Business Schools: Helden der Nachhaltigkeit

Nicht nur Unternehmen betonen gerne ihre gesell­schaftliche Ver­antwortung. Auch Business Schools springen auf diesen Zug auf. Sie gründen Lehrstühle für Nachhaltigkeit oder sammeln Geld mit Charity-Aktionen ein. Das spiegelt sich auch in einem neuen Business-School-Rating wider.

20.000 Kilometer liegen zwischen den Standorten San Francisco, Fontainebleau, Abu Dhabi und Singapur der Insead Business School. 20.000 Euro – einen pro Kilometer – haben 2019 die Teilnehmer der Insead-Aktion "Run4Change" erlaufen, um Mädchen in Indien, Sudan oder Guatemala den Schulbesuch zu ermöglichen und um allgemein deren Rechte zu stärken. Das bei Sponsoren eingesammelte Geld ging an die Charity-Organisation Girl Rising, die davon beispielsweise Schulen ausstattet und Informationskampagnen gegen sexuelle Ausbeutung unterstützt. Girl Rising knüpft an den gleichnamigen Dokumentarfilm von 2013 an: In Einzelschicksalen wird erzählt, wie junge Frauen für Bildungschancen und Gleichberechtigung kämpfen.

Nachhaltige Entwicklung als Maßstab der Führungskräfteentwicklung

Wenn Studierende und Lehrende des Global Executive MBA-Programms von Insead für einen guten Zweck die Sportschuhe schnüren, ist das kein PR-Gag. Die international anerkannte Business School will die 2016 von der UN postulierten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (engl.: Sustainable Development Goals, SDGs) zum Maßstab der Führungskräfteentwicklung machen und den eigenen Wissenschaftsbetrieb daran ausrichten. Studentische Initiativen mit gesellschaftlichem Anspruch seien nichts Neues, sagt Katell Le Goulven, Leiterin des am Insead neu gegründeten Hoffmann Global Institute for Business and Society. Aber Run4Change bedeute mehr: "Sich dieser Herausforderung zu stellen, ist nicht nur für die Läufer gut, es zahlt auch auf die SDGs ein – von Bildungsqualität bis Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter und weniger Ungleichheiten. Wir wollen mehr von diesen Initiativen auf dem Campus sehen."

Anker in der Vuca-Welt

Gesellschaftliches Engagement an Business Schools hat viele Facetten. Es dient als Kriterium bei der Auswahl von MBA-Bewerbern. Es ist Forschungsgegenstand an Lehrstühlen, die sich mit nachhaltiger Unternehmensführung beschäftigen. Es vermittelt Praxiserfahrung durch Fallstudien. Es regt Non-Profit-Projekte von Studenten und Alumni an. Es prägt den Wertekanon einiger Business Schools, die in der Vuca-Welt (kurz für „volatility“, „uncertainty“, „complexity“ und „ambiguity“) einen Anker werfen wollen, um nicht durch wirtschaftliche, politische oder soziale Krisen abgetrieben zu werden. Vor allem aber wird gesellschaftliches Engagement immer wichtiger für ihre Außendarstellung gegenüber der Öffentlichkeit, Financiers und Studieninteressierten. Die Frage ist, ob die Schulen halten, was sie in Broschüren, auf Kongressen oder bei Charity-Aktionen versprechen. Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger wetterte schon vor zehn Jahren, dass die meisten Initiativen bloß Fassade seien.

Differenzierte Motivlagen der Hochschulen

Inzwischen hat sich eine Menge verändert, besonders seit der Veröffentlichung der SDGs und seit der Fridays-for-Future-­Bewegung. Am Thema Nachhaltigkeit kommt heute keine Hochschule mehr vorbei und auch keine Business School. Entsprechende Studienschwerpunkte und Aktivitäten bieten eine prima Gelegenheit, sich von den Wettbewerbern abzuheben. Und das sind viele, da die Inflation der MBA-Programme durch den Bologna-Prozess und das gestufte System von Bachelor und Master weiter verschärft wurde. Bildungsforscher Joachim Müller vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) in Hannover kann sich folglich verschiedene Gründe vorstellen, warum sich die Schulen dem Dienst an der Gesellschaft verschreiben. "Die Motivlagen sind differenziert", sagt er. "Authentisch dann, wenn Protagonisten ihre gesamte Einrichtung mitnehmen; PR-getrieben, wenn nur die Schauseite bedient wird; dem Zeitgeist geschuldet, wenn der Druck der Zivilgesellschaft zu groß wird."

Vom Saulus zum Paulus

Business Schools springen auch gern auf den Nachhaltigkeitszug auf, weil sie imagemäßig einiges gutzumachen haben. Früher waren sie als Kaderschmieden des Kapitalismus verschrien. Wer dort studierte, wollte Karriere machen und einen Haufen Geld verdienen. Die Wharton School der University of Pennsylvania – im Global MBA Ranking 2020 der Financial Times (FT) auf Platz zwei – hat den Ruf, die meisten Milliardäre in den USA ausgebildet zu haben. Doch auch Wharton orientiert sich neu. Die Initiativen "Four for Women" für Geschlechtergerechtigkeit, Project Sage, "Wharton Africa Growth Partners" oder C MIINT zeigen, dass die Schule ihre Lektion gelernt hat. "Die Studenten lernen, wie man soziale und ökologische Wirkungen in den Investmentprozess integriert", sagt Caroline Pennartz von Wharton.

Am Insead lösen die MBA-Teilnehmer als Abschlussprojekt einen Business Case, der einen positiven Effekt für die Gesellschaft oder die Umwelt haben soll. Aktuell arbeiten die Studierenden mit den Unjani Clinics in Südafrika zusammen, einer Non-Profit-Organisation, die 1.000 Krankenhäuser zur Versorgung von 15 Millionen Menschen bauen will. Andere Beispiele sind Lehrstühle und Kurse zu Nachhaltigkeit, ein "SDG Boot Camp", ressourcenschonendes Gebäudemanagement oder die Reduzierung von Einwegplastik. "Die Studierenden von heute wollen ihre Schule als Vorbild auf diesem Gebiet sehen", sagt Thibault Seguret, Leiter des Master-in-Management-Programms am Insead.

Das neue Positive Impact Rating (PIR)

Der hohe Anspruch spiegelt sich in einer weltweiten Befragung an Business Schools durch die Studierendenorganisationen Oikos, Aiesec und Net Impact wider: Wie schätzen die Studierenden die gesellschaftliche Wirkung ihrer Schulen ein? Im Mittelpunkt standen Leitung, Ausbildung und Engagement, jeweils in Unterkategorien gegliedert. Herausgekommen ist das neue Positive Impact Rating (PIR) – wohlgemerkt ein Rating, kein Ranking, da nicht alle eingeladenen Schulen teilgenommen haben, und jene 51, die der "Einladung" gefolgt waren, in "Levels" eingeordnet wurden. Innerhalb dieser erscheinen sie in alphabetischer Reihenfolge. Neun Schulen schaffen es im PIR auf das zweithöchste Level "Transforming Schools". Den Gipfel der "Pioneering Schools" erklimmt keine. Zu den "Progressing Schools" – Level drei – dürfen sich 21 Schulen zählen. Die 21 Schulen in den beiden untersten Levels werden nicht aufgeführt, lassen sich aber ermitteln, weil die PIR-Vereinigung die komplette Teilnehmerliste veröffentlicht hat.

Die einzige deutsche Schule unter den Top-30 ist die ESCP Business School Berlin, die dem Verbund der École supérieure de commerce de Paris mit sechs Standorten in Europa angehört – laut FT-Ranking 2019 die Nummer 14 der europäischen Business Schools. Nachhaltigkeit ist einer von drei Lehr- und Forschungsschwerpunkten in Berlin, kommt aber neben Corporate Social Responsibility (CSR) und Business Ethics in jedem Studiengang vor. Gerade entsteht an der ESCP ein neuer Lehrstuhl für Responsible and Sustainable Business Management.

Lokale Projekte als Schwerpunkt

Im Better World MBA Ranking 2019 des kanadischen Nachhaltigkeitsmagazins Corporate Knights landet die Mannheim Business School als einzige deutsche Schule unter den Top-40. Im PIR sucht man sie vergeblich. Dabei widmet sich die Mannheim Business School ebenfalls SDG-Themen in Lehre und Forschung. Jährlich setzen Studierendengruppen rund 15 soziale Projekte um, meist gemeinsam mit Organisationen in der Metropolregion Rhein-Neckar. Durch Charity-Aktionen wurden in einigen Fällen mehr als 100.000 Euro für karitative Zwecke eingeworben. Das brachte den Mannheimern – ungewöhnlich für einen MBA-Anbieter – eine Nominierung beim Mittelstandspreis für soziale Verantwortung in Baden-Württemberg ein.

Wenn sich Studierende gesellschaftlich engagieren, ist der regionale Bezug nachvollziehbar: Internationale Kontakte hat nicht jeder, zumindest nicht in jungen Jahren. An der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar (FT-Ranking European Business Schools 2019: Platz 23) legt die "Initiative WHU Studenten helfen e. V." (WHUSH) den Schwerpunkt auf lokale Projekte, etwa Computerkurse an der örtlichen Grundschule oder Bewerbertrainings am Mädchengymnasium in Vallendar. Länderübergreifende Kooperationen gelingen, wenn ein Partner mit im Boot ist. So leitet WHUSH Geld, das beispielsweise beim jährlichen Benefizkonzert eingenommen wird, über eine Stiftung in Indien an eine dortige Schule weiter.

"Unsere Studierenden werden durchgehend ermuntert, sich gesellschaftlich zu engagieren", sagt Professor Dr. Gunther Friedl, Dekan an der TUM School of Management der TU München (FT-Ranking European Business Schools 2019: Platz 76). "Um das sichtbar zu machen, haben wir den Social Impact Award ins Leben gerufen, der besonders herausragendes Engagement unserer Studierenden auszeichnet. Und viele der von unseren Absolventen gegründeten Start-ups sind dem Bereich Social Entrepreneurship zuzurechnen, beispielsweise SocialBee von Gründerin Zarah Bruhn." In allen Studienprogrammen der Schule würden gesellschaftlich relevante Fragen abgebildet, versichert Friedl. Themen wie Klimawandel oder Elektromobilität haben in der Forschung einen hohen Stellenwert. "Für Unternehmen sind wir sowohl als Forschungspartner als auch als Lieferant von Absolventen attraktiver, wenn wir gesellschaftsrelevante Themen in den Mittelpunkt stellen."

Das IMD in Lausanne (FT-Ranking European Business Schools 2019: Platz 11) berücksichtigt Nachhaltigkeit in allen Aktivitäten, von Führungskräfteentwicklung, Diversity und Inklusion bis zu Mobilität und Emissionen. Highlights sind die enge Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und NGOs, maßgeschneiderte Beratungsprojekte oder "Entdeckungstouren" in Ländern wie Israel, Peru und Kenia. "Führungskräfte von heute werden zunehmend von Karrieren mit positiver sozialer und ökologischer Auswirkung angezogen", sagt Natalia Olynec, IMD Sustainability Partner. "Wir arbeiten mit den Teilnehmern daran, Sinn in unsere Unternehmensstrategie und Personalentwicklung zu integrieren."

US-Schulen drehen das ganz große Rad

Das ganz große Rad in Sachen Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Engagement drehen immer noch die US-amerikanischen Business Schools. Der Grund ist einfach: Sie haben mehr Geld. Unerreicht sind die über drei Milliarden US-Dollar Stiftungsvermögen, auf denen die Harvard Business School sitzt. Das Kapital darf zwar nicht angetastet werden, aber die Erträge sind auch in Zeiten wenig lukrativer Anlagemöglichkeiten beträchtlich. In Europa ist Insead mit rund 200 Millionen Dollar Stiftungsvermögen der Krösus. Dieses Gefälle macht deutlich, wie viel Spielraum die Schulen für Aktivitäten neben Lehre und Forschung haben.

Chicago Booth (FT-Ranking Global MBA 2020: Platz 10) leistet sich seit 2012 das Rustandy Center for Social Sector Innovation, ein Hochschulinstitut, das nicht nur Studierende an Social Entrepreneurship heranführt, sondern mehr als 100 soziale Start-ups auf den Weg gebracht und 21,3 Millionen US-Dollar durch Fundraising eingesammelt hat. „Es ist ein Ort für Leute, die unbedingt komplexe soziale und ökologische Probleme lösen wollen, um die Welt gerechter und nachhaltiger zu machen“, sagt Lesley Cheers von Chicago Booth. Jährlich veröffentlicht das Rustandy Center einen Social-Impact-Bericht, in dem die Einzelspender genannt werden. Viele Jahre begann die Liste bei 500+ US-Dollar und endete bei 100.000+ US-Dollar. Im vergangenen Jahr wurde die Latte angehoben: auf 1.000+ US-Dollar bis 1.000.000+ US-Dollar. Damit lässt sich schon mal kurz die Welt retten.


Dieser Beitrag ist in ungekürzter Version im Sonderheft "Personalmagazin plus: MBA-Programme 2020/2021" erschienen. Darin finden Sie weitere Trends, aktuelle Einblicke in die MBA-Welt sowie ein Verzeichnis von MBA-Anbietern. 

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Green HR, MBA, Studium