Interview: Arbeitsschutz bei Großveranstaltungen

Die Katastrophe der Loveparade zeigte: Der Schutz von Besuchern und Mitarbeitern bei Großveranstaltungen ist eine besondere Herausforderung. In unserem Interview beschreibt Olaf Jastrob, Geschäftsführer des Sachverständigenbüros Jastrob & Jastrob, was bei solchen Events zu tun ist.

Haufe Online-Redaktion: Herr Jastrob, Sie sind Sicherheitsexperte für alle Arten von Veranstaltungen. Wann spricht man von einer Großveranstaltung?

Jastrob: Von einer Großveranstaltung spricht man, wenn mehr als 5.000 Besucher zu einer Veranstaltung erwartet werden. Dies kann jedoch auch in Abhängigkeit vom Gefahrenpotenzial bei weniger Besuchern gegeben sein. Grundsätzlich muss man die Sicherheit der Besucher bei jeder Veranstaltung gewährleisten. Schlimm wäre es, wenn man das bei kleineren Veranstaltungen vernachlässigen würde.

Für eine Großveranstaltung hat der Gesetzgeber aber Besonderheiten erkannt und diesen besonderen Gefahren auch besondere Schutzmaßnahmen gegenübergestellt.

Ein Beispiel hierfür sind der einzurichtende Ordnungsdienst, Brandschutz und Rettungsdienst. Näheres wird definiert in den Bau- und Betriebsvorschriften für Versammlungsstätten (siehe auch MVStättVO, bzw. Vorgaben der Länder). Nach der Loveparade hat das Ministerium des Innern und für Kommunales in NRW am 10.08.2010 einen Erlass hierzu mit einer konkreten Vorgehensweise vorgegeben.

Haufe Online-Redaktion: Welche Arten von Veranstaltungen gibt es?

Jastrob: Die Veranstaltungslandschaft entwickelt sich rasant. Immer höher, schneller und weiter. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Nervenkitzel und Spannung gehören immer öfter dazu. Hierbei denke ich aus sicherheitsrelevanter Sicht hauptsächlich an offenes Feuer, Feuerwerk, oder besondere Showeffekte, die z. B. über oder im Publikum stattfinden o.ä. Wichtig sind jedoch auch die Art der Zielgruppe, Art und Ablauf einer Veranstaltung, Standortbedingungen, etc. Veranstaltungsarten gibt es viele, z. B.:

Privat: Hochzeit, Geburtstage, Beerdigungen, Jubiläen

Vereine: Karneval, Fasching, Maifest, Halloween, Schützenfest/-Gala, Sport- und Sommerfeste

Unternehmen: Tag der offenen Tür, Jubiläen, Pressekonferenz, Hausmessen, Sommerfeste, Weihnachtsfeiern

Kommunen: Veranstaltungen aller Art in Bürgerhäusern, Rathäusern, Schulaulen und Turnhallen, Ausstellungen, Theater

Aber auch Veranstaltungen in Stadien und Mehrzweckhallen wie Fußballspiele und alle anderen Sportereignisse, Konzert- und Großveranstaltungen aller Art oder öffentliche Veranstaltungen wie Straßenfeste, Feste und Konzerte auf öffentlichen Plätzen sind hier gemeint.

Das ist keine abschließende Liste und wäre bestimmt noch um viele Varianten erweiterbar.

Haufe Online-Redaktion: Was sind die besonderen Herausforderungen an die Sicherheit bei Großveranstaltungen?

Jastrob: Wenn Sie davon ausgehen, dass am Anfang nur die Idee steht, gibt es vieles zu bedenken. Wo soll und kann eine solche Veranstaltung stattfinden? Oder, wenn der Veranstaltungsort feststeht, wie groß darf meine Veranstaltung werden. Es entsteht das „Sicherheitskonzept“. Dieses Konzept ist gesetzlich vorgeschrieben und Veranstalter und Betreiber tun gut daran, dieses sorgfältig auszuarbeiten,

1.    um eine sichere Veranstaltung zu gewährleisten und

2.    um sicherzustellen, dass im Schadensfall die Sorgfaltspflicht nachgewiesen werden kann.

Haufe Online-Redaktion: Bei einer Großveranstaltung kommen viele Menschen auf engem Raum zusammen. Die Planung und Durchführung von Events ist eine komplexe Angelegenheit. Wie muss man sich das Sicherheitsmanagement von solchen Veranstaltungen vorstellen?

Jastrob: Die Struktur des Sicherheitsmanagements ist umfangreich. Natürlich steht ganz oben der Veranstaltungsleiter (Betreiber und Veranstalter) – hier laufen alle Informationen zusammen – er koordiniert alle Teilbereiche der Sicherheitsstruktur. Ihm zur Seite stehen die technisch Verantwortlichen, die Meister für Veranstaltungstechnik Bühne/Studio, für Beleuchtung und Halle.

Bei Großveranstaltungen muss eine Brandsicherheitswache eingerichtet werden, dies bedeutet, die Feuerwehr muss vor Ort sein. Außerdem müssen ein Sanitäts- und Rettungsdienst eingerichtet werden. Natürlich werden jede Menge Ordner und Helfer benötigt, denen eine überaus wichtige Aufgabe zukommt. Hier ist der direkte Kontakt zum Besucher, hier entstehen die Fragen. Im Unglücksfall muss der Ordner richtig reagieren und wissen, was zu tun ist.

Gesetzliche Grundlagen sind hier die bereits erwähnten Vorgaben aus der MVStättVO, dem Erlass der Bezirksregierung (zumindest in NRW), aber auch aus den Unfallverhütungsvorschriften (BGV A1 und BGV C1, sowie weitere), dem BGB u. a. Umfangreiche Kenntnisse sind erforderlich, um die Sicherheit weitgehend zu gewährleisten und um rechtskonform zu handeln.

Haufe Online-Redaktion: Und wie sieht das ganze dann in der Realität aus? Abhaken der To-Do-Liste oder doch eher ein längerer Vorlauf mit Begehungen und Abstimmungen der beteiligen Akteure?

Jastrob: Ganz genau, all das gehört dazu. Der Veranstaltungsleiter und der Verantwortliche für Veranstaltungstechnik müssen ständig alles prüfen. Es ist für jeden klar, dass nicht immer alles nach Plan verläuft, kleinere Veränderungen oder auch große, die sich während der Planung oder des Aufbaus der Veranstaltung ergeben, müssen ins Sicherheitskonzept aufgenommen werden. Ständig stehen Entscheidungen an: Geht das so? Kann ich das noch anders oder besser machen?

Man muss hier das Wissen und – glauben Sie mir – auch das Durchsetzungsvermögen haben,  um zu entscheiden, was gemacht wird. Sie treffen hier immer wieder auf „Experten in ihren Teilbereichen“, die „das immer schon so gemacht haben“.

Und natürlich werden Begehungen gemacht. Das ganze wird mit der Feuerwehr, dem Rettungsdienst und den Behörden ab- und durchgesprochen.

Haufe Online-Redaktion: Theorie und Praxis sind nicht immer kongruent und emotionale Events entwickeln eine Eigendynamik, die nicht immer vorhersehbar ist. Wie gehen Sie damit um?

Jastrob: Klar ist für mich, die Veranstaltung soll erfolgreich und sicher sein. Mit der nötigen Erfahrung  und einer großen Portion Durchsetzungsvermögen kommt man sehr weit. Natürlich muss man motivieren und unter Umständen auch bremsen. Ich persönlich halte es so: Ich erwarte viel von allen Beteiligten, habe aber auch kein Problem mit anzupacken und eine Gefahrenquelle schnell und ohne erhobenen Zeigefinger selbst zu beseitigen.

Haufe Online-Redaktion: Gibt es Unterschiede zwischen Arbeiten im Vorfeld ohne Öffentlichkeit und während der Veranstaltung?

Jastrob: Die Arbeiten im Vorfeld der Veranstaltung sollen dafür sorgen, dass während der Veranstaltung alles reibungslos läuft. Der Besucher einer Veranstaltung soll möglichst nichts bemerken von den Vorkehrungen, die zu seinem Schutz getroffen wurden. Der Besucher will sich nicht mit Notausgängen oder Feuerlöschern beschäftigen. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen im Hintergrund - die Ordner - für die Besucher da sind. Sie müssen den Weg weisen, Fragen beantworten, darauf achten, dass abgesperrte Bereiche nicht betreten werden. Sie müssen Sicherheit und Kompetenz haben und sie auch vermitteln. Sie müssen präventiv denken und im Unglücksfall richtig handeln.

Haufe Online-Redaktion: Welche Veranstaltung war für Sie bisher die größte Herausforderung?

Jastrob: In fast allen Fällen verpflichten wir uns zur Verschwiegenheit. Sie können sich vorstellen, was passieren würde, wenn wir öffentlich Sicherheitsmängel in Mehrzweckhallen, Stadien, Chemieunternehmen oder anderen Industrieunternehmen herausposaunen würden. Hooligans, gewaltbereite Besucher, evtl. sogar Terroristen, etc. würden sich sehr dafür interessieren. Ich kann Ihnen daher keine Namen, nur grundsätzliche Beispiele nennen:

Stadtfeste von Einzehandelsgemeinschaften sind so ein Fall. Oft gut gemeint, jedoch meist ohne Sicherheitskonzept. Da können gut und gerne einmal 20.000 – 40.000 Gäste an einem Wochenende in einer Innenstadt zu Besuch kommen.

Veranstaltungen in Industrieunternehmen zum Beispiel zu einem Tag der offenen Tür, die Zahlen können dort variieren. Je nach Größe des Unternehmens können das durchaus zwischen 5.000 und 1 Mio. Besucher an einem Tag sein. Häufig machen wir hier die Erfahrung, dass Veranstalter und Agenturen mit dem speziellen Thema Sicherheit überfordert sind.

Es gäbe noch viele andere große und kleine Beispiele.

Haufe Online-Redaktion: Wie haben sich die Anforderungen an die Sicherheit und die Durchführung von Konzerten und anderen Veranstaltungen seit der Duisburger Loveparade verändert?

Jastrob: Die Anforderungen haben sich kaum verändert, denn diese waren bereits im Vorfeld gegeben. Eine Veranstaltung muss sicher sein. Wir alle wissen, die Loveparade war nicht sicher und das war von Anfang an klar. Die Vorgaben des Erlasses der Bezirksregierung in NRW sind bereits Bestandteil der MVStättVO bzw. SBauVO NRW. Sie wurden nur nicht stringent umgesetzt und eine Kontrolle hat nicht wirklich stattgefunden. Detail-Informationen zur Loverparade kann ich jedoch nicht geben. Die Prozesse in der Eislaufhalle in Bad Reichenhall haben Jahre gedauert. Ich denke, dass es hier ähnlich sein wird. Sicher ist jedoch, dass es einen Ruck in der Event- und Veranstaltungsbranche gegeben hat. So viele Experten zu diesem Thema wie jetzt hat es noch nie gegeben.

Haufe Online-Redaktion: So manchen Veranstalter von Kultur- und Straßenfesten schrecken die Neufassung der Versammlungsstättenverordnung der Länder ab. Einige Kollegen haben bereits etablierte Events aus Furcht vor Haftungsschäden abgesagt, zum Bedauern enttäuschter Stammbesucher. Was raten Sie hier als Experte?

Jastrob: Vielleicht sollten einige Veranstaltungen wirklich so nicht mehr stattfinden. Dann ist es gut, dass die Verantwortlichen diesen Schritt gegangen sind. Der überwiegende Teil der Veranstaltungen kann und sollte aber auch stattfinden. Der Mensch ist ein geselliges Wesen. Ich als Rheinländer gehöre auch dazu. Wenn wir eine Veranstaltung besuchen, wollen wir heil wieder nach Hause gehen. Wenn wir unsere Kinder bei einem Konzert wissen, müssen wir uns sicher sein können, sie gesund wieder in die Arme zu schließen. Eine Veranstaltung darf einfach nicht stattfinden unter der Überschrift „Es wird schon gut gehen“.

Ich stehe mit meinem Unternehmen für diese Qualität ein und sehe darin mehr als nur einen Auftrag. Eine Veranstaltung so zu begleiten ist immer mit viel Leidenschaft verbunden.

Haufe Online-Redaktion: Wie wird man Unternehmensberater, Sachverständiger und Trainer für Schützenfeste, Konzerte und andere Veranstaltungen?

Jastrob: Das ist eine gewachsene Struktur. Zu Beginn meines Arbeitsdaseins habe ich selber Bühnen gebaut und die Bandbreite der technischen Facetten einer Veranstaltung kennengelernt. Ich habe eine eigene Eventfirma gegründet und mich damit mit dem ganzen Paket der Sicherheit und des Veranstaltungsablaufes beschäftigt. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Qualifikationen hinzu, so z. B. Laserschutz, Sicherheits-Techniker in Versammlungsstätten, Baustellen-Koordinator, Sicherheits-Inspektor, Sicherheitsbeauftrager, Hundefüher-Ausbilder.

Heute trainiere ich Evakuierungshelfer, Brandschutzhelfer, Sanitäter und bin im Notfall- und Krisenmanagement für Unternehmen tätig.

Die Qualifikationen und Fortbildungen in diesem Segment sind umfangreich und daher macht nur eine Spezialisierung Sinn, wenn man es wirklich gut machen möchte.


Olaf Jastrob ist Geschäftsführer des Sachverständigenbüros Jastrob & Jastrob, Unternehmensberater für den Betrieb von Veranstaltungsstätten und Sicherheitsberater für Groß-Veranstaltungen.


Das Interview wurde geführt von Jochen Kubeja, freier Journalist und Autor

Schlagworte zum Thema:  Gefährdungsbeurteilung, Veranstaltung