Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Für die Entstehung der Umsatzsteuer und die zutreffende Anwendung des Steuersatzes kommt es darauf an, wann die Leistung ausgeführt worden ist. Die Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes ist dabei unabhängig davon, ob der Unternehmer seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) oder nach vereinbarten Entgelten (Soll-Besteuerung) besteuert, von Bedeutung ist nur, wann die entsprechende Leistung nach umsatzsteuerrechtlichen Regelungen ausgeführt ist. Auch die Vereinnahmung von Anzahlungen oder Vorauszahlungen ist für die endgültige Entstehung der Umsatzsteuer der Höhe nach ohne Bedeutung, § 27 Abs. 1 UStG.
Zur korrekten Ermittlung der Umsatzsteuer muss damit immer festgestellt werden, wann die Leistung ausgeführt ist. Besondere Probleme ergeben sich bei langfristigen Verträgen, die über den Zeitpunkt des Steuersatzwechsels hinaus ausgeführt werden.
Ausführung der Leistung
Kunde K bestellt am 20.7.2020 ein neues Elektrofahrzeug für 30.000 EUR zzgl. Umsatzsteuer. Als Liefertermin wird Dezember 2020 vereinbart. K leistet schon im Juli 2020 eine Vorauszahlung von (30.000 EUR zzgl. 16 % USt =) 34.800 EUR. Aufgrund von Lieferengpässen bei den Batteriesystemen kann das Fahrzeug erst am 12.1.2021 ausgeliefert werden. Soweit die Absenkung des Regelsteuersatzes nicht über den 31.12.2020 hinaus verlängert werden sollte, ist die Leistung erst im Januar 2021 ausgeführt und unterliegt dann (wieder) dem Regelsteuersatz von 19 %.
Grundsätzlich gilt für die Ausführung einer Leistung Folgendes:
- Lieferungen: Lieferungen (auch Werklieferungen) gelten dann als ausgeführt, wenn der Leistungsempfänger die Verfügungsmacht an dem Gegenstand erworben hat; wird der Gegenstand befördert oder versendet, ist die Lieferung mit Beginn der Beförderung oder Versendung ausgeführt. Bei Werklieferungen ist regelmäßig die Abnahme maßgeblich.
- Sonstige Leistungen: Sonstige Leistungen (auch Werkleistungen) sind im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt. Bei zeitlich begrenzten Dauerleistungen ist die Leistung mit Ende des Leistungsabschnitts ausgeführt, wenn keine Teilleistungen vorliegen.
- Innergemeinschaftliche Erwerbe: Im UStG ist nur die Steuerentstehung für innergemeinschaftliche Erwerbe geregelt. Danach entsteht die Umsatzsteuer für einen innergemeinschaftlichen Erwerb mit Ausstellung der Rechnung, spätestens mit Ablauf des dem Erwerb folgenden Monats. Grundsätzlich ist aber auf die Ausführung des "Umsatzes" abzustellen, was nicht der Steuerentstehung entsprechen muss. In Ermangelung einer abschließenden gesetzlichen Regelung, wann der innergemeinschaftliche Erwerb realisiert wird, wird wohl in der Praxis für die Festlegung des Steuersatzes eine Orientierung an § 13 Abs. 1 Nr. 6 UStG erfolgen.
- Reverse-Charge-Verfahren: In § 13b Abs. 1 und Abs. 2 UStG sind Sachverhalte normiert, bei denen die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergeht. Die dort — abweichend von § 13 UStG — geregelten besonderen Steuerentstehungszeitpunkte sind nicht für die Anwendung des zutreffenden Steuersatzes maßgebend. § 13b UStG definiert keine "Umsätze", sodass dem § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG folgend für die Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes auf die Ausführung des Umsatzes — Lieferung oder sonstige Leistung des leistenden Unternehmers — unabhängig von den besonderen Steuerentstehungszeitpunkten abgestellt werden muss.
- Unentgeltliche Wertabgaben (Eigenverbrauch): Die Umsatzsteuer für unentgeltliche Wertabgaben entsteht wie bei entgeltlichen Lieferungen oder sonstigen Leistungen dann, wenn der Leistungstatbestand verwirklicht wird.
1%-Regelung bei Geschäftswagen/Dienstwagen
Soweit die unentgeltliche Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeugs für private Fahrten des Unternehmers nach der sog. 1 %-Regelung ermittelt wird, ändert sich an der Ausgangsgröße des Bruttolistenneupreises durch die Absenkung des Steuersatzes nichts; lediglich die sich auf der Basis dieser Rechengröße ergebende Umsatzsteuer ist in der Zeit von Juli bis Dezember 2020 geringer. Dies gilt entsprechend auch bei der Berechnung der entgeltlichen Leistung der Überlassung eines Fahrzeugs an das Personal ("Dienstwagen"); der Bruttolistenneupreis bleibt unverändert bei den historisch ermittelten Werten, es kommt lediglich von Juli bis Dezember 2020 der abgesenkte Steuersatz zur Anwendung.
Entstehung der Umsatzsteuer
Grundsätzlich gilt: Die Umsatzsteuer entsteht endgültig erst mit Ausführung einer Leistung oder Teilleistung – Anzahlungen sichern keinen Steuersatz.
Neben der tatsächlich (endgültig) ausgeführten Leistung führt auch eine abgeschlossene Teilleistung zur endgültigen Entstehung einer Umsatzsteuer. Damit eine Teilleistung vorliegen kann, müssen 2 notwendige Bedingungen nach nationalem Recht vorliegen:
- Es muss sich um eine wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbare Leistung handeln und
- es muss eine Vereinbarung über die Ausführung der Leistung als Teilleistungen vorliegen, die Teilleistung muss gesondert abgenommen und abgerechnet werden