Interview über Konsum und Handel

Nachhaltiger Konsum: Sind nachhaltige Produkte wirklich zu teuer?


Nachhaltiger Konsum: Sind nachhaltige Produkte zu teuer?

Wird Baby Boomern zu Unrecht vorgeworfen, sie würden keinen Wert auf Nachhaltigkeit legen? Und wann ist „nachhaltig" wirklich allen zu teuer? Darum geht es in der Studie „Konsum in Zeiten von Krisen, Social Commerce und Nachhaltigkeit“. Ein Interview mit den Autor:innen Sarah Großkopf und Nils Deichner von der ibi research an der Universität Regensburg GmbH.

Eine Mehrheit der Deutschen gibt an: Nachhaltigkeit ist für sie bedeutsam. Bei realen Konsumentscheidungen findet diese Überzeugung dagegen deutlich weniger Ausdruck. Die genauen Unterschiede zwischen Wunsch und Wirklichkeit im Hinblick auf nachhaltigeren Konsum haben Sarah Großkopf und Nils Deichner von der ibi research an der Universität Regensburg GmbH untersucht und im Rahmen der Jahresstudie des ibi-Partnernetzwerks „Konsum in Zeiten von Krisen, Social Commerce und Nachhaltigkeit“ veröffentlicht. Vieles darin stimmt nachdenklich, aber eine andere Studie aus demselben Haus evoziert eher Optimismus: Dabei geht es um die Potenziale des Re-Commerce. 

Herr Deichner, Frau Großkopf, was hat sie an der jüngsten Ausgabe ihrer Jahresstudie überrascht?

Nils Deichner: Wir haben diese Partnerstudie nun zum dritten Mal durchgeführt und die zentralen Erkenntnisse haben sich seit 2023 kaum verändert. So hat Nachhaltigkeit für die Generation der Babyboomer nach wie vor die höchste Relevanz unter allen Befragten, ohne dass sich dies in ihrem Verhalten widerspiegeln würde.

Sarah Großkopf: Dazu muss man vielleicht sagen, dass es keine einheitliche Definition dafür gab, was die Befragten nun unter Nachhaltigkeit verstehen – vielleicht auch schon das freiwillige Weglassen der Papiertüte. Mit Blick auf die Zahlen kann man berichten, dass auf einer Skala von eins – am unwichtigsten – bis zehn – superwichtig – die Nachhaltigkeit bei den deutschen Konsumentinnen und Konsumenten konstant einen Wert von etwa 6,3 erhält. Überraschend ist, dass immerhin neun Prozent eine Zehn vergeben haben.

... was bedeutet, dass Nachhaltigkeit ein ganz zentrales Thema für diese Gruppe ist?

Großkopf: … oder sie zumindest die soziale Erwünschtheit dazu motiviert hat, diesen Wert anzugeben. Wir haben in der Befragung den Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ bewusst offen gelassen, um zu verhindern, dass diejenigen, die nicht perfekt sind, das Gefühl haben, gar nichts getan zu haben. Dazu tendieren nämlich erfahrungsgemäß viele bei diesen Fragen.

Deichner: Will man noch ein bisschen bei den Generationen bleiben, so fällt auf, dass die Generation Y offenbar am meisten macht, im Hinblick auf Mehrweg und Ähnliches. Bei der Generation Z hatten wir im vergangenen Jahr zwar einerseits den höchsten Anteil an veganer Ernährung, andererseits aber auch die am stärksten geteilte Überzeugung, nicht auf eine Flugreise verzichten zu wollen.

Nachhaltigkeit über Generationen und Einkommensklassen hinweg

Die Einstellung zu Nachhaltigkeit und die Bereitschaft zu verträglicherem Konsum ist also durchaus heterogen auch über die Generationsgrenzen hinweg?

Großkopf: Ja, absolut, und wir beobachten außerdem, dass die Menschen offenbar eher dort nachhaltig handeln, wo es sich leicht anfühlt, etwa bei der Reduzierung von Abfällen oder dem Verzicht auf den täglichen To-Go-Kaffeebecher. Bei Preisaufschlägen hingegen scheint es bei vielen eine sehr niedrige Schmerzgrenze zu geben.

Deichner: ... was zumindest ein ganzes Stück weit irrational bleibt. Denn selbst bei den Personen mit einem Haushaltseinkommen von über 4.000 Euro netto monatlich finden 53 Prozent nachhaltige Produkte zu teuer, 41 Prozent geben zudem an, die Nachhaltigkeit wäre nicht erkennbar; 33 Prozent sehen ihre Qualitätsanforderungen nicht erfüllt. Lediglich elf Prozent aus dieser Gruppe haben keine Probleme, nachhaltige Produkte zu kaufen. Zum Vergleich: Bei Menschen mit einem Nettohaushaltseinkommen von unter 2.000 Euro sind das neun Prozent.

Die gefühlte Realität scheint also eine andere zu sein als die tatsächliche...

Großkopf: Das wissen wir so nicht genau, wie gesagt, der Nachhaltigkeitsbegriff ist sehr individuell. Aber Sie haben schon Recht: Ein wenig entsteht der Eindruck, dass hier Hürden womöglich größer dargestellt werden als sie in Wirklichkeit sind. Fest steht jedenfalls, dass sich vor allem die Boomer in Sachen Nachhaltigkeit auch einmal überschätzen. Und dass die Bereitschaft, einen Preisaufschlag zu akzeptieren, mit dem Alter stark abnimmt. Zur Ehrenrettung kann man aber vielleicht noch erwähnen, dass vielen Älteren, die etwa schon immer bevorzugt regionales Obst und Gemüse kaufen, oftmals gar nicht klar ist, dass sie damit nachhaltiger konsumieren als andere. 

Auch die Industrie macht es den Konsumentinnen und Konsumenten nicht immer leicht, oder?

Deichner: Tatsächlich lässt sich insbesondere im Lebensmittelsegment eine Art Experimentierphase mit verschiedenen Produkten beobachten, sie kommen für kurze Zeit auf den Markt, mit sehr volatilen und mitunter nicht gerade niedrigen Preisen und verschwinden dann wieder. Das Thema ist auch Trend, mit dem man Geld verdienen kann. Das erschwert auf Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich die Orientierung und damit das Bemühen um ein nachhaltigeres Einkaufen.

Großkopf: Aktuell ist die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit noch etwas, das nicht zwingend erscheint und dem man sich nicht unbedingt öffnen muss. Wenn sich jedoch Klimafolgen in Deutschland wie Extremwetterereignisse künftig noch stärker häufen, könnte dies das Bewusstsein entscheidend prägen. 

Nachhaltiger Konsum: Das können Unternehmen tun

Wie können denn Unternehmen auf diese Gemenge– und Bewusstseinslage adäquat reagieren?

Großkopf: Mit Blick auf unternehmensstrategische Fragen würde ich raten, auf jeden Fall den Eindruck von Greenwashing zu vermeiden. Das erreicht man am besten, indem man maximal transparent agiert. Bei der Kommunikationsstrategie geht es darum zu zeigen, dass man am Ball ist, positive Werte vertritt und Optimismus verbreiten kann. Ziel ist es, Nahbarkeit und Lösungsorientierung zu transportieren.

Und der Handel? Wie kann er besser agieren?

Großkopf: Ihm fällt ein Stück weit zusätzlich eine Informations- und Bildungsrolle zu, insbesondere für die Älteren, da die Jüngeren dieses Thema als Bildungsinhalte in ihrer Sozialisation mitbekommen haben. Das Engagement der Unternehmen ist dann von Dauer, wenn diese ein Eigeninteresse haben.
Was erwarten Sie mit Blick auf die aktuelle Politik und den Backlash in vielen Nachhaltigkeitsbereichen?

Deichner: Ich hoffe schlichtweg, dass der Stellenwert von Nachhaltigkeit mindestens derselbe bleibt, der er gerade ist. Das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz würde ich bitten, keinesfalls den jährlichen Klimaschutzbericht abzuschaffen.

Großkopf: Wir brauchen mehr Konsequenz in der Gesetzgebung. Das, was wir auf europäischer Ebene mit der teilweisen Rücknahme von Verpflichtungen gerade erlebt haben, tut dem Bemühen um Nachhaltigkeit gar nicht gut. Dennoch bin ich auch optimistisch und sehe zum Beispiel mit dem Second-Hand-Markt ein absolutes Zukunftsthema für den nachhaltigen Handel. Der Re-Commerce wächst immer noch ungemein und hat großes Potenzial. 

Was können Handelsunternehmen tun, um diesen Bereich zu pushen?

Großkopf: Es bestehen noch Informationslücken, etwa zum Widerrufsrecht oder zur Gewährleistung. Hier kennen viele Konsumentinnen und Konsumenten ihre Rechte nicht und verzichten deshalb auf Second-Hand-Käufe. Re-Commerce lässt sich vielleicht nicht in allen Produktgruppen gleichermaßen durchziehen, aber es gibt noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten.

Deichner: Das Marktvolumen des europäischen Re-Commerce-Sektors wird im Geschäftsjahr 2022/2023 auf 94 Milliarden Euro geschätzt; bis 2025 wird ein Anstieg auf 120 Milliarden Euro erwartet.  Deshalb widmen wir dem Thema ‚Re-Commerce und Nachhaltigkeit‘ eine Fachkonferenz bei unserem E-Commerce-Tag in Regensburg.

Großkopf: In unserer Studie ‚Relevanz und Perspektiven des Re-Commerce für den deutschen Handel‘, die wir gerade mit dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel und dem Institut für Handel & Internationales Marketing an der Universität des Saarlandes erstellt haben, haben wir festgestellt: Preis-Leistung und Ersparnis sind die stärksten Treiber, um gebrauchte Waren online zu kaufen. Die Freude am Stöbern hat fast ebenso hohen Einfluss. Nachhaltigkeit hingegen wird als Nutzungsmotivation zwar oft genannt, hat aber geringere reale Bedeutung für Kaufentscheidungen, so das Fazit. Das zeigt erneut, wie ambivalent der Umgang mit dem Thema momentan ist.

Key-Forschungsergebnisse von ibi research an der Universität Regensburg zum Thema „Nachhaltigkeit"

  • Preis ist Haupthemmnis für nachhaltigen Konsum: 60 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten empfinden nachhaltige Produkte als zu teuer. Besonders ältere Generationen lehnen Aufpreise ab, während die Generation Z eher bereit ist, mehr zu zahlen.
  • Wirtschaftliche Gründe überwiegen bei nachhaltigem Konsum: Beim Kauf gebrauchter Waren stehen Preis-Leistungs-Verhältnis und Ersparnis im Vordergrund. Nachhaltigkeit wird zwar genannt, beeinflusst Kaufentscheidungen aber nur bedingt.
  • Generationenkonflikt beim Thema Nachhaltigkeit: Jüngere Konsumentinnen und Konsumenten zeigen mehr Offenheit für nachhaltige Lösungen und Veränderungen, während ältere Generationen an traditionellen Konsumgewohnheiten festhalten.
  • Re-Commerce unterstützt Kreislaufwirtschaft: Re-Commerce verlängert Produktlebenszyklen und reduziert Abfallmengen durch Wiederverwendung, Reparatur und Aufbereitung.
  • Re-Commerce reduziert CO₂-Emissionen deutlich: Gebrauchte Produkte sparen 60 bis 80 Prozent CO₂-Äquivalente im Vergleich zu Neuware. Besonders bei Kleidung und Elektronik ist der Effekt deutlich messbar.
  • Rebound-Effekt relativiert Umweltgewinne: Ein Teil der durch Re-Commerce erzielten Einsparungen wird in weiteren Konsum investiert, was die Umweltvorteile teilweise abschwächt.
  • Händler engagieren sich aus Überzeugung für Nachhaltigkeit: 68 Prozent der Einzelhändler setzen freiwillig Maßnahmen um, zum Beispiel durch umweltfreundliche Produkte oder energieeffiziente Betriebsabläufe.
  • Handelsunternehmen erkennen Re-Commerce als strategisches Instrument: Re-Commerce dient der nachhaltigen Markenpositionierung und der Erschließung preisbewusster Zielgruppen.
  • Bürokratie bremst nachhaltige Projekte aus: Viele Unternehmen sehen hohen Verwaltungsaufwand als zentrales Hindernis für die Umsetzung nachhaltiger Konzepte.
  • Politische Maßnahmen fördern Re-Commerce nur begrenzt: Zwar existieren gesetzliche Rahmen wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz, doch fehlen gezielte Anreize zur breiten Skalierung von Re-Commerce-Modellen.



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