ESRS S2 im Einkauf: Ethik einfordern, Vertrauen schaffen
Der ESRS S2 verpflichtet Unternehmen, menschenrechtliche Risiken und soziale Auswirkungen auf Arbeitskräfte entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette systematisch offenzulegen. Dies betrifft vor allem den Einkauf – als zentrale Schnittstelle zu Lieferanten und externer Beschäftigung. Mit Blick auf CSRD, CSDDD und das deutsche LkSG entsteht ein dichtes Geflecht aus Berichts- und Sorgfaltspflichten, das neue strategische und operative Anforderungen an Einkaufsabteilungen stellt. Der Beitrag zeigt, wie der Einkauf zum Schlüsselakteur für soziale Nachhaltigkeit wird – und welche konkreten Handlungsfelder daraus resultieren.
Neue Transparenzpflichten entlang der Wertschöpfungskette: Der Einkauf unter Zugzwang
ESRS S2 richtet sich nicht an die eigene Belegschaft, sondern an Arbeitskräfte entlang der gesamten Wertschöpfungskette – bei direkten Zulieferern, Subunternehmen oder in vorgelagerten Rohstoffsektoren. Unternehmen müssen analysieren, welche Auswirkungen ihre Beschaffungsentscheidungen auf diese Gruppen haben, und Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe dokumentieren.
Für den Einkauf bedeutet das: Sozialstandards – etwa zu Löhnen, Arbeitszeiten, Diskriminierungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit oder Kinderschutz – müssen in alle Phasen des Lieferantenmanagements integriert werden. Zudem fordert der Standard, dass Unternehmen die Interessen der Arbeitskräfte aktiv in ihre Strategie einbeziehen durch Konsultationen, Beschwerdemechanismen oder Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretungen.
Der Einkauf übernimmt dabei eine Doppelfunktion. Zum einen ist er verantwortlich für die Steuerung von Risiken entlang der Lieferkette, zum anderen liefert er die erforderlichen Informationen für die Erfüllung der umfangreichen Offenlegungspflichten. Die systematische Erhebung, Bewertung und Dokumentation sozialer Risiken wird damit zu einer der Kernaufgaben moderner Einkaufsabteilungen.
Regulatorische Verknüpfung mit CSRD, CSDDD und LkSG
Der ESRS S2 entfaltet seine Wirkung nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit anderen Regularien: Die CSRD verlangt umfassende Nachhaltigkeitsberichte, die CSDDD konkretisiert menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, und das LkSG gilt bereits für viele Unternehmen in Deutschland. Der Einkauf steht dabei an der operativen Schnittstelle zwischen regulatorischen Anforderungen und deren praktischer Umsetzung.
Mit dem EU-Omnibus-Paket wird die systematische Verbindung zwischen Berichtspflicht und Sorgfaltspflicht nochmals weiter gestärkt. Die CSDDD verweist künftig explizit auf ESRS S2 als zentrale Berichtsgrundlage. Gleichzeitig entlastet der Value Chain Cap kleinere Zulieferer formal – ohne die Verantwortung des Einkaufs zu mindern. Vielmehr ist es Aufgabe der Einkaufsabteilungen, auch ohne standardisierte Daten von KMU durch risikobasierte Maßnahmen wie Vor-Ort-Audits, Dialogformate oder Vertragsklauseln belastbare Informationen zu generieren.
Besonders relevant ist zudem der Wegfall sektorenspezifischer Standards: Die Bewertung branchentypischer Risiken obliegt künftig den Unternehmen selbst. Einkaufsorganisationen müssen daher eigene Kriterien, Scoring-Systeme und Maßnahmenkataloge entwickeln, um menschenrechtliche Risiken zu erfassen und zu adressieren – und das in enger Abstimmung mit Nachhaltigkeit, Recht und Compliance.
Handlungsfelder für den Einkauf: Sieben strategische Maßnahmen
Die Umsetzung des ESRS S2 im Einkauf erfordert tiefgreifende strukturelle und prozessuale Anpassungen. Folgende sieben Handlungsfelder sind besonders relevant:
- Soziale Mindeststandards strategisch verankern: Der Einkauf muss soziale Kriterien – etwa faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen, Vereinigungsfreiheit – von Beginn an in die Lieferantenbewertung integrieren. Neue Partner müssen Nachweise erbringen, bestehende regelmäßig geprüft werden. Hochrisikolieferanten sind gezielt zu entwickeln oder auszuschließen, bevorzugt werden stabile Partnerschaften mit sozial verantwortlichen Anbietern.
- Feedback und Kontrolle systematisch gestalten: Rückmeldungen aus der Lieferkette sollen über digitale Beschwerdekanäle, Audits und Dialogformate mit Arbeitskräften erfasst werden. Ziel ist ein präventives Risikomanagement, das sozialkritische Entwicklungen frühzeitig identifiziert und in die Lieferantensteuerung einfließen lässt.
- Chancen aktiv nutzen, nicht nur Risiken mindern: Einkaufsrichtlinien müssen auch positive Hebel berücksichtigen – etwa durch Schulungen für externe Beschäftigte, Investitionen in arbeitsfreundliche Technologien oder Anreizsysteme für sozial verantwortliche Zulieferer. Soziale Nachhaltigkeit wird zum integralen Bestandteil der Beschaffungsstrategie.
- Verbindlichkeit und Transparenz schaffen: Soziale Anforderungen sind vertraglich zu fixieren und mit KPIs zu unterlegen. Fortschritte und Verstöße müssen dokumentiert, berichtet und intern wie extern kommuniziert werden. Eine lückenlose Nachvollziehbarkeit ist Voraussetzung für prüffähige ESRS-Berichte.
- Mitarbeitende gezielt qualifizieren: Einkaufsteams benötigen Schulungen zu menschenrechtlichen Risiken, regulatorischen Vorgaben (z. B. LkSG, CSRD, CSDDD) und sozialer Compliance. Nur informierte Fachkräfte können Standards wirksam umsetzen und fundierte Entscheidungen treffen.
- Kooperationen strategisch nutzen: Brancheninitiativen, Partnerschaften mit NGOs oder Prüfstellen stärken die Glaubwürdigkeit, erleichtern Datenerhebung und fördern gemeinsame Standards. Der Einkauf sollte solche Netzwerke gezielt nutzen, um Wirkung und Effizienz zu steigern.
- Digitale Systeme zur Risikosteuerung einsetzen: Technologien wie KI-gestützte Monitoringtools, Blockchain oder digitale Feedbacksysteme ermöglichen eine Echtzeitüberwachung von Arbeitsbedingungen. Sie helfen, soziale Risiken schneller zu erkennen und die Berichtspflichten effizient zu erfüllen.
Fazit: Neue Verantwortung, strategische Chance
ESRS S2 macht soziale Nachhaltigkeit zu einem zentralen Steuerungsfeld des Einkaufs. Die Anforderungen gehen weit über klassische Lieferantenaudits hinaus. Sie verlangen eine strategische Neuausrichtung – mit klaren Standards, belastbaren Daten, systematischen Prozessen und messbaren Zielen. Gleichzeitig eröffnet der Standard auch Chancen: Wer den Einkauf als Hebel für faire Arbeitsbedingungen begreift, kann nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllen, sondern auch die Resilienz, Legitimität und Zukunftsfähigkeit globaler Wertschöpfungsketten stärken. Das EU-Omnibus-Paket bringt Erleichterungen – aber keine Entwarnung. Der Einkauf bleibt zentrale Instanz – operativ, strategisch und berichtspflichtig.
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