Nachhaltigkeit in der Werbeartikelindustrie: Eine Branche wird grün
Wenn Sie gerade an Ihrem Schreibtisch sitzen, dann gucken Sie sich bitte mal um: Wie viele Werbekulis haben Sie in der Schublade? Trägt Ihr Notizblock das Logo eines Unternehmens, mit dem Sie Geschäfte machen? Und haben Sie vielleicht einen Kalender an der Wand? Ist der selbst gekauft? Was ist mit der Powerbank? Den Post-its? Der Bürotasse? Oder der Trinkflasche in der Sporttasche für heute Abend?
Fakt ist: Die Menschen im Marketing rümpfen zwar gern mal die Nase über Werbeartikel, aber wir alle sind sehr häufig von ihnen umgeben – und nutzen sie oft täglich und gerne. Deshalb sträuben sich Profis aus der Werbeartikel-Branche auch die Nackenhaare, wenn sie pauschal als Verteiler von billigst produziertem Plastik-Schnickschnack gesehen werden.
„Stimmt nicht!“, heißt es da unisono. Laut einer Werbeartikel-Wirkungsstudie des Gesamtverbands der Werbeartikel-Wirtschaft (GWW) nutzen 61 Prozent der Befragten ihre Werbeartikel länger als ein Jahr. Es ist ja auch kein Zufall, dass Werbeartikel in vielen Unternehmen zum Marketingmix gehören: Wenn es gut läuft, ist ein langlebiger Werbeartikel ein täglicher Marken-Reminder und damit viel näher an der Zielgruppe als jede flüchtige klassische Werbung. Im Jahr 2024 setzte die Werbeartikelindustrie in Deutschland 3,3 Milliarden Euro um.
Das Geschäft mit Werbeartikeln
Schon 1994 startete Steven Baumgaertner, Chef von cyber-Wear in Heidelberg, mit dem Bedrucken von Abi-T-Shirts. Heute erzielt das Unternehmen laut Eigenangaben mit Full-Service rund um Werbeartikel und Corporate Fashion Jahresumsätze von etwa 40 Millionen Euro und zählt VW, Porsche oder die Deutsche Bahn zur Kundschaft. Steven Baumgaertner brennt für seine Branche und engagiert sich in Verbänden, Ausschüssen oder als Juror bei den PSI Sustainability Awards.
Der Unternehmer initiierte die Award-Kategorie „Innovator of the Year“, die Upcycling-Initiativen, Materialinnovationen und CO₂-reduzierte Verpackungslösungen auszeichnete. Das Konzept des Awards wurde gerade runderneuert, nun heißen die Branchen-Preise „PSI Academy Awards“ und prämieren im September dieses Jahres erstmals vorbildliche Ansätze rund um die Bereiche Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und soziale Verantwortung.
Die Renner unter den Werbeartikeln sind nach wie vor Kugelschreiber, aber auch Trinkgefäße in allen Varianten und elektronische Produkte wie Power-Banks und „Travel-Related-Products“, die das mobile Arbeiten unterstützen. „Tatsächlich produzieren wir auch noch sehr viele Regenschirme“, sagt Baumgaertner „unser absoluter Dauerbrenner sind aber Baseball Caps“.
Baseball-Caps sind der Dauerbrenner
Die Baseball Cap sei das „Masterpiece“, erzählt Baumgaertner. Vor gut sieben Jahren habe es bei den Lieferanten noch geheißen, Caps ließen sich nicht nachhaltig produzieren. Heute bietet cyber-Wear Kappen aus recyceltem Kunststoff (rPET) oder Bio-Baumwolle. „Die Caps sind zu 100 Prozent nachhaltig und ein Paradebeispiel dafür, was alles funktionieren kann, wenn man gemeinsam die Reise zu mehr Nachhaltigkeit antritt. Wir versuchen, diesen Prozess Lieferant für Lieferant durchzuspielen“, sagt der Unternehmer. Dabei könne man von Produktionspartnern nicht verlangen, von einem Tag auf den anderen ISO-Zertifizierungen, Oeko-Tex-Siegel oder Ecovadis Platinum-Medaillen vorzulegen, „sondern man muss sich gemeinsam in diese Nachhaltigkeit entwickeln“.
In puncto Nachhaltigkeit hat sich in der Branche generell viel getan. Nicht nur, weil die Auftraggeber sie einfordern, sondern auch, weil die Konsumenten sensibler geworden sind. Also gibt’s mittlerweile Kugelschreiberhülsen aus Braunalgen und Biokunstoff, aus Recyclat oder aus nachwachsenden Rohstoffen wie Bambus, gern mithilfe erneuerbarer Energie produziert und kompostierbar. Elektronische Produkte sind solarbetrieben, Trinkflaschen aus Ocean Plastic oder recyceltem Edelstahl und Textilien zertifiziert. Es gibt Material, das aus Apfelschalen und -kernen hergestellt ist oder aus recyceltem Filz. Was hölzern ist, ist FSC®-zertifiziert.
Wer mal einen Blick ins Branchenmagazin PSI Journal wirft, staunt. Da fragt sich, was der Spaß denn wohl kostet, zumal viele Hersteller neben der Nachhaltigkeit oft auch mit kurzen Lieferfristen und kurzen Transportwegen werben.
Der Rat: Lieber weniger ordern – und dafür nachhaltig
Ja, sagt Steven Baumgaertner, nachhaltig produzierte Produkte kosten mehr Geld. Allein der Zertifizierungen und des personellen Aufwands wegen, auch weil die Rohmaterialien teurer sind, ebenso wie die Produktionsverfahren. Weil gewährleistet ist, dass die Menschen, die beispielsweise in Asien Produkte herstellen, anständig bezahlt werden und unter guten Bedingungen arbeiten. „All das führt zu erhöhten Preisen. Das ist so. Aber die Industrie ist bereit, diese erhöhten Preise zu bezahlen.“
Er empfehle seinen Kunden, lieber weniger – also statt 5.000 vielleicht nur 3.500 Caps oder Hoodys oder T-Shirts oder Schirme – zu ordern, im Gegenzug könnten sie sicher sein, dass die Produkte zertifiziert nachhaltig hergestellt sind. „Wir sind mittlerweile sehr kategorisch: Wir bieten gar keine nicht-nachhaltige Variante mehr an, wenn es eine 100-prozentig nachhaltige Version gibt.“
Werbeartikel und das überholte Klischee
„Die Werbeartikelwelt hat sich weiterentwickelt“, sagt Petra Lassahn, Direktorin der jährlich stattfindenden europäischen Leitmesse für Werbeartikel, Incentives und Merchandising PSI in Düsseldorf. Sowohl in der Produktion als auch bei den Materialien werde heute auf Nachhaltigkeit geachtet, „schon deshalb, weil es die Kunden und auch gesetzliche Vorgaben fordern“.
Und was ist mit den günstig produzierten Produkten aus China? „Auch die Unternehmen, die in China einkaufen, achten darauf, wie und aus welchen Materialien die Produkte gemacht werden“, so die Branchenexpertin. Die Branche werde häufig völlig falsch eingeschätzt: „Werbeartikel sind ganz häufig sehr langlebige Produkte, die nicht einfach schnell weggeworfen werden“.
Das Klischee vom Wegwerfartikel sei längst überholt und nachhaltige Produkte seien an der Tagesordnung, davon ist auch GWW-Geschäftsführer Ralf Samuel überzeugt: „Unternehmen setzen auf eine nachhaltige Produktion, indem sie natürliche Ressourcen schonen und beispielsweise Rohstoffe aus zertifizierten Beständen verwenden oder ausgedienten Gegenständen neues Leben einhauchen und somit nachhaltige Alternativen offerieren, mit denen sich umweltbewusst Wertschätzung vermitteln lässt.“
Ob sich das Rad der Nachhaltigkeit angesichts der bald wahrscheinlich gelockerten EU-Regulatorik wohl wieder zurückdreht? Für Steven Baumgaertner undenkbar, allein weil Investitionen getätigt und Zertifizierungsprozesse etabliert sind. „Das setzen Unternehmen schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht auf null. Außerdem ist Nachhaltigkeit ja nun mal kein Trend, sondern in sehr vielen Unternehmen mittlerweile Teil der Mission.“
Worauf Nachhaltigkeitsprofis beim Einkauf von Werbeartikeln achten Umweltaspekte: Materialwahl, Langlebigkeit, Recyclingfähigkeit, Transportweg Soziale Aspekte: faire Arbeitsbedingungen bei der Produktion Siegel, Standards & Nachweise: GWW Code of Conduct, ISO 14001, FSC, Fairtrade, Oeko-Tex, Global Organic Textile Standard GOTS, Bluesign sowie andere transparente Herkunftsnachweise, CO₂-Bilanzen und Lebenszyklusanalysen |
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