Long-/Post-COVID wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine langfristige Belastung für die Gesellschaft sowie das Gesundheits- und Sozialversicherungssystems darstellen. Vor der COVID-19-Pandemie wurde in Deutschland mit ca. 250.000 ME/CFS (chronisches Fatigue-Syndrom) Betroffenen gerechnet, davon etwa 40.000 Kinder und Jugendliche. Diese Zahl wird durch die SARS-CoV-2-Pandemie deutlich steigen. Nachdem erste Empfehlungen zur Versorgung durch die S1-Leitlinie der AWMF erarbeitet wurden, bieten inzwischen einige Kliniken interdisziplinäre Long-/Post-COVID-Ambulanzen oder Rehabilitationsprogramme an.[1] Angesichts der weiter steigenden Zahlen an Patienten scheint das derzeitige Versorgungsangebot allerdings bei Weitem nicht ausreichend.

Auch für die Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) stellt die COVID-19-Pandemie eine erhebliche Herausforderung dar. Eine Erkrankung an COVID-19 kann bei Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege unter bestimmten Voraussetzungen als Verdacht auf eine Berufskrankheit angezeigt werden. Seit Beginn der Pandemie haben Berufsgenossenschaften und Unfallkassen über 350.000 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit (BK) zu COVID-19 erhalten. Alleine in der 1. Jahreshälfte 2022 belief sich die Zahl der BK-Anzeigen auf 175.430. Das sind mehr als im kompletten Jahr 2021. Zum Vergleich waren es vor der Pandemie im Schnitt zwischen 75.000 und 80.000 im Jahr. Besonders betroffen sind die Branchen Kinderbetreuung, Pflege und Kliniken. In 195.739 Fällen hat die gesetzliche Unfallversicherung COVID-19 bereits als Berufskrankheit anerkannt. Hinzu kommen noch 20.452 Erkrankungen an COVID-19, bei denen die Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wurde, und 12.496 Fälle der Schulunfallversicherung. Seit 2020 verzeichnete die Unfallversicherung somit über 220.000 anerkannte Versicherungsfälle in Zusammenhang mit Corona.[2]

Unter bestimmten Umständen kann bei einer COVID-19-Infektion ein Arbeitsunfall vorliegen. Ott, Hiller, Schmitz-Spanke, Drexler und Becker (2023) haben dazu in der ASU Zeitschrift für medizinische Prävention in den Heften 07.2022 und 03.2023 eine Begutachtungsempfehlung sowie eine Stellungnahme aus juristischer und medizinischer Sicht zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls veröffentlicht.

In der Begutachtungsempfehlung wird ausgeführt: "Für einen Arbeitsunfall müssen ein intensiver Kontakt mit einer infizierten Indexperson und eine Erkrankung innerhalb von 2 Wochen nachweisbar sein. Alternativ können Ausbruchsgeschehen am Arbeitsplatz unter bestimmten Voraussetzungen oder die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften zur Anerkennung führen". Dabei ist aus rechtlicher Sicht von der Legaldefinition des (Arbeits-)Unfalls in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder dem Tod führt, auszugehen.

Denn auch für COVID-19-Infektionen gelten die allgemeinen gesetzlichen Regeln und die zu ihrer Auslegung ergangene Rechtsprechung, insbesondere des Bundessozialgerichts (BSG), ist zu beachten.[3] Dabei gilt die Definition eines zeitlich begrenzten Ereignisses (i. d. R. "eine Schicht") als Abgrenzung zur zuvor dargestellten Berufskrankheit, für die i. d. R. längerfristige Einwirkungen erforderlich sind. Ein eingetretener Gesundheits(erst)schaden, ohne den kein Arbeitsunfall i. S. d. gesetzlichen Unfallversicherung vorliegt, ist Voraussetzung für bestimmte Leistungen, wie insbesondere eine Verletztenrente.[4]

Rechtliche Schwierigkeiten können bei Fällen von symptomlos verlaufenen COVID-19-Infektionen und später auftretenden Post-COVID-Beschwerden, in denen keine Berufskrankheit vorliegt, auftreten. Denn der bloße Nachweis z. B. mittels PCR-Test bei symptomfreiem Verlauf reicht mangels Gesundheits(erst)schaden nicht aus, um als Arbeitsunfall anerkannt zu werden. Ein Problem liegt in der Begrifflichkeit des Unfalls, der eine gewisse zeitliche Nähe zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden voraussetzt, deren eindeutige Bestimmung in der Rechtsprechung und juristischen Literatur nicht zu finden ist. Solche Problematiken sind schon im Zusammenhang mit psychischen Traumen thematisiert.[5] Bei Fällen, in denen nach einer zunächst symptomlos verlaufenden COVID-19-Infektion mit zeitlicher Verzögerung von mehreren Wochen Post-COVID-Beschwerden auftreten, die durch die angeführte Infektion verursacht wurden, steht diese zeitliche Verzögerung des Auftretens des Gesundheitsschadens einer Bejahung des Ursachenzusammenhangs rechtlich nicht entgegen. Hier kann als Faustformel eine 2-Wochen-Regel (aufgrund der Inkubationszeit bei COVID-19) zur Erleichterung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch eine COVID-19-Infektion dienen.[6]

Zusammenfassend kann gesagt werden: "Für einen Arbeitsunfall müssen ein intensiver Kontakt mit einer infizierten Indexperson und eine Erkrankung mit gewisser zeitlicher Nähe nachweisbar sein, wobei ein Post-COVID-Syndrom auch bei Betroffenen ohne Akutsymptomatik auftreten kann. Eine E...

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