"Die Ritalin-Tage hingegen sind intellektuelle Feuerwerke, fast Orgien der Schaffenskraft. Ich fange an, die Ritalin-Tage zu mögen. (…) Ich mag das Euphoriegefühl, das Ritalin mir verschafft, und die Leistung, zu der ich dadurch imstande bin. Wer sagt, Ritalin helfe nicht, lügt. (…) Aus mir hat es den Studenten gemacht, der ich sein sollte: hellwach, fokussiert und diszipliniert. Und einen Menschen, der ich nicht sein will: zwanghaft und unentschlossen. Ich hatte keinen Hunger mehr und keinen Durst. (…) Wenn die Wirkung nachließ, wurde ich unkonzentrierter als vorher, und statt mich zusammenzureißen, überlegte ich, wo ich wieder Ritalin herbekommen konnte."[1]

Fit, aufmerksam, hochkonzentriert und leistungsfähig zu sein, mit wenig Schlaf auskommen, sowie bester Stimmung und emotional ausgeglichen zu sein – wer wünscht sich das nicht? Gelingt das nicht von selbst, dann muss man halt ein wenig nachhelfen. Genau das tun in den letzten Jahren immer mehr Menschen, sodass dieser Trend zur selbst verordneten Leistungs- und Stimmungssteigerung inzwischen einen Namen bekommen hat: Neuroenhancement (Enhancement = Steigerung, Verbesserung).

Neuroenhancement oder einprägsamer Hirndoping beschreibt das Phänomen, dass gesunde Menschen Medikamente missbrauchen, um den Anforderungen in ihrem (Arbeits-)Leben Stand halten zu können oder um noch leistungsfähiger zu werden.

Oft handelt es sich bei diesen Medikamenten um verschreibungspflichtige Arzneimittelpräparate zur Behandlung psychischer Erkrankungen, die von Gesunden ohne medizinische Indikation eingenommen werden. Besonders beliebt sind dabei Psychostimulanzien mit den Arzneimittelstoffen Methylphenidat (Handelsname Ritalin) und Modafinil; aber auch Antidepressiva, Antidementiva und Betablocker werden unkritisch konsumiert. Illegale Drogen, wie Crystal Meth, Speed, Glass und Ecstasy, erfüllen den gleichen Zweck, da sie aus den gleichen oder ähnlichen Wirkstoffen (Amphetamin oder Amphetamin-Derivaten) bestehen. Die bekannten Alltagsdopingmittel, wie Koffein, Nikotin oder Alkohol bzw. Energydrinks, Power-Riegel oder Vitaminpräparate, genügen vielen schon lange nicht mehr.

Hirndoping

Erreicht werden soll mit den Wirkstoffen eine höhere Belastbarkeit in beruflichen und privaten Stresssituationen. Dazu gehören eine Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit, der Konzentrations- und Merkfähigkeit und der Kreativität. Man erhofft sich eine Stabilisierung oder Verbesserung der emotionalen Stimmung, den Abbau sozialer Ängste und eine Steigerung des Selbstvertrauens.

Problematisch dabei ist, dass Medikamente, die Wirkung bei vor allem psychisch Erkrankten zeigen, bei Gesunden zwar kurzfristig durchaus die erzielten Effekte auslösen, mittel- und langfristig aber kontraproduktiv sind: Sie haben leichte bis schwere Nebenwirkungen (von Kopfschmerzen bis hin zu psychotischen Zuständen), machen abhängig und bewirken manchmal sogar das Gegenteil.

Verbreitung

Auch wenn "Doping im Job in Deutschland kein Massenphänomen ist", so Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), so verbreitet sich Hirndoping (in Deutschland) immer mehr. Der DAK-Gesundheitsreport hat das Doping am Arbeitsplatz sogar zum Schwerpunktthema seiner Ausgabe 2015 gemacht. 6,7 % der befragten Personen in der DAK-Studie gaben an, wenigstens einmal im Leben ein verschreibungspflichtiges Medikament als Dopingmittel für ihre Arbeit benutzt zu haben (2008 waren es 4,7 %) – inklusive der Dunkelziffer beträgt der Anteil etwa 12 %. Die Zahl derjenigen, die regelmäßig dopen (zweimal im Monat und öfter) liegt bei 2 bis (inklusive Dunkelziffer) 3,5 %.[2]

2019 hat die DAK ein Update "Doping am Arbeitsplatz" zur 2015 durchgeführten Befragung durchgeführt. Aus der Auswertung der Daten geht hervor, dass die Doping-Zahlen sich auf dem gleichen Niveau wie 2014 bewegen: rund zwei Prozent der Erwerbstätigen konsumieren leistungssteigernde und stimmungsaufhellende Medikamente. Hochgerechnet auf die erwerbstätige Bevölkerung sind das rund 700.000 Beschäftigte.

Wer dopt?

Medikamenten-Doper sind keinesfalls nur hochqualifizierte Angestellte und Selbstständige, sondern eher Arbeiter und Angestellte mit einfachen Tätigkeiten und unsicheren Arbeitsplätzen. Vor allem ältere Arbeitnehmer betreiben Neuroenhancement: von den 60- bis 65-Jährigen haben 4,4 % mindestens einmal gedopt – ein Drittel mehr als der Durchschnitt. Insgesamt, so das Ergebnis einer Update-Studie der DAK aus dem Jahre 2019, steigt die Dopingquote mit dem Alter an.[3]

Interessant sind geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer wollen mit Medikamenten ihre Leistung steigern und als Mittel gegen Leistungsdruck, Stress und Überlastung. Frauen dopen eher aus emotionalen Gründen. Vor allem Frauen zwischen 40 und 50 nehmen Mittel gegen Depressionen, um die Stimmung zu verbessern und Ängste und Nervosität abzubauen.

Risikogruppen

Belastende Arbeitsbedingungen, unregelmäßige Arbeitsabläufe, fordernde Arbeitstätigkeiten, gekoppelt mit permanentem Z...

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