Leitsatz (amtlich)
Bei der Zusammenrechnung von Erwerben nach § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 sind Vorerwerbe negativen Wertes aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 zumindest insoweit zu berücksichtigen, als sie Vorerwerbe positiven Wertes aus dieser Zeit ausgleichen.
Normenkette
ErbStG 1974 § 14 Abs. 1, § 37
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Miterbe seines 1974 verstorbenen Vaters. Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils waren dem Kläger von seinem Vater in den Jahren 1967 bis 1973 insgesamt sieben Schenkungen zugefallen, von denen drei Schenkungen bewertungsrechtlich einen negativen Wert hatten. Weitere Feststellungen über diese Schenkungen sind nicht getroffen worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) hat in dem angefochtenen Steuerbescheid der Berechnung der Erbschaftsteuer gem. § 14 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 den Wert des angefallenen Vermögens - ohne Abzug des Wertes einer der Mutter des Klägers vermachten Rente - und die Vorschenkungen mit positivem Wert zusammengerechnet. Von dem Gesamtwert hat es dann die festzusetzende Erbschaftsteuer errechnet, von der es auf Antrag des Klägers einen Teilbetrag gem. § 25 Abs. 1 Buchst. b ErbStG 1974 zinslos stundete.
Der Kläger hat mit der Begründung Einspruch eingelegt, daß die Vorschenkungen mit positivem Wert nicht berücksichtigt werden dürften, weil sie bereits durch Verrechnung mit Schenkungen negativen Wertes ausgeglichen gewesen seien. Die abweichende Auffassung des FA führe zu einer rückwirkenden Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974.
Nach Zurückweisung seines Einspruchs hat der Kläger mit seiner Klage die Herabsetzung der festgesetzten Erbschaftsteuer beantragt.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers, mit der er seinen Klageantrag weiter verfolgt, ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Herabsetzung der Erbschaftsteuer in dem begehrten Umfang (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der angefochtene Steuerbescheid ist insoweit fehlerhaft, als es das FA unterlassen hat, die Vorschenkungen negativen Wertes aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 zumindest insoweit zu berücksichtigen, als diese Vorschenkungen geeignet waren, die Vorschenkungen positiven Werts aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 auszugleichen. Dies ergibt sich durch eine am Sinn und Zweck dieser Vorschrift orientierte Auslegung des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974.
Die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 folgt daraus, daß der Erwerb von Todes wegen, um dessen Besteuerung es im vorliegenden Fall geht, 1974 nach dem Inkrafttreten des neuen Erbschaftsteuerrechtes eingetreten ist (vgl. § 37 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974). Hieraus ist jedoch nicht abzuleiten, daß der Satz 2 des § 14 Abs. 1 ErbStG 1974 auch auf Vorerwerbe aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 anzuwenden ist.
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 sind die Vorerwerbe bei der Zusammenrechnung mit dem letzten Erwerb, dessen Besteuerung in Frage steht, mit ihrem früheren Wert anzusetzen. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß das frühere Recht auch dann weiter maßgebend bleibt, wenn der frühere Erwerb wegen seiner Art (qualitativ) steuerfrei war (vgl. hierzu Troll, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar. 2. Aufl., § 14 Tz. 4 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs; ferner das Urteil des Senats vom 16. Februar 1977 II R 146, 149/67, BFHE 122, 323, 324 letzter Absatz, BStBl II 1977, 662).
Für den vorliegenden Fall ist hieraus zu folgern, daß auch der Ansatz von Vorschenkungen negativen Wertes nach dem Recht zu beurteilen ist, das zur Zeit der Ausführung der Vorschenkung galt. Die Berücksichtigung der Vorschenkung negativen Werts (vgl. das Urteil des Senates vom 28. Juli 1976 II R 71/69, BFHE 120, 60, BStBl II 1976, 785) ist sowohl dem § 13 Abs. 1 ErbStG 1959 als auch dem § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 systemimmanent. Sie ist eine logische Folge der Tatsache, daß einzelne Erwerbe wegen der Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) einen negativen Steuerwert haben können. Nach der Grundregel des § 13 Abs. 1 ErbStG 1959 (= § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974) bleibt es bei dem Ansatz des früheren negativen Wertes auch dann, wenn sich nach dem Recht zur Zeit des zeitlich letzten Erwerbes für die Vorschenkung ein positiver Wert ergeben sollte.
Die Regel des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 wird durch den Satz 2 dahin eingeschränkt, daß Erwerbe unberücksichtigt bleiben, für die sich nach den steuerlichen Bewertunsgrundsätzen kein positiver Wert ergeben hat. Hinsichtlich des Anwendungsbereiches dieser einschneidenden Rechtsänderung zum Nachteil der Steuerpflichtigen ist grundsätzlich davon auszugehen, daß von dieser Vorschrift nur Vorerwerbe erfaßt werden sollen, die nach dem 31. Dezember 1973 eingetreten sind. Es kommt hier die Regel zur Anwendung, daß neue materielle Vorschriften beim Fehlen einer ausdrücklichen Übergangsregelung regelmäßig nicht Vorgänge erfassen, die vor dem Inkrafttreten der neuen Norm bereits abgeschlossen sind. In diesem Sinne waren die Vorerwerbe aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 bei Inkrafttreten des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 bereits abgeschlossen, auch wenn sie sich hinsichtlich der für einen späteren Erwerb zu berechnenden Steuer noch auswirken konnten.
Aus § 37 Satz 1 ErbStG 1974 ist eine ausdrückliche Regelung nicht zu entnehmen, daß § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 allein um deswillen auf Vorerwerbe aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 anwendbar sein sollte, weil eine Zusammenrechnung mit Erwerben aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1973 stattzufinden hat, für die gemäß § 37 Satz 1 ErbStG 1974 das neue Recht gilt; denn § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 weist hinsichtlich des (gegebenenfalls auch negativen) Wertansatzes auf das alte Recht zurück. Für den neuen § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 kann unter diesen Umständen mangels einer ausdrücklichen Rückwirkungsvorschrift nur die allgemeine Regel gelten, daß diese Vorschrift nicht für Vorerwerbe aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 gilt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß der Gesetzgeber seinerzeit davon ausging, § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 enthalte nur eine Klarstellung (vgl. Bundestags-Drucksache VI/3418, S. 69 zu § 14). Aus der Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Bundesregierung, eine klarstellende Vorschrift zu schaffen, kann nicht auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, diese Vorschrift erforderlichenfalls (d. h. für den Fall, daß sie eine Rechtsänderung und keine Klarstellung beinhalten sollte) rückwirkend in Kraft zu setzen. Offenbleiben kann, inwieweit eine etwaige rückwirkende Inkraftsetzung des § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 mit dem Grundgesetz (GG) zu vereinbaren gewesen wäre.
Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, auf die Frage einzugehen, ob § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 bei Vorerwerben aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 nicht jedenfalls insoweit anwendbar ist, als sich für die Vorerwerbe aus der Zeit vor dem 1. Januar 1974 insgesamt ein Überschuß der Vorerwerbe negativen Werts ergibt. Denn die Prozeßanträge des Klägers sind nicht auf die Berücksichtigung eines nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils vorhandenen Überschusses der Vorschenkungen negativen Werts gerichtet. Werden die Vorschenkungen, wie beantragt, mit 0 DM berücksichtigt, so ergibt sich die Erbschaftsteuer, deren Ansatz der Kläger begehrt.
Nicht einzugehen braucht der Senat auf die Streitfragen, die sich zu § 25 Abs. 1 Buchst. b ErbStG 1974 ergeben. Diese Fragen haben angesichts der ohnehin erfolgreichen Revision im vorliegenden Verfahren keine Bedeutung.
Die Frage, inwieweit sich durch die Änderung des Erbschaftsteuerbetrages die Höhe der zinslos zu stundenden Steuer ändert, ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Hierüber wird das FA gesondert zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 413486 |
BStBl II 1981, 269 |
BFHE 1981, 306 |