Kritiker merken gelegentlich auch an, die Vision Zero sei unrealistisch. Die Vision Zero gibt aber nur das Ziel und die Strategie vor. Sie ist weniger eine quantitative als vielmehr eine qualitative Vorgabe. Und bekanntlich gilt ja: Wer das Bestmögliche erreichen will, muss das unmöglich Scheinende fordern. Quantitative Ziele können erst als Folge der Strategie formuliert werden.

Die Vision Zero will von ihrer international üblichen Definition her ausdrücklich noch nicht alle Unfälle vermeiden. Ihr Ziel ist, um nochmals "Vägverket", das Schwedische Zentralamt für Straßenwesen zu zitieren, "das Bild einer Zukunft, in der niemand im Straßenverkehr getötet oder so schwer verletzt wird, dass er lebenslange Schäden davonträgt."

Kritikern der Vision Zero muss man aber vor allem die erfolgreiche Umsetzung bei manchen Verkehrsträgern und in etlichen Betrieben und öffentlichen Einrichtungen vorhalten. In der Luftfahrt und im Bahnverkehr ist die Vision Zero seit Langem der Goldstandard und wurde dort in Deutschland auch schon weitestgehend erreicht. An dieser Stelle zeigt sich aber der durch Gewohnheit entstandene unterschiedliche Denkansatz: Wer würde in Deutschland ein Flugzeug besteigen, wenn wir z. B. 3.000 Tote jährlich durch Flugzeugunfälle hätten? Wer würde sich einer Fluggesellschaft anvertrauen, die als Ziel bei den jährlich Getöteten eine Zahl × nennen würde – selbst wenn es eine niedrig dreistellige Zahl wäre? Dasselbe gilt beim Besteigen eines Zuges: Es ist für uns eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, dass der schienengebundene Verkehr in Deutschland weder zu Toten noch zu Schwerverletzten führt. In den seltenen Fällen schwerer Zugunglücke entsteht dementsprechend eine enorme mediale Resonanz und es folgen intensive Untersuchungen mit dem Ziel, dass es nie mehr zu einem derartigen Unfall kommen kann. Wenn wir hingegen einen Pkw oder einen Bus besteigen, verschwenden wir keinen Gedanken daran, dass wir uns einem Verkehrssystem anvertrauen, das auch derzeit noch 3.600 Tote und 60.000 Schwerverletzte pro Jahr erzeugt. Wir haben uns einfach daran gewöhnt.

Kritikern der Vision Zero muss man aber auch eine Frage stellen: Wie viele Tote durch Arbeits- oder Straßenverkehrsunfälle soll die Gesellschaft akzeptieren? Die Antwort dürfte eindeutig sein.

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