Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung des FA im Insolvenzverfahren gegen aus Billigkeitserlass resultierenden Erstattungsanspruch des Schuldners
Leitsatz (NV)
Werden dem Insolvenzschuldner entrichtete Säumniszuschläge, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirkt worden sind, aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen, ist der daraus resultierende Erstattungsanspruch ebenfalls als vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet anzusehen, so dass gegen diesen Anspruch mit Insolvenzforderungen des FA aufgerechnet werden kann.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1; AO § 227; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 19.09.2006; Aktenzeichen 1 K 2633/04) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am 1. Dezember 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Aufgrund der Umsatzsteuervoranmeldung der Schuldnerin vom 15. September 1999 für den Monat August 1999 war die Umsatzsteuervorauszahlung zunächst auf 167 030 DM festgesetzt worden. Mit Änderungsbescheid vom 15. Oktober 1999 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Vorauszahlung auf einen erheblich höheren Betrag fest, änderte jedoch im Oktober 2000 die Festsetzung wieder auf 167 030 DM. Für den Zeitraum 16. September 1999 bis 30. November 1999 berechnete das FA allerdings Säumniszuschläge in Höhe von 53 340 DM (= 27 272,31 €) auf den nicht entrichteten Zahlbetrag und rechnete mit dieser Forderung gegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Ansprüche der Schuldnerin auf. Hierüber erließ das FA im Juli 2002 einen Abrechnungsbescheid, der rechtsbeständig wurde.
Im Mai 2004 erließ das FA die Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen. Gegen das sich daraus ergebende Guthaben rechnete das FA wiederum mit vor Insolvenzeröffnung begründeten Steuerforderungen auf und erließ hierüber einen Abrechnungsbescheid. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) der Aufrechnung nicht entgegenstehe, da die Hauptforderung der Schuldnerin aufgrund der Unbilligkeit der entstandenen Säumniszuschläge ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Sowohl die Säumniszuschläge selbst als auch die Unbilligkeit ihrer Einziehung hätten --was ihre tatsächlichen Grundlagen angehe-- bereits vor Insolvenzeröffnung bestanden.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, welche er auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Klärungsbedürftig sei, ob ein Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse, der sich aus dem Erlass einer steuerlichen Nebenleistung ergebe, bereits mit der Festsetzung oder Verwirkung der steuerlichen Nebenleistung oder durch ihre Tilgung oder erst durch ihren Erlass insolvenzrechtlich begründet werde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die für den Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig, da sie sich anhand der in dem angefochtenen FG-Urteil angeführten Rechtsprechung des beschließenden Senats beantworten lassen.
Für die Frage, ob die Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO möglich ist, ist es nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats entscheidend, dass die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 der Abgabenordnung (AO) entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich begründet sind. Im Insolvenzverfahren des Steuerpflichtigen kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob die Forderung der Finanzbehörde eine Insolvenzforderung ist (§ 38 InsO) und ob gegen eine Forderung des Insolvenzschuldners die Aufrechnung erklärt werden kann, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise begründet worden ist, dass der zugrunde liegende Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen muss auch der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung und damit die Aufrechenbarkeit eines steuerrechtlichen Anspruchs des Schuldners gegen die Finanzbehörde beurteilt werden (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195; vom 16. November 2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, jeweils m.w.N.).
Von diesen rechtlichen Grundsätzen, die auch die Beschwerde nicht in Zweifel zieht, ist das FG im Streitfall ausgegangen und hat entschieden, dass der aus dem Erlass der Säumniszuschläge folgende Erstattungsanspruch der Schuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Daher ist es bereits fraglich, ob diese Entscheidung des FG weitere klärungsbedürftige Rechtsfragen aufwirft oder ob es sich nicht vielmehr allein um eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, die in der Regel nicht geeignet ist, den Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu rechtfertigen.
Jedenfalls lässt sich aber die Frage des Streitfalls, ob der aus dem Erlass der Säumniszuschläge herrührende Erstattungsanspruch der Schuldnerin vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des beschließenden Senats insolvenzrechtlich begründet worden ist, nur so beantworten, wie es das FG getan hat. Auch bei bereits --wie im Streitfall durch die im Juli 2002 erklärte Aufrechnung-- entrichteten Beträgen gibt § 227 AO den Finanzbehörden die Möglichkeit, den zugrunde liegenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu erlassen, was gemäß § 227 Halbsatz 2 AO zu einem Erstattungsanspruch des Steuerschuldners führt. Der Grund für diesen Erstattungsanspruch ist im Streitfall --wie das FG zutreffend entschieden hat-- in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden. Denn da die Säumniszuschläge vor Verfahrenseröffnung verwirkt worden sind, ihre Entstehung aufgrund einer unzutreffenden Erhöhung der Umsatzsteuervorauszahlung durch das FA aber nunmehr als sachlich unbillig i.S. des § 227 AO angesehen wird, liegt notwendigerweise auch der Grund der Unbilligkeit in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Gründe, die den Erlass der Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen rechtfertigen, sind nicht erst nach Insolvenzeröffnung entstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 1761120 |
BFH/NV 2007, 1452 |