlich sinnvoll ist – etwa im Marketing oder bei Community-Funktionen –, denken wir aber auch über Lösungen jenseits von DATEV nach. Entscheidend ist, dass wir in engem Austausch stehen: Unsere Mitglieder spiegeln deren strategische Roadmap zurück und wir passen unsere Projekte daran an. So entsteht ein echtes DATEV-Ökosystem, in dem alle Beteiligten profitieren.
Diese Kanzleien haben oft erkannt, dass sie mit eigenen Mitteln zwar kleine Fortschritte erzielen können, aber der Aufwand unverhältnismäßig hoch ist – vor allem, wenn ähnliche Lösungen parallel in vielen anderen Kanzleien entwickelt werden.
Gibt es genügend interessierte Kanzleien für Ihr Konzept?
Wir richten uns primär an mittelgroße Kanzleien ab etwa 30 Mitarbeitenden; viele davon haben bereits erste Erfahrungen mit eigenen Digitalisierungsprojekten gesammelt – wissen aber auch um deren Grenzen hinsichtlich Kosten sowie Personalressourcen. Diese Kanzleien haben oft erkannt, dass sie mit eigenen Mitteln zwar kleine Fortschritte erzielen können, aber der Aufwand unverhältnismäßig hoch ist – vor allem, wenn ähnliche Lösungen parallel in vielen anderen Kanzleien entwickelt werden. Unser Modell bietet ihnen die Möglichkeit, diese Entwicklungen zu bündeln und gemeinsam effizienter zu arbeiten.
Kritiker könnten einwenden: Zu viele Stimmen in einem demokratischen Entscheidungsprozess könnten Projekte verlangsamen oder gar blockieren. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Struktur funktioniert?
Das war tatsächlich eine wichtige Überlegung bei der Konzeption von Kanzleipakt. Deshalb haben wir klare Governance-Strukturen eingeführt: Jedes Mitglied hat zwar eine Stimme im Excellence Board – dort wird über Prioritäten entschieden –, gleichzeitig gibt es aber ein Advisory Board sowie ein Präsidium zur Koordination der Projekte.
Zudem profitieren wir enorm von den Erfahrungen meines Mitgründers Carsten Schulz aus der HSP Gruppe: Er hat in den letzten 16 Jahren bewiesen, wie solche Prozesse erfolgreich gemanagt werden können – selbst mit einer Vielzahl an Beteiligten.
Braucht ein Innovationsnetzwerk überhaupt feste Größenlimits?
Nicht zwingend. Entscheidend ist, dass Governance, Community-Management und technische Infrastruktur mitwachsen. Wir haben aus der HSP-Gruppe gelernt, wie man Prozesse skaliert, ohne den Spirit zu verlieren. Sollte sich zeigen, dass eine bestimmte Schwelle organisatorisch Sinn ergibt, definieren wir sie – aber heute wäre das reine Spekulation.
Ob man das Wachstum im Software-Bereich als Blase bezeichnen kann? Vielleicht irgendwann mal – aber solange grundlegende Bedürfnisse vieler Kanzleien weiterhin unerfüllt bleiben, wie etwa effiziente Automatisierungen, sehe ich da noch viel Potenzial.
Der Markt für Steuerberater-Software wächst rasant; immer mehr Anbieter drängen mit neuen Tools auf den Markt. Fehlt es wirklich noch an Lösungen? Oder droht hier eine Blase?
Viele Anbieter entwickeln Softwarelösungen ohne tiefes Verständnis dafür, wie Arbeit in einer Steuerkanzlei tatsächlich aussieht. Oft fehlt das fachliche Know-how – stattdessen kommen Produkte „von außen“, die selten passgenau für relevante Detailanforderungen sind. Unser Ansatz ist anders: Wir starten bei den Prozessen innerhalb der Kanzlei und entwickeln darauf basierend maßgeschneiderte Bausteine weiter – immer eng abgestimmt mit unseren Mitgliedern. Die Ergebnisse sind dadurch deutlich praxisnäher als viele Standardlösungen am Markt.
Ob man das Wachstum im Software-Bereich als Blase bezeichnen kann? Vielleicht irgendwann mal – aber solange grundlegende Bedürfnisse vieler Kanzleien weiterhin unerfüllt bleiben, wie etwa effiziente Automatisierungen, sehe ich da noch viel Potenzial.
Wie sollte sich Kanzleipakt innerhalb der nächsten Jahre entwickeln?
In einem Jahr hoffe ich darauf, dass wir bereits zwei bis drei Entwicklungsprojekte abgeschlossen haben – idealerweise zusammen mit 20 bis 30 Mitgliedskanzleien im Netzwerk. Bis dahin wollen wir außerdem unser Community-System etabliert haben; monatliche Calls zum Austausch untereinander sowie Schulungsangebote gehören ebenfalls dazu.
In fünf Jahren könnte das Netzwerk fest etabliert sein und regelmäßig innovative Projekte umsetzen, dann können wir über völlig neue Entwicklungsschritte nachdenken.
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