Talent Management noch nicht völlig ausgereift

Talent Management ist schon lange ein Thema auf der HR-Agenda. Doch noch immer reden dabei viele aneinander vorbei, da der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Auch in der Umsetzung hapert es noch, wie Professor Klaus P. Stulle in einer Untersuchung belegt hat.

Haufe Online-Redaktion: Der Begriff „Talent Management“ wird inzwischen sehr dehnbar verwendet. Wie definiert die Wissenschaft heute Talent Management und welche Definition ist auch tatsächlich für die Praxis gangbar?

Prof. Dr. Klaus P. Stulle: Die Wissenschaft konnte diesen Trendbegriff bislang ebenso wenig trennscharf definieren wie die Praxis in den Unternehmen. Die Kernfrage ist, ob Talent Management als Spitzensport verstanden wird, bei dem nur die vergleichsweise seltenen High Potentials im Mittelpunkt stehen. Oder handelt es sich vielmehr um Breitensport im Sinne von „Jeder Mitarbeiter hat besondere Talente, die es zu entdecken und fördern gilt“? Ebenso wenig geklärt ist die Frage, ob sich das „Talent Management“ auf die bereits im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter beschränkt oder ob es auch die Gewinnung neuer Mitarbeiter, also neuen Talenten, umfasst. Letztlich besteht bei diesem Begriff nach wie vor die Gefahr, dass beherzt aneinander vorbei geredet wird. Daher sollte bei jeder Darstellung eine spezifische Arbeitsdefinition nicht fehlen, so wie wir dies in unserem „Talent Management Profiler“ vorangestellt haben: Wir haben eine weitgefasste Definition von Talenten gewählt, die alle höheren Führungskräfte umfasst sowie Mitarbeiter mit dem identifiziertem Potenzial, dieses Level in Zukunft zu erreichen.

Haufe Online-Redaktion: Sie haben einen „Talent Profiler“ erstellt, anhand dessen sich der Reifegrad eines Unternehmens im Talent Management messen lässt. Welche Bereiche des Talent Managements werden hier einbezogen?

Stulle: Genau, der „Talent Profiler“ ist ein holistisches Modell, das Unternehmen darin unterstützen soll, systematisch über Talent Management nachzudenken. Er besteht aus insgesamt sechs Elementen: Das Talent Management baut auf der Personalstrategie auf, die wiederum die Unternehmenskultur prägt. Im Kern stehen dann vier HR-Prozesse, die einen Entwicklungszyklus darstellen: Matching und Nachfolge, externe Einstellungen und Integration, Performance Management, Training und Entwicklung.

Haufe Online-Redaktion: Und anhand welcher Kennzahlen messen Sie den Reifegrad?

Stulle: Der Talent-Management-Reifegrad wird bestimmt durch das Ausmaß, mit dem die einzelnen Personalprozesse momentan im Unternehmen realisiert sind. Zu den oben genannten sechs Bereichen haben wir je drei bis vier Kernfragen formuliert, wobei die Antwortmöglichkeiten ausformuliert und skaliert vorgegeben werden; die Maximalausprägung beschreibt dann den höchsten Reifegrad. Das hat den großen Vorteil, dass die Ergebnisse wesentlich besser vergleichbar sind, da ein ähnliches Verständnis der verschiedenen Antwortmöglichkeiten sichergestellt wird; außerdem wird deutlich, wie die Maximalausprägung überhaupt aussieht, zum Beispiel haben wir auf die Frage „Wie systematisch wird der Erfolg von Entwicklungsmaßnahmen nachgehalten und kontinuierlich verbessert?“ diese Antwortmöglichkeit vorgegeben „Zusätzlich werden auch Leistungsverbesserungen nach Schulungen gemessen, nachgehalten und analysiert. Alle Schulungen werden mindestens einmal alle zwei Jahre systematisch verbessert“.

Haufe Online-Redaktion: Sie haben den „Talent Profiler“ in 15 Dax-Unternehmen und anderen Konzernen getestet. Wie weit sind diese Unternehmen im Talent Management und wo hapert es noch?

Stulle: Ebenso wie unsere Vorgängerstudie an der Hochschule Fresenius zusammen mit der Unternehmensberatung „Return on Meaning“ konnte auch diese Umfrage zunächst einmal eindrucksvoll belegen, dass Talent Management mehr denn je einen großen Stellenwert in den Unternehmen genießt. Auch werden dort vermehrt Ressourcen investiert. Sämtliche befragten Großunternehmen haben alle Bereiche des Talent Managements zumindest in Ansätzen als relevant erkannt. Allerdings ist auch zweifelsfrei erkennbar, dass noch keines der befragten Unternehmen über ein völlig ausgereiftes Talent Management verfügt. Zum Beispiel erhalten vielerorts eher operative Themen wie zum Beispiel das Performance Management im Rahmen von Zielvereinbarungen und Bonusmodellen deutlich mehr Aufmerksamkeit als eine gezielte Entwicklung der Unternehmenskultur. Es ist zwar essenziell, in allen Bereichen des Talent Managements ein Mindestmaß an Qualität sicherzustellen, aber die Unternehmen müssen sich nun auch überlegen, in welchen Bereichen sie wirklich investieren wollen, um dort herausragend zu sein. Hierbei ist es entscheidend, dass dies in Anlehnung an die Geschäftsstrategie passiert; in der vorliegenden Untersuchung erfolgt dies lediglich bei gut zehn Prozent der Unternehmen.

Prof. Dr. Klaus P. Stulle ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Fresenius für Wirtschaft und Medien GmbH.

Das Interview führte Kristina Enderle da Silva, Redaktion Personal.