Leitsatz (amtlich)
1. Landwirt im Hauptberuf im Sinne § 2 Abs. 1 GrEStAgrG Nordrhein-Westfalen ist auch derjenige, der Einkünfte in der vorgeschriebenen Höhe aus einem von ihm bewirtschafteten gepachteten landwirtschaftlichen Betrieb erzielt.
2. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG Nordrhein-Westfalen kann auch der Hinzuerwerb eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks durch den Miteigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs auf Antrag von der Besteuerung ausgenommen werden.
2. Aus der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG festgelegten Begrenzung des Umfangs des begünstigten Erwerbs "bis zur Größe eines Familienbetriebs" folgt nicht, daß nur ein Hinzuerwerb zu eigenbewirtschafteten Betrieben von der Besteuerung ausgenommen werden kann. Die Vorschrift erfaßt auch den Zuerwerb zu verpachteten Betrieben.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStAgrG Nordrhein-Westfalen § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2
Tatbestand
Der Kläger ist gemeinsam mit seinen Brüdern Pächter eines in M (Nordrhein-Westfalen) gelegenen landwirtschaftlichen Betriebs, den er zusammen mit seinen Brüdern bewirtschaftet. Unabhängig von diesem gepachteten Betrieb sind der Kläger und seine Brüder Miteigentümer einer 14,9345 ha großen Hofstelle in D (Nordrhein-Westfalen). Mit diesem landwirtschaftlichen Betrieb ist eine von der Hofstelle aus bewirtschaftete, im Alleineigentum des Klägers stehende Fläche von 290,23 Ar verpachtet.
Durch Vertrag vom 8. Dezember 1966 kauften der Kläger und seine Ehefrau zu dem landwirtschaftlichen Betrieb in D ein im Grundbuch als Acker eingetragenes 68 Ar großes Grundstück als Miteigentümer je zur Hälfte hinzu. Als Kaufpreis wurden 34 000 DM vereinbart.
Der Kläger hat beantragt, ihn hinsichtlich seines Miteigentumsanteils von der Grunderwerbsteuer zu befreien, da der Erwerb zur Aufstockung seines landwirtschaftlichen Betriebs in D diene.
Das beklagte FA hat unter Zugrundelegung einer Gegenleistung von 17 000 DM eine Grunderwerbsteuer von 1 190 DM festgesetzt. Die begehrte Befreiung wurde abgelehnt, weil der Kläger den eigenen Betrieb nicht selbst bewirtschaftet.
Nach erfolglosem Einspruch des Klägers hat das FG den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Der Grundstückserwerb des Klägers ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Siedlung vom 29. März 1966 - GrEStAgrG - (GVBl 1966, 140) von der Besteuerung nach dem GrEStG ausgenommen.
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG befreit Erwerbe ... durch einen Landwirt im Hauptberuf oder seinen Ehegatten, wenn der Erwerb der Vergrößerung eines landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betriebs "bis zur Größe eines Familienbetriebs" dient. Gemäß § 2 Abs. 1 GrEStAgrG gilt als Landwirt im Hauptberuf derjenige, dessen nach steuerrechtlichen Bestimmungen errechnete Einkünfte aus dem von ihm bewirtschafteten landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betrieb seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und nichtselbständiger Arbeit übersteigen. § 2 Abs. 2 GrEStAgrG definiert den Familienbetrieb als einen "eigenbewirtschafteten Betrieb, für dessen Bewirtschaftung nicht mehr als drei Arbeitskräfte erforderlich sind".
1. Der Kläger ist Landwirt im Hauptberuf. § 2 Abs. 1 GrEStAgrG stellt nur auf die Einkünfte aus dem "bewirtschafteten" landwirtschaftlichen Betrieb ab. Nicht erforderlich ist demnach, daß die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft im eigenen Betrieb erwirtschaftet werden.
2. Die Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG scheitert nicht daran, daß der Betrieb, dessen Vergrößerung der zu beurteilende Grundstückserwerb dienen sollte, nicht im Alleineigentum des Klägers stand und das erworbene Grundstück nicht vom Kläger allein, sondern in Miteigentum mit seiner Ehefrau gekauft wurde. Das letztgenannte ergibt sich bereits aus der Einbeziehung des Ehegatten in die Vergünstigung.
Der Wortlaut des Konditionalsatzes in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 GrEStAgrG (..., wenn der Erwerb der Vergrößerung ... des Betriebs ... dient) und der Sinn des Gesetzes, die Agrarstruktur zu fördern, legen zwar die Annahme nahe, daß nur durch den Alleineigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs oder durch Ehegatten als Miteigentümer eines solchen getätigte Hinzuerwerbe der Steuerbegünstigung teilhaftig werden sollen. Denn die "Agrarstruktur" als objektive Struktur der landwirtschaftlichen nutzbaren Flächen wird nicht durch die nur vorübergehende Möglichkeit der gemeinsamen Bewirtschaftung durch mehrere, sondern durch eine auf Dauer angelegte Verbindung landwirtschaftlicher Grundstücke optimal gestaltet. Eine gemeinsame Bewirtschaftung, die meist den Zeitraum einer Generation nicht überdauert, kann keine nachhaltige Förderung der Agrarstruktur herbeiführen. Der Befreiungswille des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG reicht aber weiter. Die Begründung der Gesetzesvorlage (Landtags-Drucksache Nordrhein-Westfalen V Nr. 887 S. 8) geht - wie das dort aufgezeigte Beispiel deutlich macht - davon aus, daß der Grundstückserwerb durch einen von mehreren Betriebsmiteigentümern auch dann begünstigt sein soll, wenn diese nicht Ehegatten sind. Der Gesetzgeber ist also offenbar von der - an sich dem Grunderwerbsteuerrecht fremden - Denkweise des § 34 Abs. 6 BewG) ausgegangen. Legt man diese der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG zugrunde, findet die Befreiung des "Zuerwerbs" eines Miteigentümers zu einem den Miteigentümern gemeinsam gehörenden Hof auch im Wortlaut des Gesetzes einen - wenn auch schwachen - Anhalt. Da demnach kein eindeutiger Widerspruch zwischen dem objektiven Wortlaut des Gesetzes und dem in der Gesetzesvorlage verlautbarten Befreiungswillen des Gesetzgebers besteht, war diesem Rechnung zu tragen (vgl. Urteil des BFH vom 2. Dezember 1969 II 120/64, BFHE 97, 311 [313], BStBl II 1970, 119).
3. Der Umstand, daß der Kläger den Betrieb, dessen Eigentümer er zusammen mit seinen Brüdern war und den er (in der Sicht des § 34 Abs. 6 BewG und des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG) durch den Grundstückserwerb vergrößerte, nicht "eigenbewirtschaftete". steht der Steuerbefreiung aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG nicht entgegen. Die Begrenzung auf die "Größe eines Familienbetriebs" ist eine ausschließlich quantitative Aussage über das Maximum der Vergünstigung. Ihre grammatische Eindeutigkeit wird zwar etwas in Frage gestellt durch den in § 2 Abs. 2 GrEStAgrG geschaffenen Zusammenhang des Begriffs Familienbetrieb mit dem Merkmal der Eigenbewirtschaftung. Gleichwohl kann § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStAgrG nur in der Weise verstanden werden, daß auch der Hinzuerwerb zu verpachteten landwirtschaftlichen Betrieben beim Vorliegen der übrigen gesetzlich festgelegten Voraussetzungen steuerbefreit ist.
Das folgt zunächst aus dem Sinn des Gesetzes, das ausweislich der Gesetzesüberschrift "Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur" begünstigt. Aus diesem auf die Agrarstruktur ausgerichteten Gesetzeszweck kann nicht gefolgert werden, daß der Begriff "bis zur Größe eines Familienbetriebs" einschränkend auszulegen sei, daß er nicht nur über die Größe, sondern auch über die Art des Betriebs verfüge, also stets ein eigenbewirtschafteter Betrieb vorliegen müsse. Vielmehr liegt es nahe, daß nach dem Zweck des Gesetzes Betriebsvergrößerungen durch einen Landwirt auch dann begünstigt sein sollen, wenn durch den Hinzuerwerb ein eigener, wenn auch fremdbewirtschafteter Betrieb vergrößert wird (vgl. zu der im übrigen anderen Rechtslage des niedersächsischen Rechts Urteil vom 28. April 1970 II 56/65, BFHE 99, 255 [257], BStBl II 1970, 597), soweit dadurch die Größe eines Familienbetriebs nicht überschritten wird. Denn das Ziel, zur Schaffung familienbezogener leistungsfähiger betrieblicher Einheiten beizutragen, wird auch dann erreicht, wenn die Vergrößerung eines Betriebs begünstigt wird, der im Zeitpunkt des Zuerwerbs nicht vom Eigentümer, sondern von einer anderen Familie bewirtschaftet wird. Das gilt um so mehr, als in diesem Bereich auch die Möglichkeit liegt, daß der zuerwerbende Landwirt erst durch den Zuerwerb instandgesetzt wird, seinen eigenen Betrieb selbst zu bewirtschaften, weil er ihm erst jetzt eine genügende Existenzgrundlage bietet.
Auch die Notwendigkeit, Ungereimtheiten innerhalb des Gesetzeswerks auf ein geringstmögliches Maß zurückzuführen, gebietet eine Auslegung des Begriffs "Größe eines Familienbetriebs" im ausschließlich quantitativen Sinne. Denn gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStAgrG wird der Erwerb durch einen Pächter von der Besteuerung ausgenommen, wenn dieser nicht bereits Eigentümer land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes "in Größe eines Familienbetriebs" ist. Kämen bei Auslegung dieses Bedingungssatzes nur eigengenutzte Betriebe in Betracht, ergäbe sich die unverständliche Folge, daß derjenige Pächter eines landwirtschaftlichen Familienbetriebs (d. h. eigengenutzten Betriebs, § 2 Abs. 2 GrEStAgrG), der bereits Eigentümer fremdgenutzten Grundbesitzes in dieser Größe ist, den gepachteten Betrieb steuerfrei erwerben könnte, obwohl der Landwirt nicht befreit ist, der neben dem eigengenutzten gepachteten Betrieb noch Eigentümer eigengenutzten Grundbesitzes in Größe eines Familienbetriebs ist. Kann mithin § 1 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GrEStAgrG sinnvollerweise nur dahin verstanden werden, daß "Größe eines Familienbetriebs" unabhängig von der Frage der Eigen- oder Fremdnutzung zu beurteilen ist, so kann schon wegen der in § 1 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 3 GrEStAgrG enthaltenen Verweisung für den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes verwendeten gleichen Ausdruck nichts anderes gelten. Zwar ist es nicht schlechthin ausgeschlossen, daß der gleiche Ausdruck an verschiedenen Stellen desselben Gesetzes unterschiedliche Begriffe wiedergibt; ohne besonderen Beleg kann das aber nicht angenommen werden.
4. Dem aufgezeigten Verständnis des Begriffs "Größe eines Familienbetriebs" als ausschließlich quantitative Umschreibung entspricht es, daß gemäß § 1 Abs. 3 der Durchführungsverordnung zum GrEStAgrG vom 13. Februar 1967 (GVBl Nordrhein-Westfalen 1967, 28), die sich Rückwirkung zum 1. Juli 1966 beilegte, bei der zu ermittelnden Betriebsgröße die zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden verpachteten Flächen voll anzusetzen sind, gepachtete Flächen dagegen außer Ansatz gelassen werden sollen.
Fundstellen
Haufe-Index 71728 |
BStBl II 1976, 164 |
BFHE 1976, 292 |