New Work steht unter Druck: Studie soll Klarheit bringen

Flexible Arbeitszeiten, agile Methoden oder ein neues Lohnsystem? Professor Carsten Schermuly will mit dem New-Work-Barometer herausfinden, was unter New Work verstanden wird und welche Maßnahmen sich bewähren. Im Interview erklärt er, warum es gerade jetzt diese Studie braucht.

Haufe Online Redaktion: Sie haben das Studienprojekt "New-Work-Barometer" ins Leben gerufen. Welche neuen Erkenntnisse erhoffen Sie sich?

Carsten Schermuly: Der Begriff "New Work" steht unter einem gewissen Druck und wird von verschiedenen Seiten unterschiedlich genutzt. Wir wollen erforschen, wie es um den Kern steht: Was verstehen Menschen unter New Work? Wie wird New Work angewendet? Und: Können sich die Maßnahmen beweisen, gerade unter den besonders herausfordernden Bedingungen der Corona-Krise? Das langjährig angelegte New-Work-Barometer beschäftigt sich damit, wie sich der Begriff und die Maßnahmen künftig entwickeln und wie sich die Akzeptanz von solchen Maßnahmen und von New Work über die nächsten Jahre verändert.

Haufe Online Redaktion: Sie forschen schon lange zu dem Thema. Was fasziniert Sie persönlich daran?

Schermuly: New Work kann nicht nur einen Beitrag zu wirtschaftlicher Prosperität leisten, sondern auch einen Beitrag zu guter Arbeit, also zu mehr Glück am Arbeitsplatz und zu zufriedeneren Mitarbeitern. Das bestätigt auch unsere Forschung: Wenn durch New Work das psychologische Empowerment - also das Erleben von Bedeutsamkeit, Kompetenz, von Selbstbestimmung und Einflussname im Beruf - stimuliert wird, kann das langfristig beispielsweise den Stress senken und zu einem geringeren Risiko führen, an Depressionen zu leiden.

Eine aktuelle Metaanalyse von uns zeigt zum Beispiel, dass Pflegerinnen und Pfleger sehr stark von Empowerment profitieren können. Denn einerseits erleben diese gerade in der aktuellen Zeit ihre Arbeit als sinnvoll, stehen aber zugleich am untersten Ende der Hierarchien in Krankenhäusern. Wenn diese Berufsgruppe beispielsweise mehr Selbstbestimmung und Einflussnahme erlebt, senkt das vor allem in dieser Berufsgruppe die Stressbelastung deutlich. Gerade Pflegerinnen und Pfleger brauchen also nicht nur höhere Löhne, sondern auch mehr New Work.

New Work als Konzept der Krise

Haufe Online Redaktion: Die Corona-Krise dominiert aktuell den Arbeitsalltag, Unternehmen und HRler sind ständig im Krisenmodus. Wieso braucht es ausgerechnet jetzt eine Studie zu New Work?

Schermuly: Der Begriff "New Work" wurde von Frithjof Bergmann nicht in einer Schönwetterperiode geboren, sondern auch in einer Krise. Seine Ideen entwickelte er, als es zu den dramatischen Krisen in der amerikanischen Autoindustrie kam: Bergmann konnte beobachten, wie es zu Massenentlassungen bei General Motors in Flint kam und was diese Krise mit den Menschen gemacht hat. In den Ideen, wie man diesen Menschen helfen kann, hat er das Thema New Work entdeckt.

In der Studie stellen wir deshalb einen Bezug zur aktuellen Lage her. Wir blicken auf Unternehmen, die schon vor Corona Elemente von New Work eingesetzt haben – beispielsweise mit holakratischen Organisationsformen experimentiert oder gewisse agile Praktiken eingesetzt haben. Sind diese Unternehmen von der Krise weniger betroffen? Kommen diese Unternehmen in ihren Organisationsformen besser mit der Krise zurecht? Das wollen wir herausfinden.

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Haufe Online Redaktion: Kurzarbeit, Einstellungsstopps und der Schutz der Mitarbeiter. Diese Maßnahmen, die in den letzten Wochen für viele Unternehmen im Vordergrund standen, sind doch sehr weit weg von New Work. Wer beschäftigt sich in den Unternehmen jetzt überhaupt mit New Work?

Schermuly: Unternehmen arbeiten nicht nur an den drängenden Themen der Kurzarbeit oder an anderen Problemen der Liquidität. Es gibt auch viele Herausforderungen, die mit den drei "Ds" von New Work zu tun haben: Digitalisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Menschen arbeiten digitaler als zuvor, sie arbeiten dezentraler, weil sie von verschiedenen Orten aus zusammenarbeiten und sie arbeiten viel demokratischer, wenn sie beispielsweise im Homeoffice arbeiten, gleichzeitig ihre Kinder betreuen und das ganze ohne die bisher üblichen Kontrollmechanismen funktioniert. Die Menschen werden auf einmal nicht mehr wie Kinder behandelt und erhalten mehr Vertrauen. Ich glaube, dass die Unternehmen, die diese drei Ds schon zuvor erprobt haben, hier gewisse Vorteile haben können.

Haufe Online Redaktion: Bei den Themen Digitalisierung und Dezentralisierung leuchtet das schnell ein, aber Demokratisierung? Viele Krisenmaßnahmen werden doch gerade "von Oben" beschlossen. Lebt da nicht eher der "starke Mann" an der Spitze des Unternehmens auf?

Schermuly: Was aber nicht außer Kraft gesetzt wird, ist die folgende Regel: Eine äußere Komplexität kann nur durch eine innere Komplexität bewältigt werden. Natürlich können und werden jetzt wenige Personen Entscheidungen treffen, aber ob das dann die richtigen Entscheidungen sind, wird sich erst noch zeigen. Denn: Ein einzelner Mensch kann eine solche Komplexität nicht bewältigen. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass Partizipation zu substanziell besseren Entscheidungen führt, denn dabei legen unterschiedliche Menschen ihre unterschiedlichen Expertisen zusammen.

Trends werden nach der Krise bestand haben

Haufe Online Redaktion: Werden die neuen, digitalen und dezentralen Arbeitsformen und der unfreiwillige Wandel auch nach der Krise Bestand haben?

Schermuly: Ja, denn die Krise macht erstmal gewisse Megatrends deutlicher, die es auch schon zuvor gab und auch danach geben wird. Die Globalisierung und die globale Vernetzung, auch die Bedeutung der Digitalisierung und des demografischen Wandels kommen in der Krise zum Tragen. Als weiterer Trend kommt der dramatische Wissenszuwachs hinzu. Wir verfügen heute über sehr viele Informationen und stehen vor dem Problem, die richtigen Informationen zu finden, zu verarbeiten und daraus die richtige Entscheidung abzuleiten. Mit diesen Trends müssen sich Unternehmen jetzt in der Corona-Krise befassen, aber auch darüber hinaus werden sie sich mit den Problemen beschäftigen.

Bei den konkreten Arbeitsformen wird vermutlich Einiges wieder zurückgedreht, oft sogar auf demokratische Art und Weise. Beispielsweise werden Mitarbeitende selbst entscheiden, dass sie wieder gerne ins Büro kommen. Nur kann künftig niemand mehr sagen: "Das kann ja nicht funktionieren mit dem Homeoffice." Oder: "Ohne Kontrolle funktionieren die Prozesse nicht."  Viele Teams beweisen, dass zum Beispiel agiles Projektmanagement auf Distanz und ohne klassische Kontrollmechanismen sehr gut funktioniert. Dieser Effekt ist sehr nachhaltig.

Äußere Komplexität kann nur durch eine innere Komplexität bewältigt werden." - Prof. Carsten Schermuly

Haufe Online Redaktion: Das heißt, die Rechtfertigung für solche Arbeitsformen fällt künftig weg?

Schermuly: Genau, denn das aktuelle, große Experiment beweist eben, dass es doch funktioniert. Ich kenne Unternehmen, bei denen die Mitarbeitenden regelrecht dankbar sind, dafür dass schon zuvor demokratische und digitale Organisationsprozesse erprobt wurden. Diese Mitarbeitenden mussten nicht erst ein morgendliches Meeting einüben, sie wussten bereits, wie man sich gegenseitig auf dem Laufenden hält und wie man digital zusammenarbeitet. Nicht nur die Führungsebene, sondern auch die Belegschaft macht hier die Erfahrung, dass diese Mittel sinnvoll sind.

New Work braucht Zeit

Haufe Online Redaktion: Gilt das auch für Unternehmen, die diesen Vorsprung nicht haben und sich jetzt sehr schnell an neue Arbeitsformen gewöhnen mussten?

Schermuly: Zum Thema New Work gehört auch sehr viel Zeit, gerade aus psychologischer Perspektive. Denn das vorhin erwähnte psychologische Empowerment bildet sich nur allmählich. Dazu braucht es auch eine entsprechende Führungskultur, die ebenfalls erst eingeübt werden muss. Wir stellen auch fest, dass das Empowerment nicht in jeder Situation und nicht bei jedem Beschäftigten gleichermaßen stimuliert wird. Deshalb muss genau unterschieden werden: Welche Menschen profitieren von welchen Maßnahmen unter welchen Bedingungen? Da man das nicht immer eins zu eins übersetzen kann, wird es hier sicherlich auch Rückschläge geben. Unternehmen müssen zusammen mit ihren Mitarbeitenden entscheiden, welche der erprobten Mittel im Einzelfall als sinnvoll erlebt werden und welche Mittel auch nach der Krise bestand haben sollen. Ich kann da nur empfehlen, dass man diese Fragen in einem Workshop klärt, wenn die Normalität in der Arbeitswelt wieder absehbar ist.


Zur Person: Carsten Schermuly ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH University of Applied Sciences Berlin und führt zusammen mit dem Personalmagazin erstmals das New-Work-Barometer durch.

Schlagworte zum Thema:  New Work, Coronavirus