Veränderungen wie Nachhaltigkeit mitgestalten

Der Trend zu Nachhaltigkeit verändert Unternehmen grundlegend. Doch ähnlich wie beim Megatrend Digitalisierung sehen Péter Horváth und Claudia Maron die Gefahr, dass sich das Controlling zu lange passiv an die Seitenlinie stellt. Dabei würden die Chancen die Risiken deutlich überwiegen.

Welche Rollen und Aufgaben sollten Controllerinnen und Controller bei der Nachhaltigkeitstransformation übernehmen?

Besteht in der Nachhaltigkeit eine Chance für unseren Berufsstand? Sehen Sie hier Parallelen zum Megatrend Digitalisierung?

Prof. Dr. Péter Horváth: Die Integration der Nachhaltigkeit in das System des Controllings ist in der Tat eine Chance – sogar ein Muss! Jede Organisation hat der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen. Effektivität und Effizienz kann dabei ohne das Controlling nicht erreicht werden. Ähnlich wie beim Megatrend Digitalisierung handelt es sich bei der Nachhaltigkeitstransformation um eine cross-funktionale Herausforderung, die eine Zusammenarbeit über verschiedene Unternehmensbereiche erfordert. Auch hier besteht die Gefahr, dass das Controlling sich zu lange passiv an die Seitenlinie stellt. Es ist höchste Zeit, dass das Controlling sich stärker in eine gestalterische Rolle bringt und eine aktive Leadership-Rolle übernimmt.

Claudia Maron: Die nachhaltige und digitale CFO- und Controlling-Agenda: Beide Themen sind zukunftsweisend. Sie stehen für die Neuausrichtung des Finance-Ressorts und haben damit Ausstrahlungswirkung auf das Controlling. Idealerweise gestalten die Controllerinnen und Controller als Change Agents diese Veränderungsprozesse mit. Dabei stellen sich die gleichen Fragen: Wie ändert sich die Finanzorganisation? Welche Implikationen ergeben sich für die Rolle der Controller? Sind neue Prozesse erforderlich? Welche Methoden und Tools sind zukünftig die geeigneten? Wie wirkt dies auf das Geschäftsmodell?

Welche zusätzlichen Aufgaben ergeben sich hieraus für die Controller?

Horváth: Das Controlling hat grundlegend die Aufgabe, eine übergreifende Steuerungslogik zu definieren, welche finanzielle und nicht-finanzielle Aspekte ganzheitlich berücksichtigt und konsolidiert sowie eine gemeinsame Zielerreichung sicherstellt. Insbesondere bei der Etablierung von Prozessen und Systemen zur erfolgreichen Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie ist das Controlling gefragt. Eine neue Herausforderung sehe ich neben den unternehmensbezogenen Aufgaben in der konsequenten Berücksichtigung und Einbeziehung der unternehmensexternen Sicht. So sind neben Input- und Output-Berechnungen Outcome- und Impact-Betrachtungen erforderlich, um den ganzheitlichen Wertbeitrag für Gesellschaft und Natur entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erfassen. Welche positiven und negativen Auswirkungen (Impacts) auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt resultieren aus der Unternehmenstätigkeit? Und was sind die finanziellen Folgen der Auswirkungen, die Unternehmensaktivitäten auf Gesellschaft und Umwelt haben? Interessant hierzu sind sicherlich die aktuellen Arbeiten der Value Balancing Alliance. Gerade hat übrigens ein ICV-Arbeitskreis ein umfassendes Impact-Measurement-System entwickelt.

Maron: Controllerinnen und Controller sind auf Grund ihrer Nähe zum Management und der Unternehmenssteuerung sehr gut vorbereitet, vor allem die ökonomischen Aspekte der Nachhaltigkeit aufzugreifen. Aber auch die sozialen und ökologischen Aspekte lassen sich ohne großen Mehraufwand oder neue Prozesse integrieren. Ein Planungs- oder Reporting Prozess unterscheidet sich nicht dadurch, dass zusätzlich zu den financials auch non-financials einbezogen werden. Die Instrumente und Abläufe sind gleich und müssen nur um nachhaltige Aspekte erweitert werden. Dennoch kommen auch neue Anforderungen auf die Controller zu, wie z.B. das Impact Measurement (Ursache-/Wirkungsmechanismen miteinander in Beziehung setzen), die doppelte Wesentlichkeit (neben der Unternehmens- auch die Stakeholder-Sicht einbeziehen), externes CSR-Reporting, Sustainable Finance oder grüne Rating-Anforderungen. Auch mit der Umsetzung der EU-Taxonomie – als europäisches Klassifizierungssystem für nachhaltige ökologische Aktivitäten – muss sich das Controlling auseinandersetzen. Der ICV - Fachkreis „Green Controlling for Responsible Business“ arbeitet derzeit an einem Whitepaper zu diesem Thema, das in der zweiten Jahreshälfte 2021 erscheinen wird.

Sehen Sie auch Risiken, die sich für unsere Unternehmen, aber auch für uns Controller aus diesem Thema ergeben können?

Horváth: Nachhaltigkeit und damit verbunden die Integration ins Controlling ist für mich „alternativlos“. Damit sehe ich für Unternehmen vor allem in der Ignoranz des Themas ein Risiko. In der Umsetzung ergeben sich m.E. keine speziellen Risiken, vielmehr zahlreiche Herausforderungen und Chancen sich zu überdenken und zu verändern. So sind die Chancen einer integrierten Steuerung als Basis für erweiterte Rechenschaftspflichten mit dem Ziel einer nachhaltigeren Wirtschaft und inklusiven Gesellschaft sehr groß.

Maron: Für Unternehmen werden die Risiken immer greifbarer. Wer sich nicht mit den Klimarisiken beschäftigt, zahlt dies zukünftig in Form eines CO2 Preises. Heute scheint dieser Preis gesetzt, folgt man der politischen und wissenschaftlichen Diskussion, müsste er doppelt so hoch sein, ist also mehr als risikobehaftet. Im Rahmen des Sorgfaltspflichtengesetzes müssen sich Unternehmen zukünftig mit den Risiken einer Nichteinhaltung von Menschenrechten auseinandersetzen. Liegen die notwendigen Zertifizierungen, z.B. für Umweltmanagement- oder Energiesysteme, nicht vor, besteht das Risiko, Kunden nicht zu gewinnen oder gar zu verlieren. Auch das Thema Sustainable Finance nimmt an Fahrt auf. Nachhaltiges Management, das ggf. durch ein Nachhaltigkeitsrating zertifiziert wird, erhält Zugang zu günstigeren Finanzierungskonditionen. Für das Berufsbild der Controllerinnen und Controller besteht das Risiko, eine der wichtigsten zukünftigen Aufgaben nicht aktiv mitzugestalten. Heute sind es noch die Finanzen, aber das Interesse der Stakeholder verschiebt sich gerade hin zu nachhaltig geführten Unternehmen.

Vor dem Hintergrund des erweiterten Aufgabenspektrums, worin sehen Sie die größte Herausforderung für den Controlling-Bereich?

Horváth: Die größte Herausforderung sehe ich in der grundlegenden Veränderungsbereitschaft über die Unternehmensgrenzen hinauszuschauen sowie in der extrem integrierten, über Bereichsgrenzen hinweg erforderlichen Zusammenarbeit. Darüber hinaus sehe ich die Notwendigkeit eines Prozesses zur nachhaltigkeitsfokussierten Weiterentwicklung aller Instrumente von der operativen Kostenrechnung bis zur Strategieentwicklung.

Maron: Raus aus den Financials, rein in die non-financials, denken in Analytics und der stärkere Strategiebezug sind die wesentlichen Herausforderungen. Z. B. gehören Kunden-, Mitarbeiterzufriedenheit oder der Net-Promoter Score bereits heute zu den strategischen TOP KPIs. Das Internet der Dinge liefert mit Smart data eine unglaubliche Menge an Daten. Diese nicht-finanziellen Informationen mit der Finanzwelt zu verknüpfen, in Datenmodelle gießen und mit KI oder Business Analytics auszuwerten, genau da können Controller ansetzen, um Nutzen in der Wertschöpfungskette zu generieren. Wie schlank wäre ein Strategie- und Planungsprozess, wenn beziffert werden könnte, dass die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit um einen Prozentpunkt xxx Euro kostet? Und gleichzeitig die fünf wirksamsten Maßnahmen auf Basis von KI vorgeschlagen werden? Dazu sind Controller als Change Agents und Partner des Managements gefordert.

Das Interview ist ein Vorabauszug aus dem Buch „ Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung: Grundlagen – Instrumente – Praxisbeispiele“, das im September 2021 bei Haufe erscheint.

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeitscontrolling