Leitsatz (amtlich)
Ein Wohngebäude mit zwei Wohnungen, in dem sich eine Rechtsanwaltskanzlei befindet, die rund 1/4 der gesamten Wohn- und Nutzfläche beansprucht, wird nicht deshalb in seiner Eigenart als Zweifamilienhaus wesentlich beeinträchtigt, weil die Kanzleiräume von den Wohnungen durch eine Abschlußtür getrennt sind.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 5-6
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer eines mit einem zweigeschossigen Gebäude bebauten Grundstücks. Im Obergeschoß befindet sich eine Wohnung mit einer Wohnfläche von etwa 148 qm. Im Erdgeschoß befinden sich eine weitere Wohnung mit einer Wohnfläche von etwa 44 qm und die Räume der Anwaltspraxis des Klägers mit einer Gesamtnutzfläche von etwa 67 qm. Die Anwaltspraxis besteht aus zwei Zimmern, Toilette und einem als Wartezimmer benutzten Vorraum. Die Wohnung im Erdgeschoß ist von den Kanzleiräumen durch eine Tür getrennt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) stellte durch Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 für das Grundstück der Kläger die Grundstücksart Zweifamilienhaus und einen Einheitswert von 92 000 DM fest. Nach erfolglosem Einspruch ermäßigte das FG den Einheitswert wegen behebbarer Baumängel auf 85 500 DM, wies aber die Klage ab, soweit die Kläger Feststellung der Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück beantragten.
Die Revision der Kläger rügt, das FG habe dadurch Bundesrecht verletzt, daß es auch auf den äußeren Eindruck des Gebäudes abgestellt habe, obwohl es nur auf die innere Gestaltung ankommen könne. Das Haus sei von vornherein für eine gemischte Nutzung erbaut worden. Die Praxisräume seien von der Einliegerwohnung im Erdgeschoß und der Wohnung des Obergeschosses streng getrennt. Dies beweise die innere Abschlußtür, die in Zweifamilienhäusern in dieser Form nicht zu finden sei und das besondere WC für die Praxisräume. Auch ein Warteraum sei nicht typisch für ein Einfamilien- oder Zweifamilienhaus. Der Nutzung der Praxisräume als Wohnräume stehe die innere Trennung der Räume entgegen. Das Erdgeschoß werde von den Praxisräumen beherrscht; die Einliegerwohnung sei Nebensache. Die Kläger rügen vorsorglich, daß das FG die Bauakten nicht beigezogen und den Architekten nicht als Zeugen vernommen habe.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Feststellungsbescheid über den Einheitswert aufzuheben und die Einheitsbewertung ihres Grundstücks nach den Grundsätzen für gemischtgenutzte Grundstücke durchzuführen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist zulässig, weil der Streitwert die Revisionssumme von 1 000 DM überschreitet. Die Kläger fechten die Artfeststellung für ihr Grundstück an, so daß nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 31. Oktober 1974 III B 31/73, BFHE 114, 9, BStBl II 1975, 145) davon auszugehen ist, der festgestellte Einheitswert sei in voller Höhe Bemessungsgrundlage des Streitwerts. Damit beträgt der Streitwert des Revisionsverfahrens 40 v. T. aus 85 500 DM = 3 420 DM.
II.
Die Revision hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Nach § 75 Abs. 4 BewG 1965 sind solche Grundstükke gemischtgenutzte, die teils Wohnzwecken und teils eigenen oder fremden gewerblichen oder öffentlichen Zwecken dienen und die nicht als Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke, Einfamilienhäuser oder Zweifamilienhäuser anzusehen sind. Hieraus ergibt sich, daß die Artfeststellung gemischtgenutztes Grundstück nur dann in Betracht kommt, wenn keine der anderen in § 75 Abs. 4 BewG aufgeführten Grundstücksarten gegeben ist. In dem von den Klägern errichteten Gebäude befinden sich unstreitig zwei Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von rd. 192 qm und außerdem für Praxiszwecke des Klägers genutzte Räume mit einer Nutzfläche von rd. 67 qm. Damit war in erster Linie zu entscheiden, ob dieses Grundstück in die Grundstücksart der Zweifamilienhäuser einzuordnen ist. Ist dies der Fall, so kommt eine Artfeststellung gemischtgenutztes Grundstück nicht in Betracht (vgl. auch Entscheidung des BFH vom 7. Dezember 1973 III R 158/72, BFHE 111, 264, BStBl II 1974, 195).
2. Ein Wohngrundstück ist ein Zweifamilienhaus, wenn es nur zwei Wohnungen enthält (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Die Grundstücksart als Zweifamilienhaus wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß das Grundstück zu gewerblichen oder, was dem gleichsteht (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 BewG), zu freiberuflichen Zwecken mitbenutzt wird, wenn dadurch die Eigenart des Zweifamilienhauses nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 6 Satz 2 BewG).
a) Das Grundstück der Kläger wird zu freiberuflichen Zwecken nur "mitbenutzt". Denn die Nutzfläche der Räume, die der Anwaltskanzlei dienen, von rd. 67 qm beträgt nur wenig mehr als 1/4 der gesamten Wohn- und Nutzfläche des Gebäudes von fast 260 qm. Eine freiberufliche Nutzung, die nicht als bloße Mitbenutzung angesehen werden kann, liegt auch nicht deswegen vor, weil sich diese Mitbenutzung nicht auf eine der beiden Wohnungen bezieht, sondern auf Räume, die von diesen beiden Wohnungen bei Errichtung des Hauses baulich abgetrennt wurden und eine gewisse Selbständigkeit innerhalb des äußerlich einheitlichen Baukörpers des Gebäudes aufweisen. Denn nach der Begriffsbestimmung des Zweifamilienhauses braucht sich die unschädliche Mitbenutzung für andere als Wohnzwecke nicht nur auf vorhandene Wohnungen zu beziehen, sondern sie kann das Grundstück schlechthin betreffen. Damit kann aber entgegen der Meinung der Kläger aus der baulichen Trennung der Kanzleiräume und der Wohnräume nichts dafür hergeleitet werden, daß das Grundstück kein Zweifamilienhaus sei.
b) Das FG hat auch mit zutreffenden Gründen entschieden, daß die Nutzung des Grundstücks der Kläger für freiberufliche Zwecke die Eigenart des Zweifamilienhauses nicht wesentlich beeinträchtigt. Es hat dabei zu Recht die Verkehrsauffassung herangezogen und diese als die gerichtsbekannte Meinung verstanden, die unvoreingenommene Staatsbürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden (BFH-Entscheidung III R 158/72). Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil die für die Einheitsbewertung zu treffende Entscheidung, ob ein Wohngrundstück durch eine freiberufliche Mitbenutzung in seiner Eigenart als Zweifamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird, nicht eine Frage betrifft, die von den beteiligten Wirtschaftskreisen geprägt wird (z. B. Baubehörden oder Architekten), sondern die ersichtlich auf die Meinung breiter Bevölkerungskreise abstellt (so auch BFH-Entscheidung vom 27. Mai 1970 III R 65/68, BFHE 99, 493, BStBl II 1970, 678). Damit erweist sich die vorsorglich erhobene Verfahrensrüge der Kläger, das FG hätte die Bauakten zuziehen und den planenden Architekten als Zeugen vernehmen müssen, als unbegründet. Diese Beweismittel hätten über die vom FG getroffenen unangefochtenen Feststellungen hinaus zu keiner weiteren Aufklärung geführt. Soweit die Beweismittel Wertungen bezüglich der Art des Hauses aus der Fachperspektive ergeben hätten, wären sie aber nach den obigen Ausführungen unbeachtlich.
Für die Entscheidung, ob die Eigenart des Grundstücks durch die freiberufliche Mitnutzung beeinträchtigt wird, ist nach Auffassung des Senats sowohl das äußere Erscheinungsbild des Grundstücks wie auch die innere Gestaltung des Gebäudes zu berücksichtigen. Dies hat das FG beachtet. Es hat durch Ortsbesichtigung festgestellt, daß das Grundstück der Kläger äußerlich den Charakter eines Wohngrundstücks aufweise und nur einen einzigen Zugang für Wohnräume und Praxisräume durch einen Vorgarten habe. Die innere Gestaltung des Gebäudes laufe diesem äußeren Eindruck nicht in einer Weise zuwider, daß von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Eigenart als Zweifamilienhaus gesprochen werden könne. Soweit hierin eine über die Tatsachenfeststellungen hinausgehende Würdigung liegt, läßt sie keine Rechtsfehler erkennen. Entgegen der Meinung der Kläger kommt es nicht darauf an, ob das Haus von Anfang an für eine Mitbenutzung als Anwaltskanzlei geplant war oder ob die Mitbenutzung durch Zweckentfremdung von Wohnräumen erst später und ohne Berücksichtigung bei der Bauplanung stattgefunden hat. Denn für eine dahin gehende Unterscheidung gibt weder die gesetzliche Begriffsbestimmung des Zweifamilienhauses allgemein noch das besondere Tatbestandsmerkmal Anhaltspunkte, daß die Eigenart des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigt werden dürfe.
c) Es trifft auch nicht zu, daß im Fall der Bewertung des Grundstücks der Kläger als Zweifamilienhaus im Bereich der Grundstücke mit zwei Wohnungen keine Fälle mehr denkbar seien, in denen die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festgestellt werden könnte. Der Senat hat in seiner Entscheidung III R 65/68 hierzu ausgeführt, auch bei einer flächenmäßig untergeordneten Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken könne die Eigenart des (im Entscheidungsfall) Einfamilienhauses wesentlich beeinträchtigt werden. Ob dies der Fall ist, hängt aber entscheidend von der Intensität der Mitbenutzung ab. Während es dem Vorstellungsbild des Staatsbürgers regelmäßig nicht widerspricht, daß ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Steuerberater usw. seine Praxis in seinem Einfamilienhaus oder in seinem Zweifamilienhaus ausübt, ohne daß dadurch die Art des Grundstücks beeinträchtigt wird, würde eine intensive gewerbliche Mitbenutzung, z. B. in einem in dem Haus befindlichen Laden oder in einer Werkstätte oder in einem Lager den Charakter des Einfamilienhauses oder Zweifamilienhauses unter Umständen doch wesentlich beeinträchtigen können. Diese Beispiele zeigen, daß die Rechtsanwendung des Senats durchaus Raum für die Artfeststellung gemischtgenutztes Grundstück im Bereich von Wohngrundstücken mit einer oder nur zwei Wohnungen läßt, so daß sie nicht zu Ergebnissen führt, die dem objektivierten Willen des Gesetzgebers widersprechen.
d) Schließlich kann das Grundstück der Kläger auch nicht deshalb in die Grundstücksart der gemischtgenutzten Grundstücke eingeordnet werden, weil es bisher nach dem Bewertungsgesetz 1934 als solches behandelt wurde. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß eine Bindung an die bisherige Übung schon deshalb ausscheiden muß, weil die Grundstücksart "Zweifamilienhäuser" im Bewertungsgesetz 1965 erstmals enthalten ist und dem Bewertungsgesetz 1934 fremd war (vgl. § 32 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz 1935).
Fundstellen
Haufe-Index 71939 |
BStBl II 1976, 640 |
BFHE 1977, 294 |