Kompetenz des GmbH-Versammlungsleiters zur Beschlussfeststellung
Hintergrund
Zwei Gesellschafter sind mit je 51 % und 49 % an einer GmbH in Liquidation beteiligt. Im Rahmen einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung, an der auch der Liquidator teilnahm, sollte ein Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst werden. Beide Gesellschafter stimmten dem Vorschlag des Liquidators zu, die Versammlungsleitung zu übernehmen; die Satzung der GmbH trifft diesbezüglich keine Vorgaben. Bei der Abstimmung votierte der Gesellschafter mit 49 % der Anteile gegen die Kapitalerhöhung. Der anwesende Rechtsanwalt des anderen Gesellschafters wies darauf hin, dass beide wegen ihrer Treuepflicht verpflichtet seien, dem Beschluss zuzustimmen. Daraufhin stellte der Versammlungsleiter fest, dass die Nein-Stimmen des Gesellschafters mit 49 % der Anteile unwirksam und der Beschluss damit einstimmig zustande gekommen seien. Das zuständige Registergericht lehnte die Eintragung der Kapitalerhöhung ab und stellte sich auf den Standpunkt, dass der Beschluss mangels erforderlicher Mehrheit (von ¾ der abgegebenen Stimmen) nicht zustande gekommen sei. Dagegen legte die Gesellschaft Beschwerde ein, die dem KG zur Entscheidung vorgelegt wurde.
Der Beschluss des KG vom 12.10.2015, 22 W 74/15
Das Gericht hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil es die erforderliche Beschlussmehrheit als nicht gegeben sah – das Registergericht habe die Eintragung zu Recht nicht vorgenommen. Der Kapitalerhöhungsbeschluss sei nicht mit der erforderlichen satzungsändernden Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen zustande gekommen, siehe §§ 55, 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Die Feststellung der Unwirksamkeit der Stimmabgabe des einen Gesellschafters und der einstimmigen Beschlussfassung durch den Versammlungsleiter stehe dem nicht entgegen und beanspruche keine – auch nur vorläufige – Verbindlichkeit, die das Registergericht beachten hätte müssen.
Der im Schrifttum meist differenzierungslos getroffenen Annahme, von einem Versammlungsleiter festgestellte Beschlüsse seien im GmbH-Recht stets vorläufig verbindlich und nur durch fristgerechte Anfechtungsklage zu beseitigen, ist das Gericht nicht gefolgt.
- Anders als bei Aktiengesellschaften sei für die GmbH gesetzlich keine Versammlungsleitung mit förmlicher Feststellung und Verkündung von Beschlussergebnissen vorgesehen – auch die Satzung der GmbH enthalte sich zu diesem Thema.
- Folgerichtig könnten dem Versammlungsleiter nur die Zuständigkeiten und Funktionen zukommen, die ihm die Gesellschafterversammlung ausdrücklich oder immerhin stillschweigend zuweise.
Neben der Organisation des Versammlungsablaufs und der Ausübung der Ordnungsgewalt müsse im Hinblick auf die weitreichenden Wirkungen einer Stimmwirksamkeitsprüfung mit anschließender Beschlussfeststellung ein entsprechendes Bewusstsein der Gesellschafter vorhanden sein. Die besondere Relevanz der Position des Versammlungsleiters ergibt sich daraus, dass es in seiner Kompetenz liegt, abgegebene Stimmen bei der Beschlussfassung mitzuzählen – oder nicht.
Ein vom Versammlungsleiter festgestellter Beschluss ist zunächst einmal wirksam und kann nur durch Anfechtungsklage wieder aus der Welt geschafft werden. Erheben betroffene Gesellschafter die Anfechtungsklage nicht innerhalb von in der Regel einem Monat, erlangt der Beschluss Bestandskraft und wird unanfechtbar. Von einem „Bewusstsein“ über diese Folge ist nach Auffassung des KG nicht generell auszugehen. GmbH-Gesellschafter, die der Wahl eines Versammlungsleiters zustimmen, haben in der Regel nicht die Vorstellung, dem Versammlungsleiter damit die Befugnis zur Feststellung von umstrittenen Beschlüssen einzuräumen. Wenn ein Versammlungsleiter diese Befugnis erhalten soll, muss sich das entweder aus der GmbH-Satzung ergeben oder im Einzelfall ausdrücklich beschlossen werden.
Das KG hat im vorliegenden Fall die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. Die Frist für ihre Einlegung ist jedoch mittlerweile verstrichen, so dass der Beschluss Rechtskraft erlangt hat und auch in naher Zukunft keine Stellungnahme des BGH zu dieser Thematik zu erwarten ist.
Anmerkung:
Die Frage, wann genau dem Leiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung eine Stimmwirksamkeitsprüfungs- und Beschlussfeststellungskompetenz zusteht, ist im Einzelnen offen.
Um einen für alle Gesellschafter sicheren Umfang der Versammlungsleiterkompetenz – insbesondere mit Blick auf die Feststellung der Wirksamkeit von Stimmabgaben und Beschlüssen – zu gewährleisten, empfiehlt sich nach wie vor eine entsprechende Ausgestaltung der GmbH-Satzung. Dort kann festgestellt werden, dass ein Versammlungsleiter erforderlich ist und wer die Versammlungsleitung übernimmt. Sollte er seine Kompetenzen dennoch missbrauchen und z.B. vorsätzlich ein falsches Beschlussergebnis feststellen, besteht immer noch die grundsätzlich unbefristete Möglichkeit, gegen den Beschluss im Wege der Feststellungsklage vorzugehen.
Ist die Rolle des Versammlungsleiters in der Satzung nicht festgelegt, bleiben Unsicherheiten: Die bisher wohl herrschende Fachliteratur spricht sich dafür aus, dass der mit einfacher Mehrheit bestellte Versammlungsleiter mit allen Befugnissen ausgestattet ist und verweist die überstimmten oder nicht mitgezählten Gesellschafter auf die fristgebundene Anfechtungsklage, indem sie die Rechtssicherheit in den Vordergrund stellt. Folgt man hingegen der Entscheidung des Gerichts, wäre in Fällen wie dem vorliegenden je nach Versammlung und „Bewusstsein“ der Gesellschafter zu entscheiden, ob die Beschlüsse nach Ablauf einer nicht wahrgenommenen Anfechtungsfrist bestandskräftig werden oder noch wirksam angegriffen werden können.
Rechtsanwälte Dr. Barbara Mayer, Holger Hiss, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
Vgl. auch:
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