Personalauswahl ohne Anschreiben?
Die Bahn hat mit ihrer Ankündigung, auf das Anschreiben bei Azubis zu verzichten, für Aufsehen gesorgt. Neu ist die Debatte für Personaler jedoch nicht. Aus diversen Umfragen ist bekannt, dass das Anschreiben eine Hürde für Bewerber darstellt – nicht zuletzt, weil eine schnelle, mobile Bewerbung mit einem Social-Media-Profil eben daran scheitert.
So geben in einer Umfrage von Meinestadt.de immerhin 55 Prozent von 1.034 befragten Fachkräften an, dass das Anschreiben für sie eine "große Hürde" im Bewerbungsprozess darstellt (siehe Infografik "Was Bewerber über das Anschreiben denken").
Ohne Anschreiben: Hürde für Bewerber abbauen
Diese Hürde zu verringern ist – in Zeiten des Fachkräftemangels – auch das Ziel der Bahn-Recruiter: "Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen", sagt Personalerin Carola Hennemann. Ab Herbst soll es möglich sein, über eine Online-Plattform nur noch Lebenslauf und Zeugnisse bei der Bahn einzureichen. Der Konzern überlegt zudem, bei welchen Berufsgruppen er noch auf das Motivationsschreiben verzichten könnte.
Auch andere Unternehmen gehen schon den Weg der Bahn: Wer sich zum Beispiel für eine Stelle bei der STF-Gruppe interessiert, gibt einfach einen Link zu seinem Social-Media-Profil an - mehr ist für die Express-Bewerbung nicht nötig, wie Jens Hemmerling, der Leiter Recruiting und Sourcing von STF, erklärt.
Die Deutsche Lufthansa verzichtet in bestimmten Berufen auf das Anschreiben – zum Beispiel bei Flugbegleitern und IT-Mitarbeitern, bei Azubis noch nicht. Bei der Drogeriemarktkette Rossmann brauchen manche Gruppen seit rund einem Jahr kein Anschreiben mehr. "Letztendlich liegt es beim Bewerber, ob er uns ein Anschreiben schicken möchte", erklärt Sprecherin Nadine Leinewerber. Bei Azubis interessiere sie dagegen die Motivation noch.
Warum andere Unternehmen am Anschreiben festhalten
Andere Unternehmen halten dagegen am Bewerbungsschreiben fest. Beim Autobauer Daimler und der Berliner Stadtreinigung ist das Anschreiben noch gefragt. Die Post plant auch keine Änderung. Und auch der Medizinkonzern Fresenius verlangt von Azubis weiterhin ein klassisches Bewerbungsschreiben. "Es hilft, sich ein besseres Bild vom Bewerber zu machen", sagte ein Sprecher.
Aussagekraft von Anschreiben wissenschaftlich widerlegt
Dabei ist aus der Forschung bekannt, dass "es sich bei den Bewerbungsunterlagen um ein äußerst stumpfes Schwert der Personalauswahl" handelt, wie Professor Uwe P. Kanning in seiner Kolumne unter dem Titel "Bewerbungsunterlagen: Wenn die Verpackung wichtiger ist als der Inhalt" schreibt.
Auch Kolumnist und Personalmarketing-Experte Henner Knabenreich verweist auf die schwache diagnostischen Aussagekraft von Bewerbungsschreiben. Er fragt in seiner Kolumne "Bewerbungsanschreiben abschaffen? Was dafür spricht": "Wenn Stelleninserate so wenig aussagekräftig sind, können wir dann aussagekräftige Bewerbungen erwarten? Wäre es dann nicht konsequent, auf die Anschreiben zu verzichten und die neu gewonnenen Ressourcen sinnvoll zu investieren?"
Den Prozess der Personalauswahl insgesamt verbessern
In einer weiteren Kolumne unter dem Titel "Anschreiben adé?" ermahnt er die Personaler dazu, nicht einfach auf das Anschreiben zu verzichten, ohne den weiteren Auswahlprozess zu verbessern: „Solange Unternehmen ihren Bewerbern seitenlange Online-Formulare […], solange Arbeitgeber mit Informationen über sich als Arbeitgeber hinterm Berg halten und diese nicht auf ihrer Karriere-Website veröffentlichen, so lange Stellenanzeigen nichts weiter beinhalten als leere Phrasen, […]: Solange bringt auch der Verzicht auf das Anschreiben nichts."
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