Kosten nach Schockanruf als außergewöhnliche Belastung
§ 33 EStG: Außergewöhnliche Belastung
Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen außergewöhnliche Aufwendungen entstehen, die zwangsläufig sind und die seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Die Voraussetzungen sind:
- Außergewöhnlichkeit der Belastung,
- Zwangsläufigkeit der Aufwendung und
- keine Ersatzmöglichkeit durch Dritte oder Versicherungen.
Die Norm soll atypische Belastungen ausgleichen, die nicht Teil des allgemeinen Lebensrisikos sind. Verluste durch Unachtsamkeit, Leichtsinn, Spekulation oder Täuschung gelten dagegen regelmäßig nicht als außergewöhnlich.
Vom FG Münster entschiedener Fall
In einem vom FG Münster entschiedenen Fall erhielt eine 77-jährige Rentnerin im Jahr 2023 einen Anruf eines vermeintlichen Rechtsanwalts. Dieser behauptete, ihre Tochter habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht und müsse in Untersuchungshaft. Zur Abwendung der Haft solle eine Kaution von 50.000 EUR umgehend gezahlt werden.
In der Überzeugung, ihrer Tochter helfen zu müssen, hob die Klägerin das Geld ab und übergab es einem angeblichen Mitarbeiter der Justizbehörde. Später stellte sich heraus, dass alles erfunden war. Die Täter blieben unauffindbar, das Geld war verloren. In ihrer Einkommensteuererklärung machte die Klägerin den Verlust als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG geltend.
Argumentation der Klägerin für die Berücksichtigung
Nach der Ablehnung durch das Finanzamt argumentierte die Klägerin, dass der Verlust zwangsläufig und außergewöhnlich gewesen sei. Sie habe sich ein einer extremen emotionale Ausnahmesituation befunden, dass sie durch den Anruf in einen Schockzustand geraten sei und ernsthaft geglaubt habe, ihre Tochter befinde sich in Haft. Es habe sich um eine moralische Verpflichtung gehandelt, das vermeintliche Wohl der Tochter zu schützen (sittliche Zwangslage).
Eine Überprüfung der Angaben sei ihr aufgrund der dramatischen Schilderung nicht zumutbar gewesen. Der konkrete Schockanruf sei in Intensität und Täuschungstiefe außergewöhnlich. Die Zahlung sei nicht freiwillig, sondern unter erheblichem psychischen Druck erfolgt. Die Situation sei im Übrigen auch vergleichbar mit echten Entführungsfällen, bei denen Lösegeldzahlungen als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurden.
FG Münster: keine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung
Das FG Münster folgte der Auffassung der Klägerin aber nicht (Urteil v. 2.9.2025, 1 K 360/25 E), sodass der Verlust durch den Betrug nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden konnte.
Der Verlust durch den Trickbetrug (sog. Schockanruf) stellt ein allgemeines Lebensrisiko dar, das potenziell jeden Telefonanschlussinhaber treffen kann. Solche Risiken seien nicht außergewöhnlich und daher nicht steuerlich absetzbar.
Die Klägerin sei objektiv auch keiner Zwangslage ausgesetzt gewesen, da es vielfältige zumutbare Handlungsalternativen gab, wie z. B. den Anruf zu beenden, die Polizei zu kontaktieren oder die Tochter (oder eine Vertrauensperson) direkt zu erreichen. Bei der Verhaftung eines nahen Angehörigen wäre es objektiv auch naheliegend, einen Rechtsanwalt zu konsultieren, um das weitere Vorgehen abzustimmen, so das FG.
Eine moralische Zwangslage habe nicht vorgelegen, da keine reale Gefahr bestand. Subjektive Stresssituationen, die die Wahrnehmung dieser Alternativen beeinträchtigen, seien für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit nicht relevant. Anders als bei Erpressungen oder Lösegeldzahlungen, bei denen eine "unabweisbare Notwendigkeit" anerkannt werden kann, fehle es im vorliegenden Fall an einer solchen Notwendigkeit.
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Da die Frage der steuerlichen Behandlung von Betrugsopfern bei Schockanrufen eine Vielzahl von Steuerpflichtigen betrifft und diese Frage bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt wurde, hat das FG Münster die Revision zugelassen. Die Revision wurde auch eingelegt und ist beim BFH unter dem Az. VI R 14/25 anhängig. Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.
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