Digitale Steuerkanzlei: Die Transformation geht weiter

Die F&S Steuerberatung in Berlin arbeitet heute komplett digital. Die Bestandsmandanten wurden in digitale Prozesse überführt, neue Mandanten akzeptiert die Kanzlei nur, wenn diese ebenfalls digital aufgestellt sind. Ein Interview mit dem Kanzlei-Inhaber und Steuerberater Furat Al-Obaidi.

Herr Al-Obaidi, man munkelt, Sie hätten eine Papierphobie?

{lacht} Nein, das nicht. Aber wenn ich irgendwo Papier im Arbeitsalltag sehe, frage ich mich schon, warum das sein muss. Das ist für mich ein Zeichen, dass die digitale Prozesskette nicht zu 100 Prozent eingehalten wurde. In einer Steuerkanzlei kann man zum Beispiel sehr gut auf Papier verzichten.

Wie digital ist ihre Steuerkanzlei?

Wir sind eine digitale Kanzlei und arbeiten komplett papierlos. Bei uns laufen alle Kanzleiprozesse digital – vom Onboarding der Mandanten über die Finanz- und Lohnbuchhaltung, Jahresabschlüsse und Steuererklärungen bis hin zu sämtlichen kanzleiinternen Prozessen, einschließlich dem Dokumentenmanagementsystem. Selbst die Telefonie haben wir digitalisiert: Unsere Telefonanlage befindet sich in der Cloud. Auch unsere Mandanten sind zu 100 Prozent digital aufgestellt. Seit kurzem erfolgt die Zusammenarbeit über eine kanzleiinterne Mandantenapp. Diese wurde uns von unserem Innovationspartner (milia.io) zur Verfügung gestellt. Dort können Mandant und Kanzlei Dokumente austauschen und signieren. Die Plattform ist dabei mit unserem DMS synchronisiert. Außerdem können Mandanten und Kanzlei sich gegenseitig Aufgaben stellen, wodurch wir nun ein fortschrittliches Ticketsystem anstelle der herkömmlichen E-Mail integriert haben.

Bessere Qualität, weniger Fehler, höhere Arbeitgeberattraktivität  

Welche Vorteile bringt eine derart konsequente Digitalisierung mit sich?

Die Digitalisierung bringt mehr Qualität in unsere Arbeit. Wenn wir manuelle Prozesse digitalisieren, verringert sich automatisch die Fehleranfälligkeit. Außerdem können wir uns stärker auf unsere Kernkompetenz konzentrieren – die Beratung. Wir arbeiten jetzt effizienter und können Mandate auch problemlos überregional annehmen und betreuen. Hinzukommt, dass Steuerberatung in der Öffentlichkeit oft noch mit langweiliger Buchhaltung, Aktenbergen und zähen bürokratischen Abläufen gleichgesetzt wird. Diesem angestaubten Image konnten wir uns mit der Digitalisierung entledigen. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, insbesondere für das Recruiting neuer Mitarbeiter.

…Warum?

Nachwuchs-Talente entscheiden sich im Zweifel lieber für eine digitale Steuerkanzlei, in der monotone und langweilige Arbeiten von der Technik erledigt werden. Die eigentliche Arbeit wird verantwortungsvoller und macht dadurch auch mehr Spaß – und das ist sehr wichtig für das Arbeitsklima. Nicht zuletzt ermöglicht die Digitalisierung auch ein freies und ortsunabhängiges Arbeiten, was für alle Kanzlei-Mitarbeiter Vorteile mit sich bringt.

Welche Widerstände mussten Sie auf dem Weg dorthin überwinden?

Um eine Kanzlei erfolgreich zu digitalisieren, braucht es Mandanten, die digital mit einer Kanzlei zusammenarbeiten möchten und Mitarbeiter, die den Weg der Digitalisierung mitgehen. Beides ist nicht selbstverständlich. Am Anfang einer Digitalisierung muss man sowohl bestehende Mandanten als auch die Mitarbeiter von den Vorteilen der digitalen Arbeitsweise überzeugen. Nicht zuletzt braucht es eine technische Infrastruktur und einheitliche Prozesse.

Wie haben Sie das geschafft?

Schon allein die globale Verfügbarkeit von Dokumenten überzeugt viele Mandanten von der Digitalisierung. Sie profitieren letztlich ebenso von einer effizienteren Zusammenarbeit wie ihre Steuerkanzlei. Für unsere Mitarbeiter zählt vor allem, dass stupide Arbeiten entfallen und sie sich verantwortungsvolleren Tätigkeiten widmen können. Bei uns muss niemand Belege sortieren oder scannen.

Bei uns muss niemand Belege sortieren oder scannen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dafür zu sorgen, dass die Prozesse einheitlich sind. Bevor Mitarbeiter bei uns eine fachliche Einführung erhalten, werden sie daher mit den Prozessen vertraut gemacht. Eine Schulung zu den Prozessen ist Bestandteil jedes Onboardings. Sind die neuen Mitarbeiter mit den Prozessen vertraut, können sie bei uns direkt operative Aufgaben übernehmen. 

Ein digitales Handbuch für standardisierte Prozesse

Wie stellen Sie sicher, dass ein digitaler Prozess bei Mitarbeiter A genauso abläuft wie bei Mitarbeiter B?  

Damit eine Kanzlei reibungslos digital funktioniert, müssen die Prozesse standardisiert sein und einheitlich ablaufen, egal wer den Prozess anstößt. Darum haben wir ein digitales Handbuch verfasst, in dem wir alle Unternehmensprozesse detailliert dokumentiert haben. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter in der Finanzbuchhaltung einen Jahresabschluss erstellt, kann er dabei auf Checklisten zurückgreifen, die ihn durch den gesamten Prozess führen. Das ist eine wichtige Arbeitshilfe.

Im Zuge der Digitalisierung einer Steuerkanzlei werden neue Lösungen implementiert, Prozesse umgestellt, vieles muss neu gelernt werden. Stört das nicht das laufende Tagesgeschäft?

Aus Rücksicht auf das Tagesgeschäft alles beim Alten zu lassen, ist aus meiner Sicht ein Fehler. Schon heute ist der Steuerberater-Markt im Wandel und er wird sich weiter verändern. Darum sollte man bestrebt sein, seine Kanzlei zukunftssicher aufzustellen. Dabei führt an der Digitalisierung kein Weg vorbei.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jede einzelne, in die Digitalisierung investierte Stunde, sofort eine Zeitersparnis gebracht hat. 

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jede einzelne, in die Digitalisierung investierte Stunde, sofort eine Zeitersparnis gebracht hat. Dadurch wird wieder Zeit frei, die für die Betreuung der Mandanten genutzt wird. Und wenn man die Digitalisierung richtig angeht, behindert sie auch nicht das Tagesgeschäft.

Nicht zu viel auf einmal wollen: Schritt für Schritt zur digitalen Kanzlei 

Wo lauern Ihrer Erfahrung nach Fallstricke?

Man sollte nicht zu viel auf einmal wollen. Mehrere Prozesse oder Projekte gleichzeitig zu digitalisieren, kann zu Problemen führen und Mitarbeiter aber auch Mandanten überfordern. Hier ist Augenmaß ratsam und schrittweises Vorgehen hilfreich. Zunächst einen Prozess digitalisieren, ihn testen, Mitarbeiter schulen. Und erst wenn der Prozess richtig sitzt, das nächste Digitalisierungsprojekt angehen. Hinzukommt, dass enorm viele technische Lösungen verfügbar sind. Hier sollte man darauf achten, nicht zu viele Tools und zu viele Insel-Lösungen einzusetzen. Besser ist es, Tools zu nutzen, die mehrere Prozesse oder Funktionen abdecken und Schnittstellen zur Kanzleisoftware anbieten. Ansonsten kann Digitalisierung schnell unübersichtlich und die zu pflegende Tool-Landschaft zu einem Flicken-Teppich werden.

Welcher Geschäftsprozess war für Ihre Kanzlei besonders schwierig zu digitalisieren?

Die Digitalisierung des Mandanten-Onboarding war für uns eine spezielle Herausforderung. Der Prozess ist sehr kleinteilig, weil viele Ansprechpartner involviert sind – nicht nur Mandant und Mitarbeiter, sondern beispielsweise auch der Vorberater des Mandanten, das Finanzamt oder auch Banken, da zum Beispiel die Kontoauszüge digital im Rechenzentrum verfügbar sein müssen. Den Prozess der Mandatsannahme zu digitalisieren hat uns viel Mühe gekostet. Wir haben es schließlich über eine Mandanten-Plattform sehr gut gelöst, die unser Innovationspartner (milia.io) für uns aufgesetzt hat.

Wie läuft dieser Prozess jetzt ab?

Möchte jemand unser Mandant werden, wird er aufgefordert, auf unserer Website einen digitalen Fragebogen auszufüllen. Anhand der Antworten sehen wir, ob der Mandant zu uns passt. Ist dies nicht der Fall, kann per Knopfdruck eine automatisierte Absage verschickt werden, für die wir auf verschiedene Vorlagen zurückgreifen können. Passt hingegen alles, können wir dem Interessenten die Login-Daten für das Mandantenportal zusenden. Per Mausklick kann er unser Angebot annehmen und seine Unterlagen hochladen. Im Rahmen dieses Hochlade-Prozesses werden die Stammdaten des Unternehmens automatisch erfasst. Außerdem werden per Knopfdruck die Onboarding-Unterlagen wie zum Beispiel Steuerberatervertrag oder Vollmacht aus den eingegebenen Stammdaten generiert und signiert. Wir können die Stammdaten und Dokumente dann direkt in unser Datev-DMS per Schnittstelle überführen. Früher hat eine Mandatsannahme-Prozess rund drei bis vier Stunden gedauert. Heute benötigen wir dafür 15 bis 30 Minuten.

Früher hat ein Mandatsannahme-Prozess rund drei bis vier Stunden gedauert. Heute benötigen wir dafür 15 bis 30 Minuten.

„Digitalisierst du noch oder automatisierst du schon?"

Jetzt ist Ihre Kanzlei vollständig digitalisiert. Wie geht es weiter?

Die Digitalisierung wurde in unserer Kanzlei schon lange als vorbereitende Maßnahme betrachtet. Mit durchgängig digitalen Daten haben wir nun den Schritt zur Digitalen Transformation in die Welt der Automatisierung unternommen. Intern bezeichnen wir es gerne als ‚Digitalisierst du noch oder automatisierst du schon?‘. Im nächsten Schritt haben wir mit milia.io einen Innovationspartner für die digitale Transformation insbesondere im Bereich der Steuerberatung an Bord geholt. Von der Mandanten-App über einen automatisierten Dokumentenaustausch bis hin zu automatischen Erinnerungen setzen wir bereits alles ein. Unser Ziel für 2023 ist es, E-Mails weitgehend zu eliminieren und die gesamte Kommunikation mit den Mandanten künftig über die App abzuwickeln.

… Und was planen Sie darüber hinaus?

Im kommenden Jahr werden wir uns dann auf die Automatisierung der Finanzbuchhaltungs- und Lohnabrechnungsprozesse konzentrieren. In Kürze soll der Mandant nach Abschluss der monatlichen Finanzbuchhaltung automatisch von unserer KI benachrichtigt werden, falls Belege fehlen, und sie in der App nachreichen können. Die KI liefert auch wichtige Kennzahlen in Form eines Frühwarnsystems, sodass wir frühzeitig Entwicklungen beim Mandanten erkennen und entsprechend gegensteuern können. Darüber hinaus planen wir im kommenden Jahr die Implementierung einer automatisierten Lohnvorerfassung. Das bedeutet, der Mandant kann uns über die App die Stammdaten von Personalzu- und -abgängen mitteilen, und die An- und Abmeldung der Mitarbeiter erfolgt automatisch. So entlasten wir sowohl unsere Mitarbeiter als auch unsere Mandanten und können uns viel mehr um fachliche Anliegen kümmern. 

Was sagen Sie den Zauderern, die mit der Digitalisierung ihrer Steuerkanzlei noch hadern?

Es werden neue Anforderungen auf die Steuerberaterbranche zukommen, die sich nur mit digitalen Prozessen bewältigen lassen – nehmen Sie beispielsweise die E-Rechnung, die 2025 im B2B-Bereich kommen wird. Und die Entwicklung wird weitergehen, die Branche wird sich weiter wandeln und damit auch neue Herausforderungen mit sich bringen.

Künftig wird die Frage nicht lauten, wie buche ich einen Geschäftsvorfall, sondern wie komme ich an saubere Daten ran und welche Schnittstellen benötige ich hierfür.

Künftig wird die Frage nicht lauten, wie buche ich einen Geschäftsvorfall, sondern wie komme ich an saubere Daten ran und welche Schnittstellen benötige ich hierfür. Dadurch wird sich der Tätigkeitsbereich ändern und es werden völlig andere Kernkompetenzen sowohl für den Steuerberater als auch für seine Mitarbeiter erforderlich sein.


Zur Person

Furat Al-Obaidi ist Experte im Gebiet der Digitalisierung der Prozesse in der Steuerberatung. Er gründete seine Kanzlei F&S Steuerberatung Berlin im Jahr 2017 und startete seine berufliche Laufbahn in einer Steuerberatungskanzlei, die von Anfang an digital ausgerichtet war.

Schlagworte zum Thema:  Steuerberater, Steuerberatung, Digitalisierung