Dr. Anja Rivera de la Cruz, Schaeffler

„Wir bleiben ein geschätzter Partner des Aufsichtsrats“


Interview mit Dr. Anja Rivera de la Cruz

Die Basis für die nachhaltige Transformation ist gelegt, aber die wirklich komplexen Aufgaben liegen noch vor uns, erklärt Dr. Anja Rivera de la Cruz, Leiterin des Bereichs Strategic Sustainability bei Schaeffler. Über Vorteile des Nachhaltigkeitsreportings, die Herausforderungen im großen Konzern und die Zukunft eines Berufsfelds.

Frau Dr. Rivera de la Cruz, die Omnibusinitiative polarisiert Unternehmer:innen. Während manche eine Deregulierung befürchten, begrüßen andere eine Entbürokratisierung. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Anja Rivera de la Cruz: Der Omnibus wird viel in der Öffentlichkeit und in Medien kontrovers diskutiert. Wir haben uns intensiv damit befasst und stellen fest, dass die EU mit dem Omnibus ihr Ambitionsniveau in Bezug auf Nachhaltigkeit nicht wesentlich verändert hat. Die wesentlichen Veränderungen durch den Omnibus beziehen sich auf das Scoping der Regulatorik, also welche Unternehmen betroffen sind. 

Was ändert sich für Schaeffler?

Für uns als großes börsennotiertes Unternehmen, das schon in der ersten Welle berichtet, ändert sich zunächst nicht viel. Unseren ersten CSRD-konformen Nachhaltigkeitsbericht haben wir bereits veröffentlicht. Die Verschiebung der CSDDD um ein Jahr begrüßen wir, denn wir haben dadurch mehr Zeit zur Vorbereitung. Wobei wir deren Anforderungen auch schon 2027 erfüllen könnten.

Viele KMUs werden aus der Berichtspflicht der CSRD herausfallen. Wie gehen Sie damit um?

Wir machen uns darüber keine großen Sorgen, denn wir haben bisher gut mit KMUs als Lieferanten zusammengearbeitet. Selbst, wenn sie nun aus dem Scope der CSRD herausfallen, können wir einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Die Informationen, die wir brauchen, liegen uns vor. Natürlich wäre es erfreulich, noch mehr Transparenz zu Nachhaltigkeitsthemen und Kennzahlen, vor allem in der Lieferkette, zu haben. Aber uns ist auch bewusst, dass der Schwierigkeitsgrad für KMUs ungleich höher ist, diese zu berichten, da sie nicht die gleichen Hebel haben wie große Unternehmen mit den entsprechenden Kapazitäten.

Datenqualität und Transparenz: Die Vorteile der ESRS

Welche Hürden waren besonders hoch auf dem Weg zum CSRD-Nachhaltigkeitsbericht?

Die Anforderungen der CSRD, beschrieben in den ESRS beziehungsweise in den EFRAG-Umsetzungsstandards, sind sehr komplex und detailliert. Die große Herausforderung war zunächst, die benötigten Daten zu erheben und das ganze Unternehmen auf die neuen Anforderungen einzustellen. Vor der Verschmelzung von Schaeffler mit Vitesco hatten wir zwei freiwillige Nachhaltigkeitsberichte auf hohem Transparenzniveau. Wir mussten daher ohnehin eine neue Berichtsstruktur entwickeln – und haben dies direkt gemäß der ESRS getan. Das war eine komplexe Aufgabe und auch eine große Umgewöhnung. 

Warum?

Es geht nicht nur um Daten und Fakten, sondern auch um Prozesse, die zu verändern sind. Zum Beispiel gibt es in der Risikoberichterstattung neue Anforderungen, die weite Teile des Unternehmens miteinbeziehen. Außerdem galt es verschiedene Stakeholder wie den Aufsichtsrat darüber aufzuklären, wie wir künftig gesetzliche Anforderungen erfüllen und wie der neue Bericht zu lesen ist. Dieser Nachhaltigkeitsbericht ist nämlich völlig anders als die vorangegangenen Ausgaben. Alles in allem hat die Vorbereitung zwei Jahre gedauert.

Was haben Sie mit diesem Nachhaltigkeitsbericht über Ihr Unternehmen gelernt?

Die größere Transparenz verhilft Unternehmen zu einem besseren Verständnis, wie sie zu bestimmten Themen aufgestellt sind und woran sie in Zukunft arbeiten wollen und sollen. Das allein ist ein Vorteil. So sehen das laut einer aktuellen Studie auch andere Unternehmen, die nach CSRD berichtet haben: Die Datenqualität und die Transparenz haben sich nochmals deutlich verbessert.

Corporate Sustainability in unsicheren Zeiten

Ihr Unternehmen hat Standorte auf der ganzen Welt, auch in den USA, wo die politische Entwicklung das nachhaltige Engagement von Unternehmen negativ beeinflusst. Besonders Diversity, Equity und Inclusion steht aktuell auf dem Prüfstand. Wie finden sie das?

Seit mehr als 75 Jahren ist Schaeffler ein werteorientiertes Unternehmen und ich sehe aktuell keinen Grund, warum sich das ändern sollte. Auch als kombiniertes Unternehmen setzt sich Schaeffler ein, für eine Arbeitsumgebung, in der sich alle Mitarbeitenden respektiert und zugehörig fühlen und ihr volles Potenzial entfalten können.  

Halten Sie an Ihrem Engagement fest, unabhängig von politischen Entwicklungen?

An unserem grundsätzlichen Engagement für Nachhaltigkeitsthemen halten wir fest. Unterschiedliche Perspektiven haben für Unternehmen erwiesenermaßen einen hohen Nutzen, denn sie tragen dazu bei, dass die Belegschaft produktiver, kreativer und auch innovativer wird.

Spüren Sie als Nachhaltigkeitsverantwortliche einen ESG-Backlash?

Nachhaltigkeit ist kein Modetrend, sondern essenziell, um die Zukunft kommender Generationen zu sichern. Der Klimawandel verschwindet nicht, nur weil Menschen etwas anderes behaupten – oder weil die Nachhaltigkeit in der Wahrnehmung zeitweise weniger im Fokus steht. Ungeachtet dessen halten wir an unseren Ambitionen in Sachen Nachhaltigkeit fest und nutzen die aktuelle öffentliche „Atempause“ bewusst, um uns in diesem Bereich noch besser aufzustellen. Bei uns im Unternehmen ist kein ESG-Backlash spürbar - ganz im Gegenteil: Wir entwickeln Themen weiter, bauen Expertise auf und bleiben ein geschätzter Partner des Aufsichtsrats. 

Analysen, Prozesse, Ziele: Nachhaltigkeit im großen Konzern

Wie können wir uns die Nachhaltigkeitsarbeit in einem großen Konzern vorstellen?

Viele Menschen denken bei Nachhaltigkeit eher daran, den Planeten zu retten, indem man Bäume pflanzt oder Müll aufsammelt. Diese emotionale Perspektive ist für jeden verständlich und nachvollziehbar. Wenn man Nachhaltigkeit in einem großen Konzern grundsätzlich vorantreibt, bewegt man sich aber automatisch weg von der emotionalen Dimension hin zu einer rationalen Perspektive. Das bedeutet: Daten analysieren, Berechnungen anstellen, Voraussagen treffen, Ziele ableiten sowie Prozesse analysieren und anpassen. Nachhaltigkeit ist kein Thema einer einzelnen Abteilung, sondern es umfasst viele Fachbereiche und das gesamte Business. Jeder muss innerhalb seines Fach- und Arbeitsbereichs einen Beitrag leisten. Das reicht vom globalen Carbon Footprint, den man auf Beiträge von Bereichen herunterbricht, hin zu Governance, also guter Unternehmensführung, die man in interne Vorgaben wie den Business Partner Code of Conduct integriert. Das erfordert smarte Organisationsstrukturen und ein starkes Netzwerk im Unternehmen.

Und wie äußert sich das konkret bei Schaeffler?

Mein Bereich „Strategic Sustainability“ hat den Auftrag, die nachhaltige Transformation des Unternehmens zu steuern: wie sich das Unternehmen entwickelt und ob es in die richtige Richtung geht. Das funktioniert natürlich nur mit einem sehr guten Netzwerk über alle Regionen und Sparten hinweg. Neben diesem Bereich gibt es weitere Fachabteilungen, die Nachhaltigkeit steuern, zum Beispiel der Einkauf oder die Produktentwicklung. Wir haben zudem bei Schaeffler das Umsetzungsprogramm für unsere Unternehmensstrategie, das Projekte finanziert, um neue Entwicklungen anzustoßen. Wir haben alle Projekte im Blick, die momentan im Unternehmen laufen. Nur so können wir dieses komplexe Thema in einem großen Konzern konsistent managen.

Welche Auswirkungen hatte die Fusion von Schaeffler und Vitesco auf den Bereich?

Während des Zusammenschlusses im vergangenen Jahr haben wir eine neue gemeinsame Nachhaltigkeitsstrategie für Schaeffler entwickelt. Aus fünf Handlungsfeldern wollen wir dieses Jahr 20 Steuerungskennzahlen ableiten und daraus ein neues, übergeordnetes Steuerungssystem für Nachhaltigkeit entwickeln. Eine organisatorische Konsequenz war zudem, dass meine Abteilung mit direkter Berichtslinie zum CEO Klaus Rosenfeld eingerichtet wurde. Das gab es in dieser Form vorher nicht, weder bei Schaeffler noch bei Vitesco.

Das Nachhaltigkeitsteam der Zukunft

Welche Kompetenzen brauchen Sie künftig in Ihrem Nachhaltigkeitsteam?

In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns mehr mit Reporting und Daten befasst. Zuvor waren wir vor allem mit Umsetzungsprojekten beschäftigt. In Zukunft werden im Nachhaltigkeitsmanagement das analytische Grundverständnis und der Umgang mit Daten immer wichtiger. Deshalb wird auch künstliche Intelligenz nicht nur relevant, sondern unabdingbar, um diese komplexen Nachhaltigkeitsprozesse und -daten zu steuern. In der Folge gewinnen Data Domain Architectures an Bedeutung und damit einhergehend die Frage: Wie kann ich nachhaltigkeitsbezogene Daten quer durch die Datenlandschaft des Konzerns managen? Früher kamen Nachhaltigkeitsverantwortliche überwiegend aus dem Umweltschutz oder dem Arbeitsschutz – das ändert sich jetzt. 

Inwiefern?

Wir haben bei Schaeffler in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht und eine solide Basis für die nachhaltige Transformation geschaffen, aber nun liegen noch große Herausforderungen mit komplexen Aufgaben vor uns, die technisch viel schwieriger zu lösen sind. Wir brauchen daher mehr Expertise in den Bereichen IT und Datenmanagement, aber auch bei spezifischen Themen wie Kreislaufwirtschaft. Und doch suchen wir in Zukunft weiterhin Menschen mit viel Leidenschaft, denn dieser Beruf erfordert Frustrationstoleranz und Standhaftigkeit. 


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