Interview: Gamification Nachhaltigkeit

Was man nicht so gern tut oder was einer Verhaltensänderung bedarf, das soll mit Gamification-Lösungen mehr Spaß machen. Dafür braucht es eine gute Player Journey, meint Philipp Reinartz, Gründer und Geschäftsführer der Agentur Pfeffermind, die Unternehmen Spiele auf den Leib schneidert. Zum Beispiel, wenn es um Klimaschutz geht.

Viele Menschen finden ökologische Nachhaltigkeit wichtig. Sollen sie dafür aber das eigene Verhalten ändern, empfinden sie die nötigen Schritte schnell als nervig. Wie kann Gamification da helfen?

Philipp Reinartz: Die Frage ist zunächst, was man mit einer Gamification-Lösung erreichen möchte. Manchen Unternehmen und Organisationen geht es vor allem darum, Menschen für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren und ihnen klarzumachen, wo sie etwas beitragen können – zum Beispiel in Sachen Mülltrennung oder -vermeidung. Wenn die Leute schon sensibilisiert sind, ist es wichtiger, ihnen Handlungsempfehlungen zu geben und ihnen zu helfen, sich nachhaltiger zu verhalten. Wir hatten schon Projekte, die auf Mitarbeitende zugeschnitten waren, aber auch auf Kund:innen von Unternehmen.

In welchen Szenarien kann Gamification also zum Einsatz kommen?

Wir haben beispielweise für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Nachhaltigkeitsapp entwickelt. Die Zielgruppe waren hierbei jüngere, digitalaffine Menschen zwischen 18 und 40 Jahren, die schon für Nachhaltigkeit sensibilisiert waren. Die App enthielt Vorschläge für konkrete Dinge, die man im Alltag umsetzen kann, von Plastik vermeiden bis hin zu einer nachhaltigeren Ernährung. Gerade setzen wir ein Projekt mit BMW um, das darauf abzielt, Menschen zu nachhaltigerem Autofahren zu bringen.

Und wie kann das mehr Spaß machen?

Das ist die große Kunst von Gamification, die nicht alle beherrschen. Manche Spiele sind inhaltlich zwar spannend, haben aber wenig wirklich spielerische Elemente. Reine Spieleapps auf der anderen Seite machen zwar mehr Spaß, haben aber nicht die inhaltliche Tiefe. Es kommt darauf an, das zusammenzubringen, damit die Nutzerinnen und Nutzer langfristig dabeibleiben.

Mit welchen Tricks oder Mechaniken gelingt das?

Man braucht immer einen Baukasten von Spielmechaniken, denn nicht alle Menschen ticken gleich. Deshalb denken wir in Spielertypen. Wer ein Spiel an den Massenmarkt bringt, kann sich für einen Spielertyp entscheiden und die sollen dann eben das Spiel kaufen. Für Unternehmen ist die Sache nicht so einfach: Sie haben verschiedene Mitarbeitende oder Kunden, die sie ansprechen. Da möchte man mit einer Gamification-Lösung verschiedene Spielertypen abholen. Und fast noch wichtiger: Es braucht auch eine gute Player Journey, die User gut durch das Spiel führt.

Serious Games für unterschiedliche Spielertypen

Schauen wir zunächst auf verschiedenen Spielertypen. Welche gibt es da?

Ein häufiges Modell ist von Richard Allan Bartle, einem britischen Autor und Professor für Computerspieldesign an der University of Essex. Er unterscheidet vier Spielertypen: Killer, Achiever, Socializer und Explorer. Andere Modelle kennen acht motivationale Treiber. Mit den 16 Lebensmotiven nach Steven Reiss haben wir auch schon gearbeitet. Entscheidend ist: Wenn man die verschiedenen Spielermodelle übereinanderlegt, dann sieht man meistens, dass es schon sehr deckungsgleich ist. Vier bis acht Spielertypen genügen in der Regel. Meistens gibt es Leute, die spielen gerne mit anderen zusammen, und solche, die den Wettbewerb suchen und Fortschritt sehen wollen.

Wie finden Unternehmen heraus, welche Spielertypen in ihrer Zielgruppe dominieren?

Wir arbeiten mit Personas. In Workshops mit Unternehmen kristallisieren sich dabei meistens zwei oder drei Personas heraus. Diese decken eine möglichst große Bandbreite ab. Die eine ist weiblich, Mitte 20, digitalaffin. Die andere männlich, um die 50 und wenig technisch interessiert. Das matchen wir dann mit den Spielertypen. Dabei folgen wir im Unternehmenskontext meist der These, dass alle Spielertypen vertreten sind.

Wenn es um Nachhaltigkeit geht: Welche Rolle spielt da die Haltung von Mitarbeitenden oder Kund:innen?

Das ist auch relevant. Als wir die Nachhaltigkeitsapp für das Ministerium gemacht haben, war schon klar, dass es um Menschen geht, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen wollen, aber nicht so richtig wissen wie. Bei BMW-Fahrern sieht das ganz anders aus. Da müssen wir erst einmal überlegen, wie wir denen erklären können, was nachhaltiges Fahren heißt und warum das sinnvoll ist. Je nachdem sollte die Lösung dann komplett anders sein, auch in Bezug auf die Player Journey.

Wie sieht so eine Player Journey konkret aus?

Man kann sich das so ähnlich vorstellen wie im Storytelling die Heldenreise. Wir nutzen die Stationen Mission, Aktion, Challenge, Hilfsmittel und Feedback. Nehmen wir an, am Anfang steht ein dystopisches Zukunftsbild. Wenn die Spieler nichts ändern, wird die Zukunft so aussehen: Verschmutzte Straßen, alles düster, lauter Autos und Abgas. Doch die Menschen können die Zukunft schöner machen, indem sie gewisse Challenges annehmen – zum Beispiel mal vier Wochen auf Plastiktüten verzichten. Sobald man das erledigt hat, kann man aufs nächste Level kommen, mit einer noch größeren Herausforderung. Diese Challenges dürfen nicht zu leicht und nicht zu schwer sein und sollten dem jeweiligen Entwicklungslevel entsprechen. Hilfsmittel sind zum Beispiel Joker, mit denen man eine Herausforderung überspringen kann, weil sie partout nichts für einen ist.

Und inwiefern erhält man dazu Feedback?

Es könnte zum Beispiel sein, dass sich das Zukunftsbild erhellt. Je mehr Challenges man erledigt, desto schöner und freundlicher wird die Zukunft. Oder umgekehrt, wenn man nichts tut, bleibt die Aussicht so düster wie zu Beginn oder wird noch schlimmer.

Nachhaltigkeits-Spiele: Zwischen Vereinfachung und Komplexität

Wenn in einem Unternehmen einzelne Mitarbeitende etwas tun, hat dies kaum einen Effekt. Das kennt man insgesamt als Phänomen beim Klimaschutz: Dass Menschen denken, ich allein kann doch eh nichts bewirken. Wie kann man diese Hürde überwinden?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann die Aktion der Einzelnen beispielsweise so hochrechnen als würden das alle tun – und das Zukunftsbild entsprechend verändern. Wenn es um reale Settings geht, hilft es auch, im Team zu spielen, um so den Effekt zu vergrößern.

Viele Klimaapps für Unternehmen rechnen verschiedene Aktionen in CO2 um. Ist das sinnvoll?

Häufig schon. Wir hatten das zum Beispiel mal bei einem Spiel für das Goethe-Institut. Da bekam man dann die Essgewohnheiten und den Fleischkonsum in CO2 angezeigt. Man muss bei Spielen vieles vereinfachen. Wenig Text, wenig Zahlen, alles eher visuell – das hilft, damit Menschen schnell erfassen, worum es geht. Im Spiel geht es meist um die Kernaussagen, die hängenbleiben sollen.

Besteht da nicht die Gefahr, dass man über so ein Spiel komplexe Dinge banalisiert?

Das sehe ich nicht so. Man kann sich das eher vorstellen wie ein Akkordeon auf Webseiten. Diese kann man aufklappen und dann gibt es immer noch eine Ebene darunter, wo man mehr erfahren kann und Detail-Informationen findet. Aber natürlich ist es nicht so leicht, Dinge so zu vereinfachen, dass sie trotzdem noch richtig sind. Diese Aufgabe kenne ich auch als Autor sehr gut: Wenn ich einen Text in fünf Sätzen oder einer Seite schreiben muss, dann kriege ich das hin. Aber es könnte auch eine Serie fürs Fernsehen oder ein Roman daraus werden. Die Botschaft sollte die gleiche sein, aber in unterschiedlicher Tiefe.

Sustainability-App von der Stange oder maßgeschneidert?

Es gibt inzwischen zahlreiche Apps auf dem Markt, die Unternehmen bei sich einsetzen können, um Mitarbeitende für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren oder sie zu nachhaltigem Verhalten zu animieren (siehe Beitrag Gamification-Apps für Nachhaltigkeit). Wann entscheiden Unternehmen sich hingegen für eine maßgeschneiderte Lösung?

Vor allem größere Unternehmen möchten keine Lösung von der Stange. Sie legen Wert darauf, dass eine App oder ein webbasiertes Spiel zu ihrem Unternehmens- und Branchenkontext passt. Wenn man Mitarbeitende für Klimaschutz sensibilisieren möchte, mag das noch recht generisch sein. Aber alle anderen Anwendungen sind oft stark vom Produktfokus abhängig. Da betreten die Firmen oft Neuland, etwa beim nachhaltigen Fahren.

Gewisse Standards oder Compliance-Anforderungen müssen alle Unternehmen erfüllen. Denken wir an das EU-Lieferkettengesetz oder die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)…

Ja, natürlich. Auch IT-Security ist recht formalisiert. Trotzdem gibt es immer ganz spezifische Anforderungen. Big Player wie BMW oder Porsche möchten sicherstellen, dass ihre hauseigenen Nachhaltigkeitsrichtlinien hinterlegt sind und die Lösung ganz genau darauf einzahlt.

Letztlich ist das auch eine Preisfrage. Was kostet es denn, sich ein eigenes Spiel designen zu lassen?

Das bewegt sich in etwa zwischen 10.000 Euro und einer Million. Die Range ist also sehr groß. An manchen Projekten sitzen wir eine Woche und überlegen uns ein kleines Browsergame, das man in fünf Minuten spielen kann. Aber wir haben auch Projekte, da arbeiten wir zwei Jahre dran – vor allem in internationalen Unternehmen. Apps sind etwas aufwändiger als webbasierte Spiele, da man sie an alle App-Stores anpassen muss. Es hängt also von verschiedenen Faktoren ab.

„Um Nachhaltigkeit zu fördern, müssen wir international denken, in den ganz großen Zusammenhängen“

Hast Du persönlich ein Lieblingsspiel, das sich um Klimaschutz und Nachhaltigkeit dreht?

Ich schaue mir zwar viele Spiele an und kucke immer, was neu auf den Markt kommt. Aber selbst habe ich wenig Zeit zum Spielen. Mir schwebt bei ökologischer Nachhaltigkeit ein Spiel vor, das es noch nicht gibt: Ich würde gerne eines programmieren, das auf dem Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ von Bill Gates basiert. Er hat einen sehr technikbezogenen Ansatz, der auf dem „Ökozuschlag“ basiert, wie er das nennt. Vereinfacht gesagt vertritt er die These, dass wir uns auf die technischen Lösungen fokussieren sollten, die nachhaltige Alternativen ermöglichen, aber am wenigsten Geld für die Umstellung kosten – egal, ob es ums Reisen oder die Art und Weise des Heizens geht. Diesen Ansatz könnte ich mir gut in einer Spielelogik vorstellen. Um wirklich Nachhaltigkeit zu fördern, müssen wir international denken, in den ganz großen Zusammenhängen.


Über Philipp Reinartz

Philipp Reinartz ist Autor, Publizist und Produzent. Mit seiner Gamification-Agentur Pfeffermind beschäftigt er sich mit den Digital-Trends von morgen und entwickelt Serious Games – für Kunden von Bosch bis zum Bundesministerium. Zudem ist er Mitgründer des größten deutschen Anbieters von Room Escape Games. Er schreibt Romane (Rowohlt, Goldmann), publiziert (ZEIT online, SZ Magazin), ist Mit-Autor der Trendstudie „Playful Business“ des Zukunftsinstituts und entwickelt und hostet Podcast- und TV-Formate (Audible, sky).

Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Personalentwicklung, CSR