2.1 Überblick und Zeithorizont

Zahlreiche Einkaufsorganisationen erfassen die Leistungsfähigkeit ihrer Lieferketten aktuell in klassischen Dimensionen, welche die zentralen Funktionen der Beschaffung für das Unternehmen widerspiegeln. Allerdings wird der Einkauf zukünftig über die grundlegende Versorgungsfunktion hinaus gefordert sein. Die gesellschaftlichen Anforderungen an Unternehmen sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen und infolgedessen steigt der Informationsbedarf von Kunden, Investoren und anderen Stakeholdern.[1] Die unternehmerische Tätigkeit selbst rückt in den Fokus der Aufmerksamkeit und mit ihr unweigerlich auch die Lieferketten der Unternehmen. Spätestens mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes werden diese anhand neuer Dimensionen (Unternehmensgrundsätze, Gesundheitsschutz, Einhaltung internationaler Menschenrechts- und Umweltabkommen) neu bewertet werden. Infolgedessen ist der Bedarf nach zusätzlichen Informationen groß, etwa Informationen über die Produktionsbedingungen entlang des Produktentstehungsprozesses. Das stellt den Einkauf vor große Herausforderungen, da diese Informationen aufgrund der Geheimhaltungspflichten in bestehenden Vertragsverhältnissen bislang nur selten über den unmittelbaren Lieferanten hinaus verfügbar sind und die fehlende Transparenz entlang mehrstufiger Wertschöpfungsketten offenlegen.[2]

Das verabschiedete Lieferkettengesetz legt den Finger in die Wunde und verpflichtet alle in Deutschland ansässigen Unternehmen gemäß § 13 mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz oder satzungsmäßigem Sitz in Deutschland, unabhängig von ihrer Rechtsform, mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern, ab 01.01.2023 ihre Wertschöpfungsketten umfangreich auf existierende und potenzielle Risiken bei der Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten zu analysieren.[3] Das Gesetz definiert Sorgfaltspflichten, die entlang bestehender und zukünftiger Lieferketten zu erfüllen sind (§ 3 Absatz 1). Unternehmen werden gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet zu ermitteln, inwieweit ihre Geschäftstätigkeit zu Menschenrechts- und Umweltverletzungen führen kann.

Diese Sorgfaltspflichten werden konkret durch neue Anforderungen an das unternehmensinterne Risikomanagement umgesetzt, die dabei helfen die Prüfung der Geschäftsprozesse von einem einmaligen statischen in einen dynamischen Prozess zu überführen sowie Rechtsklarheit bei Missachtung zu gewährleisten. Infolgedessen ergibt sich eine Reihe von Maßnahmen, welche Unternehmen spätestens ab dem 01.01.2023 umgesetzt haben müssen:[4]

  1. Einrichtung eines Risikomanagements (in allen maßgeblichen Geschäftsabläufen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten) inklusive Maßnahmen zur Abwendung von potenziellen Risiken (§ 4)
  2. Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit für den Menschenrechtsschutz (§ 4 Abs. 3)
  3. Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen: Analyse der bestehenden Lieferketten hinsichtlich potenziell auftretender Verstöße gegen Menschenrechts- und Umweltverletzungen (§ 5)
  4. Die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 1 und § 6 Abs. 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4)
  5. Das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 und 3)
  6. Einrichtung eines Beschwerdemechanismus (§ 8)
  7. Die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (§ 9)
  8. Dokumentation (§ 10 Abs. 1) und Berichterstattung über die Erfüllung des Lieferkettengesetzes (§ 10 Abs. 2)
  9. Grundsatzerklärung über die unternehmenseigene Menschenrechtsstrategie (§ 6 Abs. 2)

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) wird die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren und die Unternehmen bei Verstößen sanktionieren.

Ab 01.01.2024 wird der Geltungsbereich des Lieferkettengesetzes für deutsche Unternehmen noch deutlich vergrößert, da die erforderliche Mindestarbeitnehmeranzahl auf 1.000 Arbeitnehmer gesenkt wird.[5] Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, hat die Europäische Kommission zudem am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine neue EU-Rechtsvorschrift zur Förderung eines nachhaltigen und verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns angenommen. Die aktuell geplanten Sorgfaltspflichten übersteigen die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes noch einmal deutlich und erhöhen den Druck auf die Unternehmen infolge einer niedrigeren Mindestarbeitnehmerzahl als auch der Einführung einer zivilrechtlichen Haftung.[6]

[1] Vgl. Union Investment, Pressemitteilung vom 18.06.2021
[2] Vgl. Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V., Stellungnahme vom 09.02.2022
[3] Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2021)
[4] Vgl. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (2022)
[5] Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2021)
[6] Vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/22/1145 vom 23.02.2022

2.2 Das Lieferkettengesetz im Detail

Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen zu mehr Transparenz in ihren Wertschöpfungsnetzwerken. Bestehende Geschäftsprozesse müssen hinsichtlich ihre...

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