Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifierung kunststoffüberzogener Gewebe

 

Leitsatz (NV)

Nicht zu Pos. 5903 KN, sondern in das Kunststoff-Kapitel (39) gehört ein Gewebe, dessen einzelne Webfäden vollständig mit Kunststoff überzogen sind. Der Überzug braucht nicht die Räume zwischen den Fäden zu bedecken.

 

Normenkette

KN Pos. 5903 Anm. 2 a Nr. 3 zu Kap. 59

 

Tatbestand

Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über eine Ware, die sie als Gewebe (Jute) - Meterware -, beidseitig mit Polyvinylchlorid überzogen, der Unterposition 5903 10 90 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zuwies. Den Einspruch der Klägerin, mit dem diese eine Tarifierung als Ware aus Kunststoff begehrte, wies die OFD mit der Begründung zurück, die Ware sei nicht auf Grund von Anm. 2 a Nr. 3 zu Kapitel 59 KN von der Position 5903 ausgenommen, weil das Gewebe nicht beidseitig vollständig mit Kunststoff überzogen sei. Durch die weitmaschige Webart seien zwischen Kette und Schuß Zwischenräume unterschiedlicher Größe entstanden. Beim Eintauchen des Gewebes in Kunststoff seien die Zwischenräume nicht vollständig mit Kunststoff ausgefüllt worden; sie stellten sich als offene, nicht von Kunststoff überzogene Zellen dar.

Mit der Klage wird geltend gemacht, die Ware gehöre zu Position 3918 KN (Bodenbeläge aus Kunststoff). Die Materialkosten für den Kunststoff seien erheblich höher als die für den Träger, der statt aus Jutegewebe ebensogut aus Kunststoff bestehen könnte. Eine durchgehende Beschichtung sei für die Behandlung als Ware aus Kunststoff nicht erforderlich. Es genüge, wenn der Träger vollständig mit Kunststoff überzogen sei, so daß dem Erzeugnis nicht mehr der Charakter eines Naturgewebes zukomme. Kapitel 39 enthalte für die Ware die genauere Warenbezeichnung.

22Die OFD führt aus, ein ,,auf beiden Seiten vollständig mit Kunststoff überzogenes Gewebe" sei ein solches, dessen Vorder- und Rückseite in ganzer Länge und Breite flächendeckend von Kunststoff überzogen sei. Im Streitfall seien zwar die einzelnen Webfäden vollständig mit Kunststoff überzogen, nicht aber die von den Kett- und Schußfäden gebildeten offenen Zellen auf beiden Gewebeseiten. Im Gegensatz zum Überziehen umfasse eine ,,Einbettung" auch die Ränder, nicht nur die Seiten (,,ganz").

 

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage ist begründet.

Von Position 5903 - Gewebe . . ., darunter auch solche aus Jute (Position 5310; Anm. 1 zu Kapitel 59) - ausgenommen sind mit Kunststoff getränkte . . . Gewebe der in Anm. 2 a zu Kapitel 59 KN bezeichneten Art. Die Ausnahmen nach Nrn. 1, 2 und 4 bis 6 dieser Rechtsvorschrift liegen nicht vor. Streitig ist nur, ob der Ausnahmetatbestand nach Nr. 3 a. a. O. erfüllt ist. Das ist im Gegensatz zu der von der OFD vertretenen Tarifauffassung zu bejahen.

Nach der angeführten Anmerkung gehören nicht zu Position 5903 ,,Erzeugnisse, bei denen das Gewebe entweder ganz in Kunststoff eingebettet oder auf beiden Seiten vollständig - mit bloßem Auge wahrnehmbar -" (zum Begriff nach früherem Zolltarifrecht Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 30. September 1982 Rs. 317/81, EuGHE 1982, 3257, 3266) ,,mit Kunststoff bestrichen oder überzogen ist". Solche Erzeugnisse gehören zu Kapitel 39 KN (Klammerhinweis in Anm. 2 a Nr. 3 zu Kapitel 59; Anm. 1 h zu Abschn. XI; vgl. auch Erläuterungen zur KN zu Kapitel 39 - HS - Rz. 54.0; zur Abgrenzung von Waren aus Kunststoff zu anderen Erzeugnissen auch EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 Rs. 253/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 327, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1988, 269; Senat, Beschluß vom 7. Juli 1987 VII K 3/86, BFHE 150, 248, 250).

Die OFD geht, insoweit in Übereinstimmung mit der Klägerin, davon aus, daß die Ware beidseitig mit Polyvinylchlorid ,,überzogen" (,,ummantelt") ist. Bei einer solchen Beschaffenheit liegt kein nur getränktes (,,getauchtes"; vgl. Anm. 11 zu Abschn. XI) Erzeugnis vor, das der Position 5903 1010 zuzuweisen wäre. Ein beidseitig mit Kunststoff überzogenes Gewebe gehört jedoch zu Kapitel 39, wenn das Überziehen mit bloßem Auge wahrgenommen werden kann - was hier unstreitig zutrifft - und es ,,vollständig" erfolgt ist. Die OFD hält den Ausnahmetatbestand - Anm. 2 a Nr. 3 zu Kapitel 59 - nicht für gegeben, weil infolge der weitmaschigen Webart Zwischenräume (,,offene Zellen") vorlägen, die nicht vollständig mit Kunststoff ausgefüllt seien.

Dieser Auffassung kann der Senat - ausgehend von den objektiven Merkmalen der zu tarifierenden Ware, die grundsätzlich für die Tarifierung maßgebend sind (z. B. EuGH, Urteil vom 17. März 1983 Rs. 175/82, EuGHE 1983, 969, 977; ständige Rechtsprechung) - sich nicht anschließen. Er neigt vielmehr zu der Ansicht, daß die von der OFD für das ,,Überziehen" geforderte Behandlung bereits als ,,Einbetten" zu beurteilen ist. Daß dafür auch eine Umfassung der Ränder notwendig wäre, erscheint wenig einleuchtend. Dies dürfte nur in Betracht kommen, wenn der Tarifbegriff ,,Einbetten" dieselbe Bedeutung hätte wie der an anderer Stelle (Positionen 5604 und 5607; vgl. auch Anm. 2 b, 4 b zu Kapitel 59) verwendete Begriff ,,Umhüllen". Dafür ist indessen nichts ersichtlich. Die Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung. Wesentlich ist vielmehr, daß die Behandlungsart ,,Überziehen" neben der des ,,Bestreichens" aufgeführt ist. Durch ein Bestreichen können aber nicht die gesamten Oberflächen des Gewebes - einschließlich der von den Fäden gebildeten Zwischenräume - zugedeckt werden. Der (dem ,,Bestreichen" assimilierte) Begriff ,,Überziehen" ist nach Ansicht des Senats in gleicher Weise auszulegen. Auch insoweit ist lediglich erforderlich, daß die das Gewebe bildenden Fäden - vollständig - mit Kunststoff überzogen sind. Diese Voraussetzung ist unstreitig erfüllt. Damit ist auch das den sämtlich in der erforderlichen Weise behandelten Fäden bestehende Gewebe als auf beiden Seiten - Flächen - vollständig überzogen zu werten.

Die Ware gehört auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht zu Position 5903, sondern zu Teilkapitel II von Kapitel 39. Welcher Position sie dort zuzuordnen ist, ist nicht zu entscheiden.

Der Senat sieht sich nicht veranlaßt, den EuGH - wie von der OFD angeregt - um eine Vorabentscheidung zur Auslegung von Anm. 2 a Nr. 3 zu Kapitel 59 KN zu ersuchen. Er hält die der hier getroffenen Entscheidung zugrunde liegende Auslegung der Begriffe ,,auf beiden Seiten vollständig mit Kunststoff (bestrichen oder) überzogen" für offenkundig. Auch wenn, wie die OFD in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, 1985 ein Tarifentscheid mit Zuweisung einer ,,ähnlichen" - indes imprägnierten - Ware zu Tarifnr. 59.08 des früheren Gemeinsamen Zolltarifs erlassen worden ist, so ergeben sich daraus noch keine Zweifel. Eine Pflicht zur Vorlage an den EuGH ist somit nicht gegeben (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416788

BFH/NV 1990, 541

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