Der deutsche Bundestag hat am 24.2.2011 das Gesetz zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern im Erbrecht beschlossen. Das Gesetz muss den Bundesrat passieren.

So sah bzw. sieht der lange Weg der nichtehelichen Kinder in die erbrechtliche zur Gleichstellung aus:

Ab 1970 grundsätzlich erbrechtliche Gleichstellung nichtehelicher Kinder

Zwar hatten nichteheliche Kinder 1970 in Deutschland ein gesetzliches Erbrecht eingeräumt bekommen und waren damit ehelichen Kindern grundsätzlich gleichgestellt. Eine Ausnahme galt jedoch für vor dem 1.7.1949 geborene Kinder. Diese konnten aufgrund einer "Übergangsregelung" nicht Erben nach ihren leiblichen Vätern werden.

So sah es das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 vor (§ 10 Abs. 2 NEhelG). Dies führt dazu, dass vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kinder bis heute mit ihren Vätern als nicht verwandt gelten und daher auch kein gesetzliches Erbrecht haben.

28.5.2009: EGMR rügt Ungleichbehandlung vor 1949 geborener nichtehelicher Kinder

Diese Ausnahmeregelung im deutschen Erbrecht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 28.5.2009 auf die Individualbeschwerde Nr. 3545/04 für menschenrechtskonventionswidrig erklärt und den deutschen Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert, um diese Benachteiligung dieser Gruppe nichtehelicher Kinder zu beseitigen.

Bundesregierung rang um richtige Lösung

Seitdem wurde im Bundesjustizministerium nach einer gesetzgeberischen Lösung zur Umsetzung des EGMR-Urteils gesucht:

  • Strittig war im Gesetzgebungsverfahren vor allem, ob es einen Vertrauensschutz zugunsten der "bisherigen" Erben geben sollte.
  • So sah der ursprüngliche Referentenentwurf vor, dass die nichtehelichen Kinder erst nach hinterbliebenen Ehefrauen bzw. Lebenspartnern erben sollten. Diese sollten gesetzliche Vorerben, die nichtehelichen Kinder nur Nacherben des Verstorbenen werden.
  • Am 13.8.2010 wurde ein erster, am 14.10.2010 ein zweiter Gesetzentwurf vorgestellt, welcher nun schließlich mit leichten Änderungen in seiner Sitzung am 24.2.2011 vom Bundestag beschlossen wurde.

Rückwirkende Aufhebung des Stichtages für Erbfälle nach dem 28.5.2009

Danach werden auch alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder künftig gesetzliche Erben ihrer Väter, sofern die Vaterschaft anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist. Bei testamentarischer steht ihnen ein Pflichtteilsrecht zu, wenn sie in Testament oder Erbvertrag nicht bedacht wurden.

Das vom Bundestag beschlossene Gesetz geht sogar noch einen Schritt weiter als der ursprüngliche Entwurf. Selbst wenn das nichteheliche Kind und seine Eltern am 29. Mai 2009 bereits verstorben waren, wirkt sich die Gleichstellung jetzt auch auf die entferntere Verwandtschaft, z.B. Abkömmlinge des nichtehelichen Kindes aus.

Neuregelung erfasst nur Erbfälle ab dem 29.5.2005

Einziger Wermutstropfen: Die Neuregelung erfasst nur Erbfälle, die sich seit dem Urteil des EGMR, d.h. ab dem 29.5.2009 ereignet haben. Damit soll das Vertrauen derer geschützt werden, die vor der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtshofes nach der bis dato geltenden Rechtslage Erben geworden sind. Dieses Vertrauen ist aber seit Verkündung jener Entscheidung, mit der der Europäische Gerichtshof die deutsche Regelung verworfen hat, gerade nicht mehr schutzwürdig, weshalb das Gesetz auf diesen Stichtag zurückwirkt und nicht wie sonst üblich ab Verkündung des Gesetzes gilt.

Konsequenzen? Das gilt für künftige Erbfälle:

Für Erbfälle nach der Verkündung der Neuregelung werden alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder ehelichen Kindern gleichgestellt. Sie werden genau wie eheliche Kinder zu gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten.

Das gilt für Erbfälle nach der EGMR-Entscheidung:

Die Neuregelung wirkt sich aber auch auf zurückliegende Erbfälle aus, die nach der EGMR-Entscheidung vom 28. Mai 2009 eingetreten sind. Denn seit der Entscheidung können die nach altem Recht berufenen Erben nicht mehr auf ihre Rechtstellung und damit auf ihr erlangtes Erbe vertrauen. Das Gesetz tritt deshalb rückwirkend zum 29. Mai 2009 in Kraft.

Das gilt für Erbfällevor Verkündung der EGMR-Entscheidung:

Etwas anderes gilt für Erbfälle vor Verkündung der EGMR-Entscheidung. Da das Vermögen des Verstorbenen bereits auf die nach alter Rechtslage berufenen Erben übergegangen ist, bleibt in diesen Fällen alles beim Alten. Lag der Erbfall also vor dem 29. Mai 2009, bleibt es wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots grundsätzlich bei der früheren Rechtslage.

Beispiel: Wenn der Erblasser bereits im Jahr 1998 verstarb, kann die bereits eingetretene Erbfolge nicht mehr nachträglich "neu geordnet" werden. Eine Ausnahme gilt aber, wenn der Vater V bei seinem Tod keine anderen Verwandten mehr hatte und auch kein Testament gemacht hat, so dass der Staat gesetzlicher Erbe wurde. Dann soll der Staat den Wert des ererbten Vermögens ersetzen und an die nichtehelichen Kinder auszahlen (Wertersatzpflicht bei Staatserbschaften).

Gilt auch zugunsten von Verwandten

Der Entwurf sah zunächst außerdem die Einschränkung vor, dass auch für Erbfälle ab dem 29.5.2009 die Neuregelung nur gelten sollte, wenn zu diesem Zeitpunkt entweder das nichteheliche Kind oder ein Elternteil noch lebte.

Das jetzt vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz verzichtet auf diese Einschränkung, so dass für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 die Neuregelung auch den Verwandten des nichtehelichen Kindes zugute kommt.

Beispiel: Wenn der nichteheliche Vater 1950, die Mutter 1970 und das nichteheliche Kind A bereits 2005 verstorben war, und ein eheliches Kind des Vaters im Dezember 2009 erbenlos verstirbt, so können die Kinder des nichtehelichen Kindes nachträglich zu gesetzlichen Erben werden – so als ob A ein eheliches Kind gewesen wäre.