Umsatzsteuer: Praxisprobleme bei den neuen Reverse-Charge-Fällen

Zum 1.10.2014 wurden die Anwendungsfälle für die Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger (Reverse-Charge-Verfahren) erneut ausgeweitet. Neben Tablet-Computern und Spielekonsolen unterliegt dann auch die Lieferung von edlen und unedlen Metallen dem Reverse-Charge-Verfahren. Die Regelung führt zu Abgrenzungs­schwierigkeiten, die jeder Unternehmer beachten sollte.

Die neuen Anwendungsfälle im Reverse-Charge-Verfahren

Zum 1.10.2014 ergeben sich erneut Änderungen bei der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens. Während die Anpassung der Voraussetzungen bei der Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger bei den Bauleistungen von der Praxis mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden ist, sind die weiteren Änderungen bisher weniger beachtet worden. Neu aufgenommen in den Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens wurden Lieferungen von

  1. Tablet-Computern und Spielekonsolen; diese aber nur, wenn die Summe der Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5.000 EUR beträgt sowie
  2. Gegenständen, die in einer neuen Anlage 4 zum UStG aufgenommen sind. In Anlage 4 sind edle und unedle Metalle aufgeführt (z. B. Selen, Silber, Gold, Platin, Roheisen, Kupfer, Nickel, Aluminium, Blei, Zink, Zinn etc.). Die Festlegung erfolgt unter Bezugnahme auf die entsprechenden Zolltarifnummern. Die Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger ist nicht von einem Mindestbetrag abhängig.

Hinweis: Die Ausweitung der Steuerschuldnerschaft in § 13b Abs. 2 Nr. 10 und Nr. 11 UStG basiert auf Art. 199a Abs. 1 Buchst. h und Buchst. j MwStSystRL.

Praxisprobleme

Auf den ersten Blick erscheinen die Ergänzungen in § 13b UStG unproblematisch zu sein, bei näherem Hinsehen ergeben sich aber für die Praxis erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Schon alleine die Aufnahme der Tablet-Computer führt zu Problemen, da es keine abschließende Definition des Tablet-Computers gibt. Darüber hinaus gibt es nicht nur Tablet-Computer auf der einen und Notebooks bzw. Netbooks auf der anderen Seite. Mittlerweile sind auch Mischformen am Markt (z. B. Convertible-Computer/Hybrid-Computer). Hier sind unbedingt klare Abgrenzungsmerkmale von der Finanzverwaltung vorzugeben.

Aber auch die Übertragung der Steuerschuldnerschaft bei der Lieferung von edlen und unedlen Metallen kann im Einzelfall erhebliche praktische Problemen bereiten. Zwar führt die Abgrenzung über die Zolltarifsnummern zu einer exakten rechtlichen Einordnung, dies wird aber im Alltagsgeschäft für die Vertragsparteien nicht immer einfach anzuwenden sein.

Wichtig: Damit die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger übergeht, muss er Unternehmereigenschaft haben. Dies gilt ausdrücklich auch, wenn die Leistung für nichtunternehmerische Zwecke bezogen wird (§ 13b Abs. 5 Satz 6 UStG).

Besondere Probleme werden sich ergeben, wenn Unternehmer für ihre privaten Zwecke solche edlen oder unedlen Metalle erwerben. Hier wird es ohne eine Bagatellgrenze zu erheblichen Schwierigkeiten in der Abwicklung kommen.

Beispiel: Rechtsanwalt R ist selbstständiger Unternehmer und bewohnt mit seiner Familie ein ausschließlich privat genutztes Einfamilienhaus. Da er handwerklich begabt ist, hat er die Terrasse an seinem Haus mit einer Überdachung versehen. Dazu hat er im Baumarkt u. a. verschiedene Zinkbleche erworben. Nach Ausführung der Arbeiten möchte er mit Freunden die Überdachung mit einer Grillparty einweihen. Neben den Lebensmitteln für die Grillparty kauft er auch 3 Rollen Alufolie mit ein.

R wird als Unternehmer zum Steuerschuldner für die ihm gegenüber ausgeführten Lieferungen, auch wenn die Leistungen ausdrücklich für den privaten Bereich bezogen werden. Die Steuerschuld geht auf R über, wenn das Zinkblech und die Alufolie unter die entsprechenden Zolltarifnummern der Anlage 4 zum UStG fallen. Da dies offensichtlich der Fall ist, müssen die Verkäufer die Waren ohne USt verkaufen sowie eine Rechnung nach § 14a Abs. 5 UStG mit dem Hinweis „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ ausstellen. R muss die USt anmelden und ist – wegen des Bezugs für seine privaten Zwecke – vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.

Gänzlich unübersichtlich wird die Rechtslage dann, wenn Eheleute (einer ist Unternehmer, der andere nicht) zusammen einkaufen gehen. Alleine die Feststellung, wer jetzt der Leistungsempfänger ist, wird im Alltagsgeschäft kaum zu prüfen sein.

Wichtig: Dem Gesetz folgend, müssen sich auch Personen, die sich vielleicht über ihre Unternehmereigenschaft im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gar keine Gedanken machen (z. B. Kleinunternehmer, Vermieter mit steuerfreier Wohnungsvermietung) mit diesen Regelungen auseinander setzen.

Die Praxisprobleme gehen aber weiter. Auch Werklieferungen nach § 3 Abs. 4 UStG sind „Lieferungen“ i. S. d. UStG. Damit müssten auch Reparaturarbeiten z. B. an Gebäuden unter die Neuregelung fallen.

Beispiel: V besitzt ein Mietwohnhaus, das er ausschließlich steuerfrei an private Wohnungsmieter vermietet. Im Zusammenhang mit dem Einbau neuer Fenster werden auch neue Fensterbleche aus Aluminium angebracht.

V ist Unternehmer und bekommt eine Lieferung von Aluminiumblechen. Soweit die Aluminiumbleche unter die entsprechende Zolltarifsnummer fallen, wird V zum Steuerschuldner für die ihm gegenüber ausgeführte Werklieferung.

Fazit

Verbände und Kammern haben sich schon an das BMF gewandt, um bei den neuen Anwendungsfällen – hoffentlich rechtzeitig vor dem 1.10.2014 – zu vernünftigen Abgrenzungsregelungen zu kommen. Die Fehler in der Grundkonzeption insbesondere des § 13b Abs. 2 Nr. 11 UStG werden aber auch von der Finanzverwaltung nicht rechtssicher beseitigt werden können. Es wäre notwendig, die Übertragung der Steuerschuldnerschaft bei den edlen und unedlen Metallen ebenfalls an ein Mindestentgelt zu binden, um Praxisprobleme zu verhindern.

Grundsätzlich ist zu hinterfragen, ob bei der Konzeption der Neuregelungen solche Praxisüberlegungen nicht angestellt werden. Ob die Regelung vor dem Hintergrund der Anknüpfung an Zolltarifnummern im Alltagsgeschäft überhaupt umsetzbar sind, kann bezweifelt werden. Zumindest ist fraglich, ob die allgemeine Vorgabe, die uns der EuGH im Verfahren zu den Bauleistungen mit auf den Weg gegeben hat, dass solche Vorschriften die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit berücksichtigen müssen, auch nur annähernd berücksichtigt wurde.

Hinweis der Redaktion: Das BMF hat mittlerweile ein Anwendungsschreiben mit Übergangsregelungen veröffentlicht. 

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