Verantwortungseigentum: Wenn der Fokus auf Werten liegt
In einem belebten Co-Working-Space in München sitzt Jonas, ein junger Unternehmer, und bereitet eine Präsentation für einen großen potenziellen Kunden vor. Sein Start-up entwickelt innovative Lernsoftware für Schulen. Doch was potenzielle Käufer der Lösung immer wieder fesselt, ist nicht nur das exzellente Produkt, sondern die Struktur dahinter.
Die Gewinne der Firma werden nicht herausgezogen oder an Shareholder ausgeschüttet, sondern dafür eingesetzt, die Bildungsmission bis an das Firmenende voranzutreiben. Auch eine Übernahme oder der Verkauf der Firma sind durch ein spezielles Beteiligungskonstrukt ausgeschlossen – und damit auch das Risiko, dass die Firma sich unter neuen Inhabern thematisch umorientiert und vom Ziel der Gründer abweicht. Dieses Modell, genannt Verantwortungseigentum, ist eine Bewegung, die immer mehr Unternehmen begeistert.
Was ist Verantwortungseigentum?
Verantwortungseigentum ist eine spezielle Unternehmensstruktur, die so ausgestaltet wird, dass Eigentümer Stimm- und Mitbestimmungsrechte besitzen, aber keine Gewinne aus dem Unternehmen abziehen können. Die Gewinne bleiben in der Firma oder fließen in den Unternehmenszweck. Auch mögliche Anteilseigner gehen leer aus. Statt den Shareholder Value zu maximieren, kann das Unternehmen seine Werte in den Fokus stellen. Und genau das ist das Besondere an solchen Unternehmenskonstruktionen: Der Fokus kann auf langfristigen, werteorientierten Zielen liegen, wie etwa Bildung, soziale Gerechtigkeit oder kulturelle Förderung.
Er muss es allerdings nicht: Verantwortungseigentum ist unabhängig von sozialer oder ökologischer Nachhaltigkeit. Auch Unternehmen, die nicht im klassischen Sinne „grün“ sind, können dieses Modell nutzen. Ihnen geht es oft darum, die Kontrolle über die Unternehmensziele zu behalten und sich dabei nicht externen Investoren zu unterwerfen. Doch insbesondere bei Start-ups und bei jungen Unternehmen geht Verantwortungseigentum mit dem Nachhaltigkeitsgedanken einher. Wie dies in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel der grünen Suchmaschine Ecosia.
Ecosia: Ein Pionier des Verantwortungseigentums
Die Suchmaschine Ecosia wurde 2009 von Christian Kroll gegründet – mit der Vision, die Macht des Internets für den Umweltschutz zu nutzen. Das Unternehmen positioniert sich im hart umkämpften Suchmaschinenmarkt, wo Giganten wie Google dominieren. Sich gegen diese Konkurrenz durchzusetzen, ist eine enorme Herausforderung, da Ecosia weder die Ressourcen noch die Marktmacht der großen Player hat. Dennoch wächst die Nutzerbasis stetig, weil Ecosia mit Transparenz und einem klaren Purpose punktet. Das Produkt- und Dienstleistungsangebot von Ecosia ist klar definiert: Eine Suchmaschine, die wie ihre Konkurrenten Informationen liefert, aber die Werbeeinnahmen nutzt, um Bäume zu pflanzen.
Seit der Gründung hat Ecosia nach eigenen Aussagen über 235 Millionen Bäume in mehr als 30 Ländern gepflanzt, versorgt mit erneuerbarer Energie für die Server. Das Alleinstellungsmerkmal ist die Verknüpfung jeder Suche mit einem Beitrag zum Umweltschutz, was Ecosia von rein gewinnorientierten Anbietern abhebt. Die Faustregel gilt: Für 50 Suchanfragen werden so viele Werbeeinahmen generiert, dass davon ein Baum gepflanzt werden kann. Dazu arbeitet das Unternehmen mit Baumpflanzpartnern in aller Welt zusammen, vor allem in Afrika.
Stiftungskonstrukt ermöglicht Verantwortungseigentum
Das Engagement für den Umweltschutz ist bei Ecosia ein Beispiel für einen klar definierten Unternehmenszweck, der durch Verantwortungseigentum geschützt wird. 2018 überführte Ecosia seine Anteile an die Purpose-Stiftung, die 99 Prozent des Stammkapitals hält und 1 Prozent der Stimmrechte – ein sogenannter Veto-Anteil. Dieser Mechanismus schützt das Unternehmen vor Übernahmen oder Satzungsänderungen, die den Zweck gefährden könnten, und ermöglicht es, Gewinne vollständig in die Mission zu reinvestieren.
Mit Verantwortungseigentum soziale Initiativen fördern
Neben Ecosia setzen auch andere deutsche Unternehmen auf dieses Modell. Eines der prominentesten Beispiele ist die Bosch-Gruppe, die ein besonderes Stiftungsmodell nutzt: Die Robert Bosch Stiftung hält rund 94 Prozent der Anteile am Unternehmen Bosch. Die übrigen Anteile halten eine Gesellschaft der Familie Bosch und das Bosch Unternehmen selbst. Die Stiftung ist nicht unternehmerisch tätig und finanziert sich aus der Dividende, die sie aus dieser Beteiligung erhält. Die Stimmrechte wiederum liegen zu 93 Prozent bei einer Treuhand und zu 7 Prozent bei der Familie Bosch. Diese Trennung garantiert die langfristige Unabhängigkeit und die Förderung sozialer Projekte. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat die Robert Bosch Stiftung nach eigenen Angaben mehr als 2,5 Milliarden Euro für ihre gemeinnützige Arbeit ausgegeben.
Auch der Bio-Lebensmittel-Pionier Alnatura setzt auf Verantwortungseigentum und reinvestiert Gewinne in die Weiterentwicklung seines Angebots. Verantwortungseigentum schützt die Mission der Firma vor profitorientierten Einflüssen. Der Mobilfunkanbieter WEtell sichert durch Verantwortungseigentum seine Mission, transparente und faire Kommunikation zu ermöglichen. Die Gewinne werden hier in den Ausbau des Angebots und soziale Projekte reinvestiert. Bei Soulbottles – einem Hersteller von wiederverwendbaren Trinkflaschen – sorgt das Verantwortungseigentum dafür, dass die Gewinne in die Weiterentwicklung der Produkte und soziale Initiativen fließen.
Verantwortungseigentum in Deutschland: Ein wachsender Trend
In der deutschen Unternehmenslandschaft gewinnt dieses Modell an Bedeutung. Die Stiftung Verantwortungseigentum geht von mindestens 300 Unternehmen im deutschen Markt aus, die sich über Stiftungskonstruktionen oder juristische Workarounds in Verantwortungseigentum befinden. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von Firmen, die das Modell umsetzen, aber damit noch unter dem Radar fliegen.
Einem Stiftungssprecher zufolge wächst das Interesse, insbesondere im Mittelstand sowie bei Familienbetrieben, die keine passenden Nachfolger finden. Mit der wachsenden Nachfrage nach Verantwortungseigentum einher geht der Wunsch, diese Unternehmensform auf eine rechtliche Basis zu stellen und eine eigene Rechtsform auf den Weg zu bringen.
Offizielle Rechtsform gefordert
Knapp 2.000 Menschen – der Großteil davon Unternehmerinnen und Unternehmer – haben die Rechtsform bereits öffentlich gefordert. Im vergangenen Sommer unterschrieben beispielsweise mehr als 1.000 Firmen eine „Warteliste für die Rechtsform“ und bereits im Jahr 2020 hat die Stiftung Verantwortungseigentum einen Aufruf an die Bundesregierung gestartet, dem sich zahlreiche Unternehmen anschlossen. Die Aussichten sind mittlerweile gut: Der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung bekennt sich zu einer eigenständige Rechtsform „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“; eine Expertengruppe hat bereits einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis hierzulande Verantwortungseigentum als offizielle, eigenständige Rechtsform für ein Unternehmen eingetragen werden kann.
Verantwortungseigentum ist eine attraktive Option für Unternehmen, die sich durch ihre Werte von der Konkurrenz abheben wollen. Wer für seine Firma eine klare Mission verfolgt, die über den Profit hinausgeht, für denjenigen kann Verantwortungseigentum eine sinnvolle Option sein. Wichtig ist die Bereitschaft – selbst als sehr erfolgreicher Gründer – auf Gewinnausschüttungen zu verzichten und die Gewinne stattdessen in den Firmenzweck zu reinvestieren oder zu spenden.
So ist auch eine stärkere Ausrichtung auf ökologische und soziale Belange möglich als mit einem Unternehmen, das rein auf die Gewinnmaximierung abzielt. Noch ist es kompliziert, Verantwortungseigentum zu schaffen. Doch Ecosia und viele andere Unternehmen zeigen, dass es möglich ist. Eine offiziell anerkannte Rechtsform dürfte diesen Weg deutlich erleichtern und könnte viele Nachahmer finden.
Am 9. Oktober 2025 kommt in Berlin das internationale Ökosystem rund um Verantwortungseigentum bzw. „Steward-Ownership“ zusammen: Auf der SO:25 treffen sich Unternehmer:innen aus Mittelstand, Start-ups und Konzernen, Investierende, Wissenschaft und Politik. Das Event bietet Austausch- und Lernformate: Workshops, Panels, Keynotes und einen „Erfahrungsraum“. Schwerpunkte sind u.a. Finanzierung, Nachfolge, unternehmerische Langfristigkeit. Dabei sind Prof. Colin Mayer (University of Oxford), Brenna Davis (CEO Organically Grown Company), Leandro Burguete (Gründer Haferkater), Catherine Bracy (CEO TechEquity), Nien-hê Hsieh (Harvard Business School) uvm. |
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